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BGH - Entscheidung vom 19.03.2024

VIa ZR 886/22

Normen:
BGB § 31
BGB § 826

BGH, Urteil vom 19.03.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 886/22

DRsp Nr. 2024/5333

Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz

Die Vorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar, welche das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller sichern, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße gemäß der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Demgemäß haftet der Fahrzeughersteller gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung eines Thermofensters gegenüber dem Fahrzeugkäufer auf Ersatz des sog. Differenzschadens.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers - mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen aus den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 31 ; BGB § 826 ;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger erwarb am 30. August 2013 von einem Händler ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Wohnmobil VW T5 California Comfortline, das mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" außerhalb eines Temperaturbereichs von jedenfalls etwa 3° C bis über 35° C reduziert. Ob in dem Fahrzeug eine an die Fahrkurvenerkennung anknüpfende sogenannte "Umschaltlogik" zum Einsatz kommt, steht zwischen den Parteien im Streit. Das Fahrzeug ist nicht von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verlangt und den ursprünglich weitergehenden Zahlungsantrag für erledigt erklärt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB seien nicht erfüllt. Der Kläger habe eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht schlüssig dargelegt. Es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrkurvenerkennung mit der von Personenkraftwagen bekannten Umschaltlogik programmiert sei. Der Kläger sei dem nachvollziehbaren Vortrag der Beklagten nicht entgegengetreten, dem für das Nutzfahrzeug geltenden höheren Stickoxidgrenzwert sei durch eine ohne Umschaltlogik operierende Auslegung Rechnung getragen worden. Der Einbau des Thermofensters reiche nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben, auch wenn es als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sein sollte. Der Kläger könne den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Die Vorschriften der EG-FGV schützten nicht das Interesse des Fahrzeugerwerbers, nicht mit einer ungewollten Verbindlichkeit belastet zu werden.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826 , 31 BGB verneint hat, weil es einen tatsächlichen Anhaltspunkt für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Klägers zur Prüfstandsbezogenheit der im Fahrzeug verbauten Fahrkurvenerkennung zu Unrecht für unbeachtlich gehalten, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO , weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO . Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO . Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO .

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 19. März 2024

Vorinstanz: LG Chemnitz, vom 31.01.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 991/21
Vorinstanz: OLG Dresden, vom 23.05.2022 - Vorinstanzaktenzeichen U 363/22