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BVerwG - Entscheidung vom 02.08.2021

2 B 13.21

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1

BVerwG, Beschluss vom 02.08.2021 - Aktenzeichen 2 B 13.21

DRsp Nr. 2021/14623

Anspruch eines Polizeibeamten auf Gewährung von Freizeitausgleich oder einer finanziellen Abgeltung für geleisteten Dienst ohne im Vorhinein festgelegte Ruhepausen

Art. 17 Abs. 2 und 3 RL 2003/88/EG eröffnet die Möglichkeit zum Abweichen von Art. 4 RL 2003/88/EG , sofern die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausgleichsfällen, in denen die Gewährung solcher gleichwertigen Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten. Diese Möglichkeit besteht auch für den Bereich des Polizeivollzugsdienstes.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12. November 2020 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 635,54 € festgesetzt.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützte Beschwerde (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) ist unzulässig.

1. Der Kläger steht als Polizeihauptkommissar im Dienst des beklagten Landes. Der Kläger ist im Streifendienst im Schicht- und Wechseldienst tätig. Mitte Dezember 2014 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Dienstbefreiung/Freizeitausgleich für geleisteten Zusatzdienst in Umfang der nicht als Arbeitszeit angerechneten "Pausen unter Bereithaltung" seit dem 6. Januar 2004 geltend. Zur Begründung führte der Kläger an, die Anhebung der Anwesenheitszeit auf 41,5 Stunden unter Gewährung lediglich einer "Pause unter Bereithaltung" in der geänderten Arbeitszeitverordnung des Beklagten verstoße gegen europäisches Recht. Antrag, Widerspruch und Klage vor dem Verwaltungsgericht blieben ohne Erfolg. Im Berufungsverfahren hat der Kläger noch beantragt, den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide zu verpflichten, ihm Dienstbefreiung bzw. Freizeitausgleich für geleisteten Dienst im Umfang der nicht als Arbeitszeit angerechneten "Pausen unter Bereithaltung" zu gewähren, und zwar seit dem 1. Januar 2012, hilfsweise finanzielle Abgeltung seit dem 1. Januar 2012 zu bewilligen bzw. zu zahlen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung des beanspruchten Freizeitausgleichs oder einer finanziellen Abgeltung für geleisteten Dienst ohne im Vorhinein festgelegte Ruhepausen. Mehrarbeit stehe hier nicht im Streit. Die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs wegen Verstoßes der Arbeitszeitverordnung des Beklagten gegen Unionsrecht und des korrespondierenden beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs lägen nicht vor. Durch die für den Kläger geltende Regelung der Arbeitszeitverordnung habe der Beklagte die Grenzen, die ihm bei der Umsetzung der Richtlinie gesetzt seien, nicht offenkundig unerheblich überschritten. Dementsprechend fehle es an einem hinreichend qualifizierten Verstoß der Arbeitszeitverordnung gegen die Richtlinie. Die Richtlinie überlasse die Einzelheiten, insbesondere die Dauer und Voraussetzung für die Gewährung der Ruhepausen, den innerstaatlichen Rechtsvorschriften. Der Regelung der Arbeitszeitverordnung liege die Einschätzung zugrunde, dass die Besonderheiten des Dienstes der Polizeivollzugskräfte im regelmäßigen Schicht- und Wechseldienst der Gewährung von Pausen im Sinne als im Voraus festliegende, der Erholung dienender Unterbrechungen der Arbeitszeit, in denen der Beamte weder Arbeit zu leisten noch sich dafür bereitzuhalten habe, entgegenstehe, die betroffenen Beamten jedoch ohne Festlegung im Voraus regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch machten, die Arbeit zu Erholungszwecken zu unterbrechen.

2. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt, wonach in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden muss.

Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt im Fall des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Über weite Strecken werden in der Beschwerdebegründung lediglich die maßgeblichen Erwägungen des Berufungsgerichts wiedergegeben. Zudem wird im Stile der Begründung eines zulassungsfreien oder eines bereits zugelassenen Rechtsmittels die inhaltliche Richtigkeit der Sachentscheidung des Berufungsgerichts angegriffen. Dies genügt § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom 4. Januar 2017 - 2 B 23.16 - Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 91 Rn. 8).

Lediglich zum Abschluss der Begründung wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit dem Vorbringen geltend gemacht, es gebe zur Bedeutung des Begriffs "Pause" im Europarecht und im nationalen Recht keine grundsätzliche Festlegung. Auch dieses Vorbringen reicht zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht aus. Denn entscheidungserheblich ist, ob im Hinblick auf die innerstaatlichen Vorschriften über die Arbeitszeit des Klägers die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs, insbesondere der hinreichend qualifizierte Verstoß gegen die unionsrechtliche Norm, die die Verleihung von Rechten an den Geschädigten bezweckt, erfüllt sind. Die Beschwerde setzt sich insoweit nicht mit den Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9) auseinander, auf die das Oberverwaltungsgericht im Einzelnen abgestellt hat. Art. 4 RL 2003/88/EG gibt vor, dass die Einzelheiten zur Gewährung einer Ruhepause bei einer täglichen Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden, insbesondere Dauer und Voraussetzung für die Gewährung dieser Ruhepause, in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften festgelegt werden. Entsprechend der innerstaatlichen Verteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und dem beklagten Land richtet sich die Arbeitszeit des Klägers im Hinblick auf Ruhepausen nach § 8 Abs. 2 und 3 der Verordnung des Landes Berlin über die Arbeitszeit der Beamten in der Fassung vom 16. Februar 2005 (GVBl. 2005, 115). Art. 17 Abs. 2 und 3 RL 2003/88/EG eröffnet ferner die Möglichkeit zum Abweichen von Art. 4 RL 2003/88/EG , sofern die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausgleichsfällen, in denen die Gewährung solcher gleichwertigen Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten. Diese Möglichkeit besteht auch für den Bereich des Polizeivollzugsdienstes, weil die Aufzählung in Art. 17 Abs. 3 Buchst. c RL 2003/88/EG - "insbesondere" - nicht abschließend ist und der Polizeivollzugsdienst dem Ambulanz-, Feuerwehr- und Katastrophenschutzdienst gleichzustellen ist, weil bei der Polizei ebenso wie bei diesen Diensten die Kontinuität des Dienstes gewährleistet sein muss.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 und § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG (156 Wochen x 1,5 Stunden x 19,81 €/Stunde).

Vorinstanz: OVG Berlin-Brandenburg, vom 12.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 4 B 12.17