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BVerwG - Entscheidung vom 10.11.2021

8 B 24.21

Normen:
BerRehaG § 1 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 10.11.2021 - Aktenzeichen 8 B 24.21

DRsp Nr. 2022/1101

Ausschluss einer politischen Verfolgung durch ein verhängtes Auftrittsverbot als Liedermacher ohne offizielle Zulassung hinsichtlich seiner beruflichen Rehabilitierung

Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht aufgestellt haben, genügt den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Das gilt ebenso, soweit sich der Betroffene - wie hier - allein gegen die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung und Subsumtion wendet, ohne eine Rechtssatzdivergenz aufzuzeigen.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Februar 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BerRehaG § 1 Abs. 1 ; VwGO § 108 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Der Kläger begehrt seine berufliche Rehabilitierung für den Zeitraum nach seiner Beschäftigung beim VEB Berliner Bremsenwerk, die er 1986 selbst beendet hatte. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage gegen die ablehnenden Bescheide abgewiesen, weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dem Kläger zum Zeitpunkt der Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses tatsächlich eine berufsbezogene Maßnahme der politischen Verfolgung drohte, der er hätte zuvorkommen wollen. Seine operative Bearbeitung durch die Staatssicherheit wegen kritischer Texte sowie erste bekanntgewordene öffentliche Auftritte als Liedermacher hätten erst mehr als zwei Jahre später stattgefunden. Für ein öffentliches Auftrittsverbot durch Entzug seiner Zulassung als Liedermacher fänden sich keine Hinweise in den Unterlagen. Der Kläger habe nur eine Zulassung als Amateurtanzmusiker gehabt, die nicht für Auftritte als Liedermacher gegolten habe. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) liegen nicht vor.

Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinausführen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die vom Kläger aufgeworfene Frage,

ob dem Kläger vorgehalten werden kann, dass er keine offizielle Zulassung als Liedermacher in der DDR besaß und ob diese fehlende Zulassung eine politische Verfolgung durch ein verhängtes Auftrittsverbot als Liedermacher ausschließt,

zielt ersichtlich auf den vorliegenden Einzelfall und kann daher mangels fall-übergreifender Bedeutung nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen. Zudem wäre sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich auf das Nichtvorliegen einer Zulassung als Liedermacher abgestellt hat, sondern bereits auf die fehlende zeitliche Nähe der ersten bekanntgewordenen öffentlichen Auftritte als Liedermacher zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim VEB Berliner Bremsenwerk.

2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ) zuzulassen. Eine Divergenz ist nicht dargelegt. Dieser Zulassungsgrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in der Vorschrift aufgeführten Gerichte aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die nach Auffassung eines Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss hierauf bezogen konkret herausgearbeitet werden. Das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht aufgestellt haben, genügt den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge nicht. Darauf beschränkt sich jedoch die Begründung dieser Rüge, die eine Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 2010 - 3 C 40.09 - (BVerwGE 138, 36 Rn. 14) geltend macht. Dem dort aufgestellten Rechtssatz, ein von dem Betroffenen selbst herbeigeführter oder maßgeblich mit bewirkter beruflicher Nachteil schließe eine berufsbezogene Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 1 BerRehaG auch dann nicht aus, wenn der Betroffene Grund zu der Annahme hatte, politisch verfolgt zu sein oder in naher Zukunft verfolgt zu werden und der tatsächlichen oder befürchteten Verfolgung auf diese Weise ausweichen oder zuvorkommen zu können, hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung ausdrücklich zugrunde gelegt. Dass es einen tatsächlichen Beginn von Verfolgungsmaßnahmen im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt hätte, zeigt der Kläger nicht auf. Der Sache nach kritisiert er die Anwendung des bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtssatzes im konkreten Fall, weil er meint, das Verwaltungsgericht habe eine drohende Verfolgung oder die berechtigte Furcht davor nicht schon verneinen dürfen, weil der Kläger vor der Eigenkündigung keinen Observierungs- oder Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen sei und erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses begonnen habe, die beiden von ihm angeführten regimekritischen Werke zu verfassen. Damit wendet sich der Kläger gegen die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung und Subsumtion, ohne eine Rechtssatzdivergenz aufzuzeigen.

3. Die Verfahrensrüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ) greift nicht durch.

Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner eigenen Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 6 B 31.16 - juris Rn. 10 m.w.N.).

Solche Mängel legt der Kläger nicht dar. Seine Rüge, das Verwaltungsgericht habe aktenwidrig festgestellt, in den ihm vorliegenden Unterlagen fänden sich keine Hinweise zu dem von ihm geltend gemachten Auftrittsverbot als Liedermacher, betrifft keinen aus der Sicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Umstand. Das Urteil ist vielmehr entscheidungstragend darauf gestützt, dass der seines Erachtens nach § 1 Abs. 1 BerRehaG erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und einer unmittelbar drohenden oder zu Recht in naher Zukunft befürchteten Maßnahme der politischen Verfolgung unter anderem wegen des großen zeitlichen Abstands zu den erst über zwei Jahre später stattfindenden Auftritten als Liedermacher nicht gewahrt war. Die darüber hinausgehenden Ausführungen in der Urteilsbegründung beziehen sich auf den geltend gemachten Entzug einer Zulassung als Liedermacher. Sie stellen nicht in Abrede, dass der Kläger wegen Fehlens einer solchen Zulassung sowie mangels Zulassung zu einer Einstufungsveranstaltung als Liedermacher nicht als solcher auftreten durfte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 und § 52 Abs. 2 GKG .

Vorinstanz: VG Berlin, vom 09.02.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 9 K 528/20