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BSG - Entscheidung vom 16.01.2024

B 1 KR 90/22 B

Normen:
SGB V § 13 Abs. 5
SGG § 160 Abs. 2

BSG, Beschluss vom 16.01.2024 - Aktenzeichen B 1 KR 90/22 B

DRsp Nr. 2024/6060

Nichtzulassung der Revision in einem Verfahren wegen der Geltenmachung eines Anspruchs auf Erstattung der Kosten einer ambulanten Penis-Operation

§ 31 Abs. 5 Zulassungsverordnung für Ärzte ( Ärzte-ZV ) und § 8 Bundesmanteltarifvertrag-Ärzte auseinander, beinhalten eine Ermächtigung von Ärzten aus Mitgliedstaaten der EU zur Erbringung von Dienstleistungen ohne Niederlassung in der BRD und ohne Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, die gerade gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit dienen. Die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden und den hierauf abzielenden krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung dar, sondern zielt lediglich auf die Klärung von Tatfragen ab, soweit die erfragte Tatsache nicht ausnahmsweise selbst ein Tatbestandsmerkmal einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung darstellt.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. April 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGB V § 13 Abs. 5 ; SGG § 160 Abs. 2 ;

Gründe

I

Die Beteiligen streiten über die Erstattung der Kosten einer ambulanten Penis-Operation.

Bei dem 1949 geborenen und bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versicherten Kläger kam es infolge einer Induratio Penis Plastica (IPP, Bindegewebserkrankung des Penis, bei der es zur Bildung fibrinöser Plaques am Penisschaft kommt) zu einer Krümmung des Penis. Seinen Antrag auf Übernahme der Kosten einer ambulanten Operation nach der sog Grafting-Methode durch den in Deutschland nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Urologen K lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 2.10.2013, Widerspruchsbescheid vom 30.1.2014). Die auf Erstattung der Kosten der zwischenzeitlich von dem Kläger auf eigene Rechnung durchgeführten ambulanten Operation iHv 12 300 Euro gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der Kostenerstattungsanspruch scheitere bereits am Fehlen eines entsprechenden Sachleistungsanspruchs. Der behandelnde Arzt K nehme nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teil und bei der Operation habe es sich um eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) noch nicht anerkannte neue Behandlungsmethode gehandelt. Die fehlende Anerkennung durch den GBA beruhe nicht auf einem Systemversagen und die Voraussetzungen von § 2 Abs 1a SGB V lägen ebenfalls nicht vor. Bei der Penisverkrümmung und den damit einhergehenden funktionalen Beeinträchtigungen handele es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder wertungsmäßig hiermit vergleichbare Erkrankung. Der Penis sei kein Sinnesorgan und Erektionsfähigkeit keine herausgehobene Körperfunktionen (Urteil vom 26.4.2022).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) und des Verfahrensmangels (dazu 2.).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

a) Hinsichtlich der Frage,

"ob ein Dienstleistungserbringer aus einem anderen Mitgliedstaat im Inland eine Dienstleistung für einen Inländer erbringen kann, dieser infolge der zu gewährenden Dienstleistungsfreiheit auch einen Erstattungsanspruch gegen seine inländische Krankenversicherung hat, gegebenenfalls hilfsweise analog der Bestimmung von § 13 Abs. 5 SGB V ",

fehlt es an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit.

Klärungsbedürftig sind solche entscheidungserheblichen Rechtsfragen, auf die sich eine Antwort noch nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht unmittelbar geklärt sind und auf die sich eine Antwort auch nicht zumindest mittelbar aus bereits vorhandenen höchstrichterlichen Entscheidungen finden lässt. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Daran fehlt es.

Der Kläger setzt sich insbesondere nicht mit den Regelungen in § 31 Abs 5 Zulassungsverordnung für Ärzte ( Ärzte-ZV ) und § 8 Bundesmantelvertrag-Ärzte auseinander, die - in Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG - eine Ermächtigung von Ärzten aus Mitgliedstaaten der EU zur Erbringung von Dienstleistungen ohne Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland und ohne Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung vorsehen, und die gerade der Umsetzung der durch Art 56 f AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit dienen (vgl hierzu auch bereits BSG vom 11.9.2019 - B 1 KR 62/18 B - juris RdNr 5).

b) Bei den vom Kläger formulierten Fragen,

"ob ein Erstattungsanspruch in Folge eines 'Systemversagens' bestehen kann, wenn für die Behandlung der IPP keine Empfehlung des G-BA vorliegt und wegen der Besonderheit der IPP auch nicht vorliegen wird, was zu einer Versorgungslücke führt, gegebenenfalls hilfsweise analog der Bestimmung von § 13 Abs. 3 SGB V "

und

"ob ein Erstattungsanspruch in Folge wertungsgemäßen Betrachtung nach § 2 Abs. 1a SGB V bestehen kann, wenn man eine Peniserkrankung, wie die der IPP als eine Krankheit begreifen muss, die eine herausgehobene körperliche Funktion, auch bei Beachtung des Fortpflanzungsgedankens, beeinträchtigt",

handelt es sich schon nicht um hinreichend konkretisierte abstrakte Rechtsfragen.

Eine Rechtsfrage ist regelmäßig nur eine solche des materiellen oder des Verfahrensrechts, die mit Mitteln juristischer Methodik beantwortet werden kann und im Kern auf die Entwicklung abstrakter Rechtssätze durch das BSG abzielt (vgl BSG vom 22.8.2023 - B 1 KR 22/23 B - juris RdNr 6 mwN). Die Konkretisierung setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - RdNr 10).

Die Fragen des Klägers sind so allgemein gehalten, dass ihre Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde. Sie könnte offensichtlich nicht losgelöst von näher zu differenzierenden Sachverhaltskonstellationen beantwortet werden. Eine in dieser Weise unkonkrete Frage kann jedoch gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein (vgl hierzu auch BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8).

Zudem ist die Frage nach den Therapiemöglichkeiten für ein einzelnes Leiden (hier der IPP) und den darauf bezogenen krankenversicherungsrechtlichen Behandlungsanspruch regelmäßig keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher" Bedeutung, sondern zielt nur auf die Klärung von Tatfragen ab, soweit die erfragte - generelle - Tatsache nicht ausnahmsweise selbst Tatbestandsmerkmal einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung ist (vgl BSG vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 9; BSG vom 12.2.2014 - B 1 KR 30/13 B - juris RdNr 7; BSG vom 24.1.2017 - B 1 KR 92/16 B - juris RdNr 9, jeweils mwN).

Hinsichtlich der Frage zum sog Systemversagen fehlt es überdies auch an Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht inhaltlich mit der Rechtsprechung des BSG zum sog Systemversagen auseinander (ua BSG vom 16.9.1997 - 1 RK 28/95 - BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 = juris RdNr 35; BSG vom 12.8.2009 - B 3 KR 10/07 R - BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 21; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 44/12 R - BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 16 ff; zur Verfassungsmäßigkeit vgl BVerfG vom 23.3.2017 - 1 BvR 2861/16 - juris RdNr 5).

Soweit der Kläger diese Rechtsprechung pauschal kritisiert und meint, die Anforderungen an ein Systemversagen seien "zu formell" und bedürften "im Sinne des Patientenschutzes" einer Überprüfung, genügt sein Vorbringen auch nicht den Anforderungen an die Darlegung einer erneuten Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zBBSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - juris RdNr 7; BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl BSG vom 3.9.2020 - B 1 KR 79/19 B - juris RdNr 6 mwN). An diesen Anforderungen richtet der Kläger sein Vorbringen nicht aus.

2. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es vorliegend.

a) Soweit der Kläger hinsichtlich der Verneinung der Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V durch das LSG eine fehlerhafte Beweiswürdigung rügt, kann er hiermit wegen des ausdrücklichen Ausschlusses einer Rüge der Verletzung von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG durch § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht durchdringen.

b) Soweit der Kläger eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG hinsichtlich der Voraussetzungen eines sog Systemversagens rügt, bezeichnet er keinen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag, dem das LSG nicht gefolgt ist (vgl auch dazu bereits BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN; BSG vom 11.9.2019 - B 1 KR 62/18 B - juris RdNr 7 mwN).

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: SG Itzehoe, vom 18.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 20 KR 39/14
Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 26.04.2022 - Vorinstanzaktenzeichen L 10 KR 36/18