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BVerwG - Entscheidung vom 09.01.2024

4 BN 9.23

Normen:
BauGB § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2

BVerwG, Beschluss vom 09.01.2024 - Aktenzeichen 4 BN 9.23

DRsp Nr. 2024/2159

Änderungsbebauungsplan mit der Festsetzung eines Mischgebiets und des "Immissionsschutzes"als Gegenstand des Normenkontrollverfahrens

Der Einwand fehlender tatrichterlicher Feststellungen kann einer Beschwerde nicht entgegen gehalten werden, wenn eine in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht eine als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Normenkette:

BauGB § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2;

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

Gegenstand des Normenkontrollverfahrens ist ein Änderungsbebauungsplan, der ein Mischgebiet festsetzt; Spielhallen, Wettbüros und weitere Vergnügungsstätten sollen darin unzulässig sein. Zudem enthält der Änderungsplan unter "Textliche Festsetzungen" eine Bestimmung zum "Immissionsschutz", wonach bei Neueinrichtungen und Erweiterungen von oder Nutzungsänderungen in Schank- und Speisewirtschaften in allen bauaufsichtlichen Verfahren in einer beizufügenden schalltechnischen Berechnung die Einhaltung der geltenden Immissionsrichtwerte aus der TA Lärm nachzuweisen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Änderungsplan für unwirksam erklärt, weil es für die textliche Festsetzung "Immissionsschutz" an einer Rechtsgrundlage fehle; sie lasse sich insbesondere weder auf § 9 Abs. 1 Nr. 24 noch auf § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB stützen. Dieser Mangel führe zur Gesamtunwirksamkeit, weil sich nicht feststellen lasse, dass die Gemeinde den Änderungsplan auch ohne die fragliche Festsetzung erlassen hätte.

Die Antragsgegnerin möchte ausgehend davon sinngemäß rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob die wiedergegebene textliche Festsetzung im Wege der Umdeutung auf § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 BauGB gestützt werden kann, wenn man sie dahingehend versteht, dass die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung bestimmter baulicher Anlagen (hier: Schank- und Speisewirtschaften) bis zur Vorlage einer schalltechnischen Berechnung, die die Einhaltung der geltenden Immissionsrichtwerte aus der TA Lärm für ein Mischgebiet nachweist, unzulässig ist, und ein entsprechender Wille des Plangebers besteht sowie ein "besonderer Fall" im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 BauGB vorliegen,

und

ob die textliche Festsetzung in eine lediglich wiederholende deklaratorische Wiedergabe von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO umgedeutet werden kann, wenn ein entsprechender Wille des Plangebers besteht.

Diese Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO ) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Klärung der ersten Frage ist im Revisionsverfahren nicht zu erwarten, weil die Tatsachen, die vorliegen müssten, damit sie sich im Revisionsverfahren stellt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt sind. Ziel der Grundsatzrevision ist es, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>). Dem würde es widersprechen, die Revision in Bezug auf Fragen zuzulassen, deren Entscheidungserheblichkeit nicht feststeht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. April 2020 - 4 B 49.18 - juris Rn. 6 m. w. N.). Ungeachtet der Fragen, ob Bebauungspläne als Rechtsnormen überhaupt einer Umdeutung zugänglich sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2011 - 4 CN 7.10 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 105 Rn. 20 und vom 25. Juni 2014 - 4 CN 4.13 - BVerwGE 150, 101 Rn. 11) und ob die umgedeutete Festsetzung ihrerseits auf § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB gestützt werden könnte, setzt eine Umdeutung jedenfalls voraus, dass sie dem Planungswillen der Antragsgegnerin nicht widerspricht (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2011 - 4 CN 7.10 - Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 105 Rn. 20; vgl. auch § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwVfG , § 140 BGB ). Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu, weil er die Möglichkeit einer Umdeutung der fraglichen Festsetzung nicht geprüft hat, keine Feststellungen getroffen. Das verkennt auch die Beschwerde nicht, die einen entsprechenden Planungswillen der Antragsgegnerin unterstellt. Gleiches gilt im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal "besonderer Fall" im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 BauGB .

Der Einwand fehlender tatrichterlicher Feststellungen kann einer Beschwerde allerdings nicht entgegen gehalten werden, wenn eine in der Vorinstanz ordnungsgemäß beantragte Sachverhaltsaufklärung nur deswegen unterblieben ist, weil das Tatsachengericht eine als rechtsgrundsätzlich bedeutsam bezeichnete Frage anders als der Beschwerdeführer beantwortet und deswegen die Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2021 - 4 B 20.20 - juris Rn. 9 m. w. N.). Anträge zur Sachverhaltsaufklärung hat die anwaltlich vertretene Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung jedoch nicht gestellt.

Die zweite Frage ist nicht klärungsbedürftig. Ein rechtswidriger Rechtsakt kann in einen anderen Rechtsakt umgedeutet werden, wenn dieser auf das gleiche Ziel gerichtet von der erlassenden Behörde unter den gleichen Verfahrensvoraussetzungen hätte erlassen werden können, er den Adressaten nicht ungünstiger stellt und anzunehmen ist, dass er dem mutmaßlichen Willen der erlassenden Behörde entspricht (vgl. § 47 VwVfG , BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1981 - 8 C 15.81 - BVerwGE 62, 300 <306> = juris Rn. 23). Die getroffene Regelung wird durch eine andere ersetzt (vgl. BVerwG, Urteile vom 19. August 1988 - 8 C 29.87 - BVerwGE 80, 96 <97 f.> = juris Rn. 12 und vom 18. Januar 2017 - 8 C 1.16 - BVerwGE 157, 187 Rn. 18 f.). Danach scheidet die von der Beschwerde ins Auge gefasste Umdeutung von vornherein aus. Der deklaratorischen Wiedergabe einer ohnehin geltenden Rechtsvorschrift kommt keinerlei Rechtsaktqualität zu. Eine Festsetzung mit Regelungsgehalt und ein deklaratorischer Hinweis sind auch nicht auf das gleiche Ziel gerichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 , § 52 Abs. 1 GKG .

Vorinstanz: VGH Bayern, vom 12.12.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 9 N 19.600