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BVerwG - Entscheidung vom 14.09.2021

1 WNB 2.21

Normen:
WBO § 22a Abs. 2 Nr. 1

BVerwG, Beschluss vom 14.09.2021 - Aktenzeichen 1 WNB 2.21

DRsp Nr. 2021/17308

Dienstliche Gründe für ein Verbot der Ausübung des Wehrdienstes

Tenor

Die Beschwerde des Bundesministeriums der Verteidigung gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 10. März 2021 wird zurückgewiesen.

Der Bund trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

WBO § 22a Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Der am 9. April 2021 eingelegten und am 14. Mai 2021 form- und fristgerecht begründeten Nichtzulassungsbeschwerde gegen den dem Bundesministerium der Verteidigung am 24. März 2021 zugestellten Beschluss des Truppendienstgerichts hat dieses Gericht mit Entscheidung vom 17. Juni 2021 nicht abgeholfen. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO kommt der Sache nicht zu.

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. für das Revisionsrecht der VwGO BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.> sowie für das Rechtsbeschwerderecht der WBO BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 - 1 WNB 5.11 - Rn. 2 und vom 12. April 2018 - 2 WNB 1.18 - juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - ggf. erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 8 B 16.16 - juris Rn. 16). Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und der vorliegenden Literatur ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2014 - 1 WNB 1. 14 - juris Rn. 4 m.w.N.). Nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren klärungsfähig sind Rechtsfragen, die sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Form beantworten lassen, weil es maßgeblich auf konkrete Umstände des Einzelfalles ankommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 - 1 WNB 5.11 - Rn. 5 und vom 3. Mai 2019 - 1 WNB 3.18 - juris Rn. 11 und 13).

Die Frage

"Ist die Verwendung (auch in Form einer Tätowierung) eines spezifisch nationalsozialistischen bzw. eines ausschließlich von nationalsozialistischen Organisationen verwendeten Zeichens/Symbols durch einen Soldaten in Zusammenhang mit anderen, nicht nationalsozialistisch geprägten Zeichen/Symbolen (auch in Form von Tätowierungen) eine ausreichende Grundlage für hinreichend begründete Zweifel an der Einstellung dieses Soldaten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und handelt es sich somit um zwingende dienstliche Gründe, die ein Verbot der Ausübung des Dienstes im Sinne von § 22 SG tragen?"

rechtfertigt die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass zwingende dienstliche Gründe im Sinne von § 22 SG vorliegen, wenn bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Soldaten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen sind (BVerwG, Beschlüsse vom 12. April 1978 - 1 WB 159.76, 1 WB 5.77 - BVerwGE 63, 32 <35>, vom 17. Juli 1979 - 1 WB 67.78 - BVerwGE 63, 250 <252> und vom 19. November 1998 - 1 WB 36.98 - Buchholz 236.1 § 22 SG Nr. 2 S. 2). Geklärt ist auch, dass die Norm den Vorgesetzten im Rahmen von dessen Dienstaufsichtspflicht ermächtigt, der Gefahr zu begegnen, dass der Bundeswehr in der Öffentlichkeit der Vorwurf gemacht würde, nationalsozialistischen Umtrieben ihrer Soldaten nicht entschieden entgegenzutreten und sie zu dulden (BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 1979 - 1 WB 67.78 - BVerwGE 63, 250 <252>). Hiernach bedarf es keiner weiteren Klärung, dass zwingende dienstliche Gründe nach § 22 SG darin liegen können, Soldaten vorläufig vom Dienst zu entbinden, deren Verhalten Zweifel an ihrem Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung begründet. Die Frage, ob solche Zweifel aus der Verwendung spezifisch nationalsozialistischer Symbole in Zusammenhang mit anderen nicht nationalsozialistisch geprägten Symbolen resultieren, stellt sich im vorliegenden Fall nicht. Denn das Truppendienstgericht hat die hier verwendete Odalrune nicht als spezifisch nationalsozialistisches Symbol, sondern nur als auch von NS- und NS-Nachfolgeorganisation benutztes Symbol angesehen (ebenso OLG Bamberg, Urteil vom 18. September 2007 - 2 Ss 43/07 - juris Rn. 11). Die Frage, welche Rückschlüsse die Verwendung auch nationalsozialistisch konnotierter Symbole auf eine verfassungsfeindliche Gesinnung zulassen, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles - nämlich der Frage, im Kontext mit welchen anderen Symbolen sie stehen - ab und ist daher einer verallgemeinerungsfähigen, über den Einzelfall hinausgehenden Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zugänglich (vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08 - BGHSt 52, 364 Rn. 29). Außerdem handelt es sich nicht um eine Rechts-, sondern um eine Tatsachenfrage. Denn gefragt wird nach einem Schluss von äußeren Tatsachen auf innere Tatsachen und einer hieraus abzuleitenden Prognose.

Die Rechtsfrage

"Liegen zwingende dienstliche Gründe für ein Verbot der Ausübung des Dienstes (bereits) vor, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Anordnung davon ausgegangen werden darf, dass ein Soldat nach dem Inhalt der verwendeten Zeichen/Symbole (auch in Form von Tätowierungen) und den weiteren Umständen aufgrund der bisherigen Ermittlungen ein Verhalten offenbart, das objektiv geeignet ist, aber nicht sicher beabsichtigt, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen oder bedarf es (erst) einer nationalsozialistisch geprägten und vom Soldaten kundgegebenen Einstellung, die mit seiner Verfassungstreuepflicht nach § 8 SG die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten jederzeit für deren Erhaltung einzutreten, unvereinbar ist?"

rechtfertigt die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens ebenfalls nicht. Denn es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass sich diese Frage in einem Rechtsbeschwerdeverfahren stellen würde. Das Truppendienstgericht stützt den angegriffenen Beschluss auf die Feststellung, im Umgebungszusammenhang der Runen-Tätowierung des Antragstellers entstehe kein spezifisch nationalsozialistischer Eindruck. Diese Feststellung ist nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffen worden und wäre daher der rechtlichen Prüfung des Senats in einem Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legen. Da hiernach aber bereits bei Erlass der Anordnung kein Verhalten vorgelegen hat, das objektiv geeignet ist, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen oder Bestandteile der NS-Ideologie wieder gesellschaftsfähig zu machen, bedarf es auch nicht der Prüfung, ob für das Eingreifen von § 22 SG zusätzlich subjektiv einer mit der Verfassungstreuepflicht nicht vereinbaren inneren Einstellung des Soldaten bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO .