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BVerwG - Entscheidung vom 07.07.2021

9 B 42.20

Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 1
BauGB § 34

BVerwG, Beschluss vom 07.07.2021 - Aktenzeichen 9 B 42.20

DRsp Nr. 2021/13777

Heranziehung eines Grundstückseigentümers zu einer Vorausleistung auf den einmaligen Beitrag für die erstmalige Herstellung einer öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung i.R.d. Überprüfung der Neukalkulation

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8 124,81 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 1; BauGB § 34 ;

Gründe

Die Klägerin, die von der Beklagten zu einer Vorausleistung auf den einmaligen Beitrag für die erstmalige Herstellung einer öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtung herangezogen worden ist, wendet sich gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts nach § 130a VwGO , mit dem ihre Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen wurde. Ihre Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, die auf Verfahrensrügen nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützt ist, hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.

1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nach § 130a VwGO ist nicht verfahrensfehlerhaft ergangen; das Gericht hat weder das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO verletzt, noch gegen seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen.

a) Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, wobei die Beteiligten vorher zu hören sind (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO ). Wird von der Äußerungsbefugnis Gebrauch gemacht, muss das Gericht dem Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch Rechnung tragen, dass es das Vorbringen zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht. Stellt ein Beteiligter im Rahmen des Anhörungsverfahrens einen Beweisantrag, der in der mündlichen Verhandlung nach § 86 Abs. 2 VwGO beschieden werden müsste, wird das Gericht seiner Verpflichtung in der Regel nur dadurch gerecht, dass es dem Beteiligten durch eine erneute Anhörungsmitteilung im Sinne des § 130a VwGO i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die unverändert beabsichtigte Entscheidung hinweist und damit zum Ausdruck bringt, dass es dem Beweisantrag nicht nachgehen werde. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bezieht sich allerdings nur auf entscheidungserhebliches Vorbringen und verpflichtet das Gericht nicht, sich mit Ausführungen zu befassen, auf die es aus seiner - insoweit maßgeblichen - Sicht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt. Deshalb erübrigt sich eine erneute Anhörung beispielsweise, wenn das Vorbringen unsubstantiiert ist, neben der Sache liegt oder früheren Vortrag lediglich wiederholt; Entsprechendes gilt bei Beweisanträgen. Hält das Gericht an einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 130a VwGO fest, ohne eine Vorabentscheidung über einen gestellten Beweisantrag zu treffen, muss aus den Entscheidungsgründen des Beschlusses ersichtlich sein, dass es die Ausführungen des Beteiligten zur Kenntnis genommen und dessen Beweisanträge vorher auf ihre Rechtserheblichkeit geprüft hat (vgl. zum Ganzen etwa BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juni 2007 - 10 B 56.07 - juris Rn. 8 ff. und vom 2. Mai 2018 - 6 B 69.17 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 112 Rn. 5 f., jeweils m.w.N.). Diesen Grundsätzen genügt die angefochtene Entscheidung.

Das Oberverwaltungsgericht hat unter dem 2. April 2020 auf seine Absicht, eine Entscheidung nach § 130a VwGO zu treffen, hingewiesen und daran trotz ablehnender Stellungnahmen der Klägerin vom 17. April und 8. Juni 2020 ausweislich der weiteren Anhörungsmitteilungen vom 27. Mai und 16. Juni 2020 festgehalten. Zu Unrecht macht die Klägerin geltend, dass das Gericht auf ihren weiteren Schriftsatz vom 22. Juni 2020 nicht ohne erneute Anhörungsmitteilung nach § 130a VwGO hätte entscheiden und auf die beantragte Beiziehung von Unterlagen nur unter den Voraussetzungen einer Wahrunterstellung hätte verzichten dürfen.

Mit dem Schreiben vom 22. Juni 2020 hat die Klägerin beantragt, der Beklagten aufzugeben, sämtliche Kalkulationsunterlagen der "Neukalkulation" zur Verfügung zu stellen und keine Entscheidung vor Eingang einer abschließenden Stellungnahme der Klägerin zu treffen. Dieser Antrag bezog sich auf die von der Beklagten vorgelegte "Kalkulation Einmaliger Beitrag für die erstmalige Herstellung der Abwassersammelleitungen im Schmutzwasserbereich" vom 10. Februar 2020, in der der satzungsmäßig festgesetzte Beitragssatz nochmals überprüft worden ist. Zur Erläuterung ihres Begehrens hat die Klägerin ausgeführt: Da die Beklagte noch nie einen eigenen Erneuerungsbeitrag kalkuliert habe, sei erwartbar, dass Investitionen in Erneuerungen als Investitionen erstmaliger Herstellung deklariert worden seien. Die hilfsweise beantragte Vernehmung eines namentlich benannten Wirtschaftsprüfers als Zeugen sollte zur Frage ergehen, wie bei der Neukalkulation verhindert worden sei, dass Kosten der Erneuerung der Flächenkanalisation in die Neukalkulation eingeflossen seien.

Das Oberverwaltungsgericht hat von einer nochmaligen Anhörungsmitteilung abgesehen, weil es das Vorbringen im Schriftsatz vom 22. Juni 2020 lediglich als Wiederholung der Vermutung der Klägerin, bei der Neukalkulation seien Kosten der erstmaligen Herstellung mit solchen der Erneuerung vermischt worden, angesehen und im Übrigen für nicht entscheidungserheblich erachtet hat. Hierzu hat es in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt (BA S. 8 f.), Erneuerungskosten könnten noch nicht entstanden und auch nicht bei der Neukalkulation berücksichtigt worden sein, weil die Herstellung der Flächenkanalisation in der früheren Verbandsgemeinde vor der Verlegung der Straßenleitungen sowie der Hausanschlüsse im öffentlichen Verkehrsraum noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Unter einer Erneuerung im Sinne des Kommunalabgabengesetzes sei der Ausbau einer bereits erstmals hergestellten Einrichtung zu verstehen, der sich auf die Einrichtung in ihrer Gesamtausdehnung beziehen müsse, also nicht lediglich einen Einrichtungsteil beispielsweise in einer Straße betreffen könne. Da somit nach dem maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts noch keine Erneuerungskosten im rechtlichen Sinne angefallen sein konnten, ging das Begehren der Klägerin, die Neukalkulation unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen, ins Leere und war für die Entscheidung des Gerichts von vornherein ohne rechtliche Bedeutung. Mit dieser Argumentation, für die es auf die von der Klägerin thematisierte Problematik einer Wahrunterstellung nicht ankommt und die den Verzicht auf eine erneute Anhörungsmitteilung rechtfertigt, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.

b) Da nach dem Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts in die Neukalkulation keine "Erneuerungskosten" im kommunalabgabenrechtlichen Sinn eingeflossen sein konnten, bedurfte es insoweit auch weder einer weiteren Prüfung und Sachverhaltsermittlung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO ) noch einer Beiziehung sämtlicher Kalkulationsunterlagen, um der Klägerin die Einsichtnahme und die Mitwirkung an der Ermittlung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO ) zu ermöglichen, so dass auch die Aufklärungsrüge der Klägerin keinen Erfolg hat. Denn die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO findet ihre Grenze in der Entscheidungserheblichkeit des Sachverhalts (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 30. März 2017 - 7 C 19.15 - Buchholz 414 IFG Nr. 23 Rn. 15 m.w.N.).

2. Die weitere Gehörsrüge der Klägerin greift ebenfalls nicht durch. Das Gebot zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet die Gerichte, den Vortrag der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Daraus folgt jedoch weder eine Verpflichtung, den Rechtsansichten eines Beteiligten zu folgen, noch muss sich das Gericht in seinen Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen ausdrücklich befassen (BVerfG, stRspr, vgl. nur Urteil vom 2. März 2006 - 2 BvR 2099/04 - BVerfGE 115, 166 <180> und Kammerbeschluss vom 2. Juli 2018 - 1 BvR 682/12 - NVwZ 2018, 1561 Rn. 19 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO liegt nur vor, wenn besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht berücksichtigt hat, wobei sich die Entscheidungserheblichkeit auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Gerichts beurteilt (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 2. September 2019 - 8 B 19.19 - juris Rn. 2 m.w.N.).

Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass das Oberverwaltungsgericht gegen diese Grundsätze verstoßen haben könnte. Die Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der Frage, ob die Satzungsregelung zur Tiefenbegrenzung überhaupt anwendbar sei, auseinandergesetzt und ihren Vortrag aus der Berufungsbegründung zur Unwirksamkeit dieser Bestimmung vollständig übergangen. In der damit in Bezug genommenen Passage ihrer Berufungsbegründung (dort S. 7 f.) hatte die Klägerin ausgeführt, die Regelung in § 5 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der hier maßgeblichen Satzung der Beklagten mit einer Tiefenbegrenzungsregelung für Grundstücke, die insgesamt dem unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB zuzuordnen seien und denen daher insgesamt Baulandqualität zukomme, sei nichtig, weil solche Grundstücke einheitlich und vollständig zu Bau- und Wohnzwecken nutzbar seien. Diesen Vortrag hat das Oberverwaltungsgericht jedoch nicht übergangen, was bereits daran erkennbar ist, dass es die von der Klägerin als Beleg für ihre Ansicht unter anderem zitierte eigene obergerichtliche Rechtsprechung (OVG Koblenz, Urteil vom 20. August 2002 - 6 C 10464/02.OVG -) anführt mit dem Hinweis, aus diesem zum Ausbaubeitragsrecht ergangenen Senatsurteil zur Bebaubarkeit von Grundstücken jenseits der festgesetzten Tiefengrenze könne nichts Abweichendes entnommen werden (BA S. 14 f.).

Im Übrigen legt die Klägerin der beanstandeten Satzungsbestimmung eine Bedeutung bei, die ihr nach der - für das Revisionsgericht insoweit maßgeblichen - Auslegung des Oberverwaltungsgerichts nicht zukommt. Im Zusammenhang mit der Regelung der für die Beitragsbemessung maßgeblichen Grundstücksfläche bestimmt § 5 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a der Satzung, dass, wenn Grundstücke innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BauGB ) liegen, bei Grundstücken, die an eine Verkehrsanlage angrenzen, die Fläche von dieser bis zu einer Tiefe von 30 m zu berücksichtigen ist. Soweit die Klägerin die Nichtigkeit dieser Regelung daraus ableitet, dass Grundstücksteile jenseits der Tiefenbegrenzung trotz ihrer Lage im Innenbereich und der damit verbundenen Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung von der Beitragspflicht verschont, kleinere Grundstücke innerhalb der Tiefenbegrenzung aber gleichheitswidrig benachteiligt würden, entspricht dieses Verständnis nicht der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts. Dieses sieht in der satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzung vielmehr nur eine widerlegliche Vermutung, dass der hinter der Tiefenbegrenzungslinie liegende Teil eines unbeplanten Grundstücks nicht zum Bebauungszusammenhang gehört (BA S. 14), also gerade nicht mehr im Innenbereich liegt. Auf dieser Grundlage stellt sich die von der Klägerin angesprochene Problematik nicht, ist also nicht entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 3 GKG .

Vorinstanz: OVG Rheinland-Pfalz, vom 17.07.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 6 A 11096/19