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BGH - Entscheidung vom 06.02.2024

VIa ZR 578/22

Normen:
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1
EG-FGV § 27 Abs. 1

BGH, Urteil vom 06.02.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 578/22

DRsp Nr. 2024/2707

Schadensersatzanspruch eines Käufers eines Gebrauchtfahrzeugs gegen den Hersteller wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen; Zustehen eines Anspruchs auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. März 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 823 Abs. 2 ; BGB § 826 ; EG-FGV § 6 Abs. 1; EG-FGV § 27 Abs. 1;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger kaufte am 6. November 2019 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GL 350 BlueTec 4Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei kühleren und höheren Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug ist mit einem SCR-System ausgestattet, bei dem in einen SCR-Katalysator die Harnstofflösung "AdBlue" in zwei unterschiedlichen Dosiermodi eingespritzt wird.

Der Kläger hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüsseln und -papieren, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und ihrer Pflicht zum Ersatz aus der Manipulation des Fahrzeugs resultierender Schäden sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

A.

Die Berufung des Klägers war zulässig, was als Prozessfortsetzungsbedingung im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat der Kläger sein Rechtsmittel gemäß § 520 Abs. 2 ZPO rechtzeitig am 18. Mai 2021 begründet. Der Fristverlängerungsantrag des Klägers war unmissverständlich darauf gerichtet, dass die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat verlängert werden möge. Soweit der Kläger das danach maßgebliche Fristende nicht auf den 19. Mai 2021, sondern fälschlich auf den 17. Mai 2021 datiert hat, handelte es sich um einen offenkundigen Schreibfehler (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 318/22, juris Rn. 6 f.). Dementsprechend hat der Vorsitzende des Berufungssenats die Frist bis zum 19. Mai 2021 verlängert, wie sich zur Überzeugung des Senats aus der handschriftlich ergänzten Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 15. April 2021 ergibt.

B.

Das angegriffene Urteil hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kläger könne sein Klagebegehren nicht auf §§ 826 , 31 BGB stützen. Es könne dahinstehen, ob das Thermofenster und die Dosierung der "AdBlue"-Zufuhr unzulässige Abschalteinrichtungen darstellten. Der Kläger habe jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte aufgezeigt, die die Annahme rechtfertigten, die Beklagte habe sittenwidrig gehandelt.

II.

Diese Beurteilung ist von Rechtsfehlern beeinflusst.

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826 , 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht in Erwägung gezogen hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO , weil es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO . Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO . Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO .

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 6. Februar 2024

Vorinstanz: LG Hagen, vom 04.02.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 6 O 103/20
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 29.03.2022 - Vorinstanzaktenzeichen I-28 U 36/21