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BSG - Entscheidung vom 29.01.2024

B 2 U 81/23 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3

BSG, Beschluss vom 29.01.2024 - Aktenzeichen B 2 U 81/23 B

DRsp Nr. 2024/5948

Nichtzulassung der Revision in einer Verfahren wegen der Anerkennung einer Krebserkrankung als Berufskrankheit

1. Wer im Rahmen der Beschwerdebegründung das Unterbleiben weiterer gerichtlicher Ermittlungen zu einr stattgehabten Exposition des Klägers mit Benzol rügt, muss einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zu letzt aufrechterhaltenen Beweisantrag bezeichnen, dem das Landessozialgericht nicht gefolgt ist. 2. "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind verfehlen die Warnfunktion des förmlichen Beweisantrags.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 12. Juni 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ;

Gründe

I

In der Hauptsache streiten die Beteiligten über die Anerkennung einer Krebserkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr 1318 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung ( BKV ) - Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol.

Die Beklagte lehnte die Anerkennung mangels nachgewiesener Benzoleinwirkung ab. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.4.2019), das LSG die Berufung zurückgewiesen (Beschluss vom 12.6.2023).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht formgerecht bezeichnet worden ist 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG ), so müssen die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist - außer im Fall absoluter Revisionsgründe - die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie rügt das Unterbleiben weiterer gerichtlicher Ermittlungen zu einer stattgehabten Exposition der Klägerin mit Benzol, insbesondere seien Betriebsakten nicht beigezogen worden. Auch sei ein Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen mit dem Argument übergangen worden, dass bereits die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht vorlägen. Mit diesem Vortrag rügt die Klägerin sinngemäß einen Verstoß gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht 103 SGG ).

Um den Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht 103 SGG ) ordnungsgemäß zu rügen, muss die Beschwerdebegründung (1.) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5.) erläutern, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann, das LSG also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte (stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 9.6.2023 - B 2 U 7/23 B - juris RdNr 7, vom 24.5.2023 - B 2 U 117/22 B - juris RdNr 4 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5, jeweils mwN).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie bezeichnet bereits keinen formellen Beweisantrag, den sie im Verfahren vor dem LSG bis zuletzt aufrechterhalten hat oder der in der Entscheidung wiedergegeben wird. Der förmliche Beweisantrag hat Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält. Diese Warnfunktion verfehlen "Beweisantritte" und Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen Schriftsätzen enthalten sind (zB BSG Beschlüsse vom 11.9.2023 - B 2 U 5/23 B - juris RdNr 7, vom 9.6.2023 - 2 U 7/23 B - juris RdNr 8 und vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11, jeweils mwN). Dass die Klägerin prozesskonforme Beweisanträge gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten habe, legt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend dar. Wird die Berufung - wie vorliegend - ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zurückgewiesen, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt des Zugangs der Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG (zB BSG Beschlüsse vom 24.5.2023 - B 2 U 117/22 B - juris RdNr 5, vom 22.6.2021 - B 13 R 29/21 B - juris RdNr 11 und vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 7). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keinen substantiierten Vortrag. Bezüglich der geltend gemachten Zeugenbefragung legt die Beschwerdebegründung nicht dar, dies überhaupt im Verfahren geltend gemacht zu haben. Hinsichtlich der im Berufungsverfahren am 22.5.2019 begehrten Beiziehung der Betriebsakten einschließlich sachverständiger Auswertung und der mit Schriftsatz vom 2.2.2023 geltend gemachten Anhörung eines Sachverständigen zeigt sie weder auf, diese Begehren als prozesskonformen Beweisantrag formuliert zu haben 118 Abs 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 403 ZPO ), noch, dass es sich beim Antrag vom 2.2.2023 um einen solchen nach § 103 SGG gehandelt hat 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ).

Der Vortrag der Klägerin erfüllt aber auch im Weiteren nicht die Anforderungen an die Bezeichnung des gerügten Mangels. So zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, warum das LSG sich aus seiner sachlich-rechtlichen Sicht heraus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (zB BSG Beschlüsse vom 6.9.2023 - B 2 U 90/22 B - juris RdNr 14, vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 und vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - SozR 1500 § 160 Nr 5 S 6 = juris RdNr 2). Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind.

Dazu enthält die Beschwerdebegründung indes keinen hinreichenden Vortrag. Sie zeigt insbesondere nicht den maßgeblichen sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG auf. Erforderlich wäre die Darstellung des vom LSG festgestellten 163 SGG ) entscheidungserheblichen Sachverhaltes einschließlich der Verfahrensgeschichte gewesen, um das Beschwerdegericht in die Lage zu versetzen, den Standpunkt des LSG nachzuvollziehen und das Vorliegen eines Aufklärungsmangels zu bewerten (zB BSG Beschlüsse vom 6.11.2023 - B 2 U 14/23 B - juris RdNr 14, vom 21.3.2023 - B 2 U 148/22 B - juris RdNr 8 und vom 17.5.2022 - B 2 U 91/21 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es hier auch bezüglich der gerügten unterbliebenen Beiziehung von Betriebsakten. Die Klägerin hätte konkret dazu vortragen müssen, welche weiteren entscheidungserheblichen Erkenntnisse diese enthalten hätten, insbesondere aus welchen Gründen sich aus diesen eine Exposition konkret der Klägerin mit Benzol ergeben hätte und dies auch unter Einbeziehung weiterer Ermittlungsergebnisse - wie zB durchgeführter Zeugenbefragungen - den erforderlichen Vollbeweis einer Exposition hätten erbringen können.

Im Kern rügt die Beschwerdebegründung indes eine unzutreffende Würdigung des LSG des von ihm zugrunde gelegten Sachverhaltes bezüglich der Frage einer beruflichen Exposition der Klägerin mit Benzol mit dem Ergebnis, dass das LSG sich nicht vom Vorliegen einer Exposition im Vollbeweis hat überzeugen können. Dies betrifft jedoch die Beweiswürdigung iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG , die einer Rüge als Verfahrensfehler im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vollständig entzogen ist 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 Satz 2 und 3 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: SG Halle, vom 18.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen S 23 U 128/16
Vorinstanz: LSG Sachsen-Anhalt, vom 12.06.2023 - Vorinstanzaktenzeichen L 6 U 51/19