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BGH - Entscheidung vom 31.01.2024

2 StR 351/23

Normen:
StPO § 261

Fundstellen:
NStZ-RR 2024, 153

BGH, Urteil vom 31.01.2024 - Aktenzeichen 2 StR 351/23

DRsp Nr. 2024/4170

Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Blick auf eine mögliche Strafbarkeit wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

1. Die Eigentums- und Besitzrechte an einer Waffe haben keinen Einfluss auf deren Zugriffsmöglichkeit. 2. Der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln wird nur dann erfüllt, wenn der betreffende Gegenstand nicht nur objektiv zur Verletzung von Menschen geeignet, sondern hierzu auch subjektiv bestimmt ist, was entsprechende tatsachenfundierte Feststellungen voraussetzt. 3. Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot liegt vor, wenn das Gericht zu Lasten des Angeklagten einen Umstand wertet, der dem Tatbestand immanent ist.

Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. März 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben; die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 261 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte und zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg. Das ebenfalls auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, im Übrigen ist es unbegründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, spätestens jedoch am 16. September 2022, mit Marihuana zu handeln. Am 29. September 2022 wurde anlässlich einer Durchsuchung seines circa 15 Quadratmeter großen Appartements in drei Druckverschlusstüten eine Handelsmenge von 89,42 g Cannabisblüten mit einem Wirkstoffgehalt von 13,2 % (11,8 g THC) gefunden. In einem Bettkasten lagerte er in einer Papiertüte eine ungeladene Gasdruckpistole und einen Behälter mit Rundkugeln (Diabolos). Des Weiteren verwahrte er in diesem Bettkasten eine Plastiktüte mit zehn Gaskartuschen, in einem Kunststoffkoffer eine ungeladene PTB-Waffe sowie, ebenfalls in dem Bettkasten, ein Fahrtenmesser mit einer Klingenlänge von 14 cm. Unterhalb des Fensters des Appartements stand eine schwarze Sporttasche, in der sich ein Elektroschocker befand.

Anlass der Durchsuchung war der Fund von Lichtbildern auf dem Mobiltelefon des Angeklagten mit dem Zeitstempel vom 16. September 2022, auf denen er auf dem Bett seines Appartements mit zwei schwarzen Faustfeuerwaffen in den Händen zu sehen war. Auf dem Bett lagen eine größere Menge Marihuana, ein Elektroschocker, Pfefferspray sowie mindestens 500 €.

Die Strafkammer vermochte sich nicht von einem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ) durch den Angeklagten zu überzeugen. Die Gaspistole und die PTB-Waffe seien im Zeitpunkt der Wohnungsdurchsuchung ungeladen gewesen; beide Waffen hätten sich, ebenso wie das Fahrtenmesser, im Bettkasten befunden, so dass ein Zugriff nur mit zeitlicher Verzögerung möglich gewesen sei. Das sichergestellte Pfefferspray sei nicht zur Verletzung von Menschen bestimmt gewesen. Der Angeklagte habe sich dahingehend eingelassen, das als Tierabwehrspray gekennzeichnete Pfefferspray für Waldspaziergänge zu nutzen; Anhaltspunkte für anderslautende Absichten seien nicht zu erkennen. Den Elektroschocker habe der Angeklagte nicht mit sich geführt. Seiner tatsächlichen Herrschaftsausübung stünden die Eigentums- und Besitzrechte eines Zeugen entgegen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Fehler zuungunsten des Angeklagten auf (§ 261 StPO ).

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO ); die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. November 2021 - 5 StR 127/21, juris Rn. 11; vom 8. Juni 2022 - 2 StR 503/21, juris Rn. 11; Beschluss vom 28. April 2020 - 2 StR 494/19, juris Rn. 5).

b) Bezogen auf die Verhältnisse am 29. September 2022 ist die Beweiswürdigung des Landgerichts mit Blick auf eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln lückenhaft.

aa) Die Strafkammer hat die auf dem Foto vom 16. September 2022 abgebildete Szene nicht in ihre Beweiswürdigung zur Bewertung des Geschehens vom 29. September 2022 einbezogen, obwohl der Sachverhalt dazu drängte.

(1) Ihre Wertung, "der tatsächlichen Herrschaftsausübung des Angeklagten über den Elektroschocker" - eine Waffe im technischen Sinne gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a), Abs. 4 i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.2.1 WaffG , bei der es für den bewaffneten Handel mit Betäubungsmitteln keiner Feststellung zur subjektiven Zweckbestimmung bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2016 - 2 StR 22/16, NStZ-RR 2016, 375 , 376) - stünden "die Eigentums- und Besitzrechte des Zeugen B. entgegen", lässt außer Betracht, dass der Angeklagte dem Foto entsprechend jedenfalls am 16. September 2022 die Herrschaftsmacht über den Elektroschocker, der in seinem unmittelbaren Zugriffsbereich liegt, tatsächlich ausübt. Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, wieso die "Eigentums- und Besitzrechte" an dem Elektroschocker seiner Zugriffsmöglichkeit am 29. September 2022 entgegenstanden.

(2) Das gleiche gilt für die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe "überzeugend angegeben, dass er oft im Wald spazieren gehe und das Pfefferspray daher in seinem Rucksack mit sich führe". "Anhaltspunkte für andere Absichten des Angeklagten" habe sie nicht erkennen können.

(a) Zwar ist die Strafkammer im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass das Gerät als bloßes Tierabwehrspray weder eine Waffe im technischen Sinne (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) WaffG ) noch eine gekorene Waffe (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b) WaffG ) darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 445/20, NStZ 2022, 303 , 304 Rn. 28). Der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln wird mithin nur dann erfüllt, wenn der betreffende Gegenstand nicht nur objektiv zur Verletzung von Menschen geeignet, sondern hierzu auch subjektiv bestimmt ist, was entsprechende tatsachenfundierte Feststellungen voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - 3 StR 445/20, NStZ 2022, 303 , 304; Beschluss vom 4. Juli 2023 - 2 StR 219/22, juris Rn. 8 ff.).

(b) Weshalb das Foto vom 16. September 2022, auf dem das Pfefferspray neben dem - zwei Faustfeuerwaffen haltenden - Angeklagten auf dessen Bett mit Betäubungsmitteln, einer erheblichen Menge Geld und einem Elektroschockgerät abgebildet ist, keinen Anhaltspunkt für eine entsprechende Zweckbestimmung bietet, lassen die Urteilsgründe offen. Damit bleiben wesentliche Umstände unbeleuchtet.

Anhaltspunkte für eine Zweckbestimmung im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG können sich aus den äußeren Umständen ergeben, insbesondere aus der Beschaffenheit des Gegenstandes und seinen sonstigen Verwendungsmöglichkeiten, aber auch aus dem Ort und der Art seiner Aufbewahrung (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 - 5 StR 547/17, juris Rn. 30). Zwar hat die Strafkammer gesehen, dass der Angeklagte auf den Lichtbildern "die Betäubungsmittel selbstdarstellerisch nutzt und gerade das Bild eines potenten Verkäufers suggeriert, dessen Machtanspruch durch das Drapieren diverser Waffen und Werkzeuge noch untermauert werden soll". Sie hat diesen Umstand jedoch lediglich als Indiz für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch den Angeklagten gewertet. Eine weitergehende Würdigung im Hinblick auf ein mögliches bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln lassen die Urteilsgründe hingegen vermissen.

bb) Die Strafkammer hat zudem versäumt, die Vorsprache des Angeklagten auf der Polizeiwache am 29. September 2022 in den Blick zu nehmen. Denn der Angeklagte führte "zu diesem Zeitpunkt ein Pfefferspray mit sich". Eine nähere Beleuchtung dieses Umstands ist unterblieben, obwohl damit widerlegt ist, dass der Angeklagte das Pfefferspray nur bei Waldspaziergängen mit sich führte. Offen bleibt und hätte der Erörterung bedurft, welchen Zweck der Angeklagte damit verfolgte.

2. Daneben hat das Landgericht die Reichweite seiner Kognitionspflicht verkannt (§ 264 Abs. 1 StPO ).

a) Nach § 264 Abs. 1 StPO muss das Gericht die in der Anklage bezeichnete Tat so, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt, unter allen rechtlichen Gesichtspunkten aburteilen. Es ist verpflichtet, den Unrechtsgehalt der Tat voll auszuschöpfen, sofern keine rechtlichen Hindernisse im Wege stehen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. August 2017 - 2 StR 456/16, NStZ 2018, 347 , 350 Rn. 27 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht den gesamten angeklagten Tatzeitraum, nach dem dem Angeklagten ein bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln "zwischen dem 16. und 29.09.2022" vorgeworfen wird, in den Blick genommen. Es hat seine tatsächliche und rechtliche Prüfung auf den Zeitpunkt der Durchsuchung am 29. September 2022 beschränkt und ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte an diesem Tag keine Gegenstände im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG mit sich führte. Für die Tatbestandsverwirklichung genügt indessen, dass dem Täter ein zur Verletzung von Personen bestimmter Gegenstand in irgendeinem Stadium des Tathergangs zur Verfügung steht, das heißt sich so in seiner räumlichen Nähe befindet, dass er hierauf jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten, zugreifen kann. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, reicht es aus, wenn der qualifizierende Umstand des Mitsichführens nur bei einem Einzelakt verwirklicht wird (vgl. BGH, Urteile vom 12. Januar 2017 - 1 StR 394/16, NStZ 2017, 714 , 717; vom 23. Oktober 2019 - 2 StR 294/19, NStZ 2020, 233 , 234; Beschluss vom 10. Mai 2023 - 4 StR 340/22, NStZ-RR 2023, 317 , 318). Eine Prüfung, ob durch die abgebildete Szene vom 16. September 2022 ein bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch den Angeklagten dargestellt wird, lassen die Urteilsgründe vermissen.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs mitsamt den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO ). Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei umfassender Würdigung der vorstehend aufgezeigten Umstände von einem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ausgegangen wäre (§ 337 Abs. 1 StPO ).

III.

Das Rechtsmittel des Angeklagten ist teilweise begründet. Während die Überprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat, hat der Strafausspruch keinen Bestand.

1. Das Landgericht hat dem Angeklagten straferschwerend zur Last gelegt, mit Gewinnerzielungsabsicht gehandelt zu haben. Es hat damit zu seinen Lasten einen Umstand gewertet, der dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln immanent ist, und damit gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB ) verstoßen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 - 2 StR 616/13, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Handeltreiben 7; vom 9. November 2017 - 4 StR 393/17, StV 2018, 489 ; vom 21. August 2018 - 2 StR 231/18, juris Rn. 16; jeweils mwN).

2. Überdies hat das Landgericht dem Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung zur Last gelegt, sein Geschäftsgebaren habe "letztlich nur durch die Wohnungsdurchsuchung der Polizei aufgedeckt und beendet" werden können. Darin liegt der Sache nach die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe von der weiteren Tatausführung nicht selbständig Abstand genommen. Auch hierin liegt ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2010 - 4 StR 532/10, NStZ-RR 2011, 271 ).

3. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass dieser bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung niedriger ausgefallen wäre. Da es sich lediglich um Wertungsfehler handelt, hat der Senat insoweit von der Anwendung des § 353 Abs. 2 StPO abgesehen.

IV.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Mit der Aufhebung des Urteils ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung gegenstandslos (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2018 - 4 StR 364/17, juris Rn. 11).

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Köln, vom 28.03.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 106 KLs 1/23 180 Js 910/22
Fundstellen
NStZ-RR 2024, 153