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BGH - Entscheidung vom 16.01.2024

VIa ZR 578/21

Normen:
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1
EG-FGV § 27 Abs. 1

BGH, Urteil vom 16.01.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 578/21

DRsp Nr. 2024/2021

Schadensersatzanspruch eines Käufers eines Gebrauchtfahrzeugs gegen den Hersteller wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen; Zustehen eines Anspruchs auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens

1. Zwar ist eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde indiziert, wenn eine im Fahrzeug des Käufers verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert. Funktioniert die unzulässige Abschalteinrichtung jedoch auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise oder ist sie nicht grenzwertkausal, kommt eine objektive Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann. 2. Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 22. September 2021 aufgehoben, soweit der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von an den Kläger zu zahlenden 26.993,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Oktober 2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, der Berufungsantrag zu 2 sowie der Berufungsantrag zu 3 in Höhe eines für erledigt erklärten Betrags von 2.328,92 € zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 823 Abs. 2 ; BGB § 826 ; EG-FGV § 6 Abs. 1; EG-FGV § 27 Abs. 1;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger kaufte am 11. April 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" ab einer Außentemperatur von jedenfalls 14° C reduziert. Ferner kommt eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) zum Einsatz, die unter bestimmten Betriebsbedingungen während einer durch einen Timer gesteuerten Zeitdauer die Sollwerttemperatur für das Kühlmittelthermostat von 100° C auf 70° C absenkt.

Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von 27.015,59 € (Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung) nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 1) sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) und der Erledigung des Antrags zu 1 in Höhe eines Teilbetrags von 2.328,92 € (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

Ein Anspruch aus § 826 BGB sei nicht zu erkennen. Der Kläger habe die tatsächlichen Voraussetzungen für eine sittenwidrige Handlung im Unternehmen der Beklagten nicht dargelegt. Es könne dahinstehen, ob auf der Grundlage seines Vortrags das Thermofenster oder die KSR eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Auch bei Unterstellung der Unzulässigkeit dieser Einrichtungen habe der Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte für die Prüfstandsbezogenheit ihrer Funktionsweise oder für weitere Umstände aufgezeigt, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Damit sei auch ein Schädigungsvorsatz nicht festzustellen. Der Kläger könne den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf Erstattung des Kaufpreises auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Sein geltend gemachtes Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der EG-FGV.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB mangels eines sittenwidrigen Verhaltens verneint hat.

a) Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist indiziert, wenn eine im Fahrzeug des Käufers verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11 mwN; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11). Funktioniert die unzulässige Abschalteinrichtung dagegen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise oder ist sie nicht grenzwertkausal, kommt eine objektive Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann (BGH, Urteil vom 6. November 2023, aaO, Rn. 12 mwN; Urteil vom 11. Dezember 2023, aaO).

b) Das Berufungsgericht hat greifbare Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise des Thermofensters, der KSR oder des Timers oder für ein sonstiges heimliches und manipulatives Vorgehen der Beklagten nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an den Sachvortrag des Klägers zur Prüfstandsbezogenheit der KSR und des Timers unter unzulässiger Vorwegnahme der Beweiswürdigung überspannt und diesbezügliches Vorbringen des Klägers außer Acht gelassen, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32; zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO . Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO . Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO .

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 ) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 16. Januar 2024

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 14.02.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 23 O 32/19
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 22.09.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 65/20