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BVerwG - Entscheidung vom 29.06.2021

4 B 20.20

Normen:
BauNVO § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und S. 3-4
ROG § 13

BVerwG, Beschluss vom 29.06.2021 - Aktenzeichen 4 B 20.20

DRsp Nr. 2021/13790

Auslegung der landesplanerischen Zielfestsetzungen bei der Prüfung der Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe

Die Revision ist nicht in Bezug auf Fragen zuzulassen, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. Januar 2020 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 90 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BauNVO § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und S. 3-4; ROG § 13 ;

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die die Klägerin ihr beimisst.

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - ZfBR 2020, 173 Rn. 4).

1. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob § 11 Abs. 3 BauNVO i.V.m. § 4 ROG so auszulegen ist, dass die Anwendung dieser Normen dazu führen kann, dass landesplanerische Zielfestsetzungen über ihren Anwendungsbereich und Wortlaut hinaus Geltung beanspruchen können, ohne dass sich dies aus der Auslegung der Zielfestlegung selbst ergibt.

Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, weil das Oberverwaltungsgericht die landesplanerischen Zielfestsetzungen nicht in diesem Sinne ausgelegt hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. Oktober 2009 - 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 7 und vom 6. Mai 2010 - 6 B 73.09 - Buchholz 448.0 § 29 WPflG Nr. 24 Rn. 4). Das Gericht ist davon ausgegangen, dass die Ziele Z 46 und Z 52 nach Sinn und Zweck der Vorgaben, die sich aus der Begründung des Landesentwicklungsplans Sachsen-Anhalt 2010 erschließen, bei der Prüfung der Zulässigkeit großflächiger Einzelhandelsbetriebe im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO zu berücksichtigen seien. Ihre Geltung hänge nicht davon ab, dass die Zulässigkeit eines Einzelvorhabens ausdrücklich angesprochen werde (UA S. 16 ff.). Diese Auslegung wäre nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO auch für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend.

2. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

ob § 13 ROG so auszulegen ist, dass landesplanerische Zielfestsetzungen mit Wirkung für die Zulassung von Einzelvorhaben ausgeschlossen sind.

Das Oberverwaltungsgericht, so die Beschwerde, habe seine Auslegung maßgeblich auf die Annahme gestützt, landesweite Raumordnungspläne ließen regelmäßig keine Regelungen erwarten, die die Zulässigkeit von Einzelvorhaben beträfen. Werde die gestellte Frage jedoch - richtigerweise - verneint, sei diesem Ansatz des Oberverwaltungsgerichts die Grundlage entzogen.

Die Frage ist nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht geht nicht davon aus, dass landesplanerische Zielfestsetzungen mit Wirkung für die Zulassung von Einzelvorhaben ausgeschlossen, sondern nur, dass sie regelmäßig nicht zu erwarten sind (UA S. 16). Seine Auslegung stützt es in erster Linie auf Sinn und Zweck der Zielvorgaben, wie sie sich aus der Begründung des Landesentwicklungsplans Sachsen-Anhalt 2010 ergeben (UA S. 16 ff.).

3. Die Frage,

ob § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO so auszulegen ist, dass einem atypischen Vorhaben im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO , das bis auf die Unvereinbarkeit mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung keine nicht nur unwesentlichen Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO hervorruft, die Unvereinbarkeit mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung entgegengehalten werden kann und das Vorhaben deswegen nur in einem Kerngebiet oder in einem festgesetzten Sondergebiet zulässig ist,

führt nicht zur Zulassung der Revision. Denn Tatsachen, die vorliegen müssten, damit die mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Fragen sich in einem Revisionsverfahren stellen könnten, sind von der Vorinstanz nicht festgestellt worden (BVerwG, Beschlüsse vom 5. September 1996 - 9 B 387.96 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 12, vom 17. März 2000 - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62> und vom 28. April 2020 - 4 B 49.18 - juris Rn. 6). Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass das Vorhaben - von den Zielen der Raumordnung und Landesplanung abgesehen - nur unwesentliche Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO hervorruft.

Der Senat kann daher nicht beurteilen, ob sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt stellen würde. Ziel der Grundsatzrevision ist es, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Dem würde es widersprechen, die Revision in Bezug auf Fragen zuzulassen, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht (BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 2016 - 4 BN 36.15 - juris Rn. 12 und vom 28. April 2020 - 4 B 49.18 - juris Rn. 6). Der Einwand fehlender tatrichterlicher Feststellungen kann einer Beschwerde allerdings nicht entgegengehalten werden, wenn eine in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht eine als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62>, vom 19. August 2013 - 9 BN 1.13 - Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 56 Rn. 7, vom 21. April 2015 - 4 B 8.15 - juris Rn. 3 und vom 21. Januar 2016 - 4 BN 36.15 - juris Rn. 13). Anträge zur Sachverhaltsaufklärung hat die anwaltlich vertretene Klägerin nicht gestellt.

Für einen Antrag auf Sachaufklärung hätte aber Anlass bestanden. Denn die Frage, ob sich das Vorhaben auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung nicht nur unwesentlich auswirken würde, war im Verfahren umstritten. Der Beklagte lehnte die beantragte Baugenehmigung unter anderem mit der Begründung ab, der auf eine Auswirkungsanalyse gestützten Auffassung der Klägerin, bei dem Markt handle es sich trotz Großflächigkeit noch um einen Nahversorger, bei dem die Regelvermutung nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht greife, könne nicht gefolgt werden. Auch die Beigeladene hatte in Auseinandersetzung mit den Zielen der Raumordnung die Auffassung vertreten, der Standort sei städtebaulich nicht in die Ortslage integriert. Das Landesverwaltungsamt führte - nicht entscheidungstragend - demgegenüber in seinem Widerspruchsbescheid vom 7. September 2017 aus, da städtebauliche Missstände nicht vorhanden seien und der Standort als integriert erscheine, sei von einer atypischen Fallgestaltung und der Widerlegung der Regelvermutung nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO auszugehen (UA S. 4 f.). Im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren hat der Beklagte wiederum im Wesentlichen auf seinen Ausgangsbescheid verwiesen und Ergebnis wie Aktualität der Auswirkungsanalyse in Zweifel gezogen (GA Bl. 116). Das Verwaltungsgericht hat die Frage in der Entscheidung vom 30. Januar 2018 - 4 A 666/17 MD - offengelassen (UA S. 9). Der Klägerin stand es offen, auf eine weitere Klärung dieser Frage vor dem Tatsachengericht zu drängen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 3 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: OVG Sachsen-Anhalt, vom 22.01.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 2 L 39/18