Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0

Anfechtung des Mietvertrags bei Gewerbemiete nach § 123 BGB

Entscheidungsbesprechung mit Praxishinweis: Anfechtung des Mietvertrags nach § 123 BGB wegen eines bei Rechtsradikalen beliebten Warensortiments.

Die Entscheidung: KG, Urt. vom 28.05.2009 – 8 U 223/08

Darum geht es:

Die Beklagte vertrieb nach der Anmietung eines Ladenlokals fast ausschließlich das vollständige Warensortiment einer bestimmte Modemarke, die in Kreisen mit rechtsradikaler Gesinnung begehrt ist. Sie hatte die Eigentümerin vor dem Abschluss des Mietvertrags nicht über die von ihr beabsichtigte Zusammensetzung ihres Warensortiments in Kenntnis gesetzt. Die Vermieterin hatte die Mieterin auch nicht danach gefragt, welche Waren sie dort veräußern wollte.
Nachdem die Vermieterin u.a. durch Proteste auf den Vertrieb dieser Marke in ihrem Ladenlokal aufmerksam geworden war und sich näher informiert hatte, focht sie den Mietvertrag wegen arglistiger Täuschung an und verlangte von der Beklagten die Räumung der Räumlichkeiten.

Wesentliche Entscheidungsgründe:

Das KG entschied, dass die Mieterin zur Räumung der überlassenen Ladenfläche verpflichtet ist. Der Mietvertrag ist als von Anfang an nichtig anzusehen, weil die Eigentümerin wegen arglistiger Täuschung durch Unterlassen beim Vertragsschluss zur Anfechtung des Mietvertrage nach § 123 BGB Abs. 1 berechtigt gewesen ist.

Verletzung von Aufklärungspflicht
Das Gericht untersucht zunächst, inwieweit für die Beklagte nach Treu und Glaube eine Aufklärungspflicht bezüglich der Zusammensetzung des Warenangebots bestanden hat.
Eine Aufklärungspflicht besteht nur bei Umständen, die für die Willensbildung des Vermieters offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind. Es bedarf bei einem Mietvertrag jedoch keiner Gefährdung des Vertragszwecks, weil es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt. Von daher ist eine größere Rücksichtnahme auf die Interessen der gegnerischen Partei erforderlich.
Der Vermieter braucht nicht hinzunehmen, dass er durch eine Beschädigung seines Rufs in seinen wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt wird. Hiervon ist auszugehen, wenn er mit einem Mieter einen Mietvertrag abschließt, der in der Öffentlichkeit aufgrund der vertriebenen Waren mit Rechtsradikalismus in Verbindung gebracht wird.
Hiervon ist in dem vorliegenden Fall auszugehen, weil die verkaufte Modemarke nach den Feststellungen des Kammergerichts in der Öffentlichkeit für eine rechtsradikale Gesinnung steht und konfliktträchtig ist. Dies ergibt sich zunächst einmal aus einem Bericht des Berliner Verfassungsschutzes. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Tragen von den Kleidungsstücken dieser Marke im deutschen Bundestag sowie in mehreren Fußballstadien untersagt ist.

Ursächlichkeit der Täuschung
Die Täuschung ist für den Vertragsschluss ursächlich, soweit der Mieter nach der allgemeinen Lebenserfahrung in Kenntnis der verschwiegenen Umstände den Vertrag zumindest nicht zu diesen Konditionen abgeschlossen hätte.
Auch davon ist vorliegend auszugehen. Denn Vermieter sind – ungeachtet ihrer moralischen Einstellung - gewöhnlich nicht bereit, ein Schädigung ihres Rufs hinzunehmen, die sich wirtschaftlich negativ auswirkt. Ist das Angebot von Waren mit einem rechtsradikalen Hintergrund rufschädigend, ist davon auszugehen, dass sich ein Vermieter zumindest durch eine höherer Miete oder ein Sonderkündigungsrecht absichert.

Arglist
Die Vermieterin kann den für Arglist notwendigen Nachweis des Täuschungsvorsatzes auch durch Indizien erbringen. Diese müssen den Schluss auf einen Täuschungsvorsatz zulassen. Dieser ergibt sich vorliegend daraus, dass der Beklagten die Berichterstattung über die Marke bekannt war. Darüber hinaus wusste sie um die Folgen, die damit für die Eigentümerin des Ladens einhergehen.

Zulassung zur Revision
Das KG hat gegen sein Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Revision zugelassen. Bisher ist nicht geklärt, inwieweit ein Mietinteressent den Vermieter vor dem Abschluss des Mietvertrags ungefragt über das geplante Warensortiment informieren muss.

Praxishinweis:

Für den Mandanten ist derzeit empfehlenswert, dass er eine entsprechende Klausel in den Mietvertrag aufnimmt. Darin sollte die Aufnahme von allen Marken mit einem rechtsradikalen Hintergrund in das Warensortiment werden und dem Vermieter bei Nichtbefolgen ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt werden. Damit die Klausel bestimmt genug ist, sollten die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses einschlägig bekannten Marken genannt werden. Dabei sollte der Vermieter sich eine zukünftige Anpassung nach Maßgabe einer zuverlässigen Quelle – wie z.B. dem jeweiligen Verfassungsschutzbericht – vorbehalten.
Sofern eine solche Klausel nicht in den Vertrag aufgenommen worden ist, sollte der Mandant den Mieter unter Fristsetzung zur Entfernung der Marke aus dem Warensortiment auffordern. Dabei sollte er den rechtsradikalen Bezug aufzeigen und ihm die damit für ihn verbundenen Folgen einer Geschäftsschädigung verdeutlichen. Bei Nichtbefolgung ist eine Anfechtung des Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB zu erwägen.
Insbesondere vor der Einlegung einer Räumungsklage ist zu beachten, dass der Mandant die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Täuschungsvorsatzes trägt. Schlüssige Indizien reichen aus. Diese können sich z.B. daraus ergeben, dass vor dem Vertragsschluss eine enge Verflechtung zwischen dem Mieter und dem Hersteller bestanden hat oder dass gegen den Mieter bereits ein Räumungsverfahren wegen des Verkaufs dieser Marke anhängig war.