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BVerwG - Entscheidung vom 04.11.2021

20 F 6.21

Normen:
VwGO § 99 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 und Alt. 3
GG Art. 2 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 04.11.2021 - Aktenzeichen 20 F 6.21

DRsp Nr. 2022/2234

Auskunftserteilung über die beim Landesamt für Verfassungsschutz gespeicherten Daten zur eigenen Person i.R.e. Sperrerklärung wegen Geheimhaltung

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 28. Mai 2021 aufgehoben, soweit er die Rechtswidrigkeit der auf den ersten Satz nach der Überschrift "Vorbemerkung" auf Seite 72 der Verfahrensakte des Landesamtes für Verfassungsschutz bezogenen Sperrerklärung des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg vom 26. Oktober 2020 feststellt.

Die Beschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 99 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 und Alt. 3; GG Art. 2 Abs. 1 ;

Gründe

I

In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger Auskunft über die beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zu seiner Person gespeicherten Daten.

Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert, die vollständigen Unterlagen zu übersenden. Daraufhin wurde ein teilweise geschwärzter Teil der Akten vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten aber unter Vorlage einer Sperrerklärung des Beigeladenen vom 26. Oktober 2020 verweigert. In der Folge beantragte der Kläger, die Akten dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung vollständiger Akteneinsicht vorzulegen.

Daraufhin erließ das Verwaltungsgericht am 8. April 2021 einen Beweisbeschluss über die Notwendigkeit einer umfassenden Akteneinsicht und legte dem Fachsenat die Akten vor.

Mit Beschluss vom 28. Mai 2021 hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofes festgestellt, dass die Sperrerklärung vom 26. Oktober 2020 insoweit rechtswidrig ist, als sie sich auf einzelne Zeilen, einen Satzteil und einen Satz der Seiten 72, 73 und 74 bezieht. Im Übrigen lehnte er den Antrag des Klägers ab. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

Auch der Beklagte hat fristgerecht Beschwerde eingelegt, soweit die Rechtswidrigkeit der Sperrung des ersten Satzes der Seite 72 nach der Überschrift "Vorbemerkung" festgestellt wurde. Einer vollständigen Offenlegung stünden dort in besonderem Maße Geheimhaltungsinteressen entgegen. Die betreffenden Aktenteile beträfen nicht bloß im Wesentlichen Angaben zum Verschlussgrad.

II

Die Beschwerden sind zulässig. Nur die Beschwerde des Beklagten ist auch begründet. Die Entscheidung des Fachsenates des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg ist rechtsfehlerhaft, soweit sie das Fehlen eines Weigerungsgrundes nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO für den ersten Satz nach der Überschrift "Vorbemerkung" auf Seite 72 der Verfahrensakte des Landesamtes für Verfassungsschutz feststellt. Im Übrigen ist der Beschluss nicht zu beanstanden.

1. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat auf den - trotz Fehlen eines Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2015 - 20 F 3.15 - ZD 2015, 602 Rn. 5) - Antrag der Klägerin das Vorliegen der mit der Sperrerklärung differenzierend auf die einzelnen Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung rechtlich zutreffender Maßstäbe gewürdigt.

a) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde (BVerwG, Beschlüsse vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 4, vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 18 f. m.w.N. und vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2010 - 20 F 3.09 - juris Rn. 6 und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 2009 - 20 F 11.08 - juris Rn. 9 und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19 m.w.N.). Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt vorzulegen.

Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO . Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen der Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter (BVerwG, Beschluss vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 13). Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 9 f. und vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 14).

b) Hiernach geht der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht davon aus, dass hinsichtlich der Schwärzung des ersten Satzes nach Überschrift "Vorbemerkung" auf Seite 72 des Verwaltungsvorganges kein Weigerungsgrund besteht. Zwar ist dort auch vom Geheimhaltungsgrad "VS-NfD" die Rede, der Satz enthält aber zusätzlich eine weitere, im Interesse der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes, schutzbedürftige Information. Insoweit kommt auch eine Teilschwärzung nicht in Betracht, weil eine Auslassung der fraglichen Textteile Rückschlüsse auf ihren Inhalt ermöglichen könnte. Zudem ist dem Kläger durch den nicht mit der Beschwerde angegriffenen Teil der Feststellung des Verwaltungsgerichtshofes der Gehalt des Satzes, hinsichtlich dessen kein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse mehr besteht, bekannt. Damit ist sein Interesse an einer (Teil-)Offenlegung des Satzes geringer zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Geheimhaltung.

Im Übrigen ist die Sperrerklärung, soweit sie Gegenstand der Beschwerdeverfahren ist, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Durchsicht der dem Senat im Original vorliegenden Unterlagen hat bestätigt, dass die vom Beklagten geltend gemachten Weigerungsgründe auch insoweit bestehen, als sich der Kläger dagegen mit seiner Beschwerde wendet. Von einer weiteren Begründung wird nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abgesehen. Weitere Teilschwärzungen, die über diejenigen, die dem Verwaltungsgericht bereits vorgelegten Aktenteile zu entnehmen sind, hinausgehen, kommen in Bezug auf diese Aktenbestandteile nicht in Betracht, weil sie nur zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen führen würden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 18 und vom 29. November 2016 - 20 F 10.16 - juris Rn. 12). Dies gilt auch, soweit die entnommenen Seiten 13 sowie 75 bis 78 dem Kläger bereits bekannte Informationen - seine eigenen Personendaten - und einzelne, an anderer Stelle offengelegte Sätze enthalten. Eine Teilschwärzung dieser Seiten zum Schutze der mit Recht geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen würde die fraglichen Daten und Sätze aus jedem Kontext reißen und damit zu inhaltleeren Restbeständen führen.

c) Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorlageverweigerung erfüllt sind, ist auch die Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht zu beanstanden. Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofes hat zutreffend ausgeführt, dass der Beigeladene in seiner Sperrerklärung die gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen bezogen auf die einzelnen Aktenstücke abgewogen und so eine Ermessensentscheidung getroffen hat, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m.w.N.) genügt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO .

Vorinstanz: VGH Baden-Württemberg, vom 28.05.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 14 S 1245/21