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BVerwG - Entscheidung vom 02.03.2021

8 B 57.20

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2

BVerwG, Beschluss vom 02.03.2021 - Aktenzeichen 8 B 57.20

DRsp Nr. 2021/6015

Erfolglose Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs bei eigener nicht durchgeführten zumutbaren Ausschöpfung der vom einschlägigen Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 16. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 417 635 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; VwGO § 108 Abs. 2 ;

Gründe

Die beklagte Verbandsgemeinde setzte auf der Grundlage ihrer Haushaltssatzung mit Bescheid vom 2. August 2016 die Verbandsgemeindeumlage für die klagende Gemeinde auf 417 635 € für das Jahr 2016 fest. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Urteil geändert und den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Die Festsetzung der Verbandsgemeindeumlage in der Haushaltssatzung sei rechtswidrig, da die Beklagte die Finanzsituation ihrer Mitgliedsgemeinden nicht hinreichend ermittelt habe. Hierzu sei sie gemäß § 23 i.V.m § 19 des Finanzausgleichsgesetzes Sachsen-Anhalt in der 2016 geltenden Fassung verpflichtet gewesen, da sich der Landesgesetzgeber für einen verfahrensrechtlichen Gleichklang der Festsetzung der Kreisumlage und der Verbandsgemeindeumlage entschieden habe.

Die gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil gerichtete, auf die Gründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) liegen nicht vor.

a) Die Rüge der Beklagten, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG , § 108 Abs. 2 VwGO ) sei verletzt, greift nicht durch. Einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann nicht geltend machen, wer es selbst versäumt hat, sich vor Gericht durch die zumutbare Ausschöpfung der vom einschlägigen Prozessrecht eröffneten und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. August 2010 - 1 BvR 3268/07 [ECLI: DE: BVerfG: 2010: rk20100818.1bvr326807] - BVerfGK 17, 479 Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2020 - 8 C 23.19 [ECLI: DE: BVerwG: 2020: 141020U8C23.19.0] - juris Rn. 19). Ein derartiges Versäumnis liegt hier auf Seiten der Beklagten vor, die sich im Berufungsverfahren zur Sache nicht geäußert und auch nicht an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, zu der sie ordnungsgemäß geladen war. Spätestens im Verhandlungstermin hätte sich die Beklagte zu den aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen äußern können.

Unabhängig davon stellt das Berufungsurteil auch keine das Recht auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung dar. Das ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann der Fall, wenn das Gericht einen zuvor nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten. So liegt der Fall hier nicht. Die Klägerin hatte bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, dass eine Verbandsgemeinde nach den für das Verfahren bei der Regelung einer Kreisumlage geltenden Grundsätzen vor der Festsetzung des Umlagesatzes den Finanzbedarf der Mitgliedsgemeinden ermitteln müsse, dies hier aber nicht erfolgt sei. Zudem hatte das Verwaltungsgericht die Berufung gegen sein Urteil unter anderem im Hinblick auf die Frage des Verhältnisses zwischen der Verbandsgemeindeumlage und der Kreisumlage zugelassen. Daher konnte es die Beklagte nicht überraschen, dass das Berufungsurteil auf diese Gesichtspunkte gestützt ist.

Ferner hat das Oberverwaltungsgericht nicht verfahrensfehlerhaft die Erteilung von Hinweisen an die Beteiligten unterlassen. Die Auffassung der Beklagten, das Berufungsgericht hätte sie bereits vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung umfassend über seine Einschätzung der Sach- und Rechtslage unterrichten und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu geben müssen, findet im Verfahrensrecht keine Stütze. Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2020 - 8 B 39.20 [ECLI: DE: BVerwG: 2020: 011020B8B39.20.0] - juris Rn. 11). Auch im Übrigen stellt der von der Beklagten der Sache nach allein beanstandete Umstand, dass das Berufungsgericht ihrer Rechtsauffassung nicht gefolgt ist, keine Verletzung von Verfahrensrecht dar.

b) Das Berufungsurteil ist nicht unter Verstoß gegen § 124a Abs. 3 VwGO zustande gekommen. Die Auffassung der Beklagten, das Oberverwaltungsgericht hätte sein Urteil nur auf Gründe stützen dürfen, die in der Berufungsbegründung dargelegt waren, folgt weder aus § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO noch aus einer anderen Vorschrift. Eine Regelung, die mit den für das Berufungszulassungsverfahren nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO und für das Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO geltenden Beschränkungen der gerichtlichen Prüfungsbefugnis vergleichbar wäre, gibt es für das Berufungsverfahren nicht.

2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Dies würde voraussetzen, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.

Die Beklagte bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Fragen:

Ist der Anspruch auf die Mindestausstattung nur einmal vorhanden und anzuerkennen und aufgabenbezogen zwischen Mitgliedsgemeinden horizontal und zudem zur Verbandsgemeinde auch vertikal zu verteilen?

Erfordert Art. 28 Abs. 2 GG im Hinblick auf eine Gemeinde, die Mitglied einer Verbandsgemeinde in Sachsen-Anhalt ist, bei dem Verfahren der Ermittlung und Verabschiedung einer Satzung, die die Höhe einer Verbandsgemeindeumlage regelt, die Anwendung der Vorschriften des Finanzausgleichsgesetzes Sachsen-Anhalt hinsichtlich der Kreisumlage?

Ist eine analoge Anwendung der Maßgaben des Finanzausgleichsgesetzes für die Festsetzung der Kreisumlage auf die Verbandsgemeindeumlage mit den Rechten der Verbandsgemeinde aus Art. 28 Abs. 2 GG vereinbar?

Zur Erläuterung der grundsätzlichen Bedeutung dieser Fragen beschränkt sich die Beklagte auf den Hinweis, sie seien in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts soweit ersichtlich noch nicht entschieden. Dies genügt den aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO folgenden Anforderungen an eine Darlegung des Zulassungsgrundes nicht. Zudem betreffen die Fragen in erster Linie die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des Finanzausgleichsgesetzes Sachsen-Anhalt, das als Landesrecht nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann (§ 137 Abs. 1 VwGO ). Grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des als bundesrechtliche Maßstabsnorm herangezogenen Art. 28 Abs. 2 GG zeigt die Beschwerde nicht auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen-Anhalt, vom 16.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 4 L 176/19