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BGH - Entscheidung vom 27.02.2024

VIa ZR 464/22

Normen:
BGB § 823
BGB § 826

BGH, Urteil vom 27.02.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 464/22

DRsp Nr. 2024/4798

Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung

Dem Käufer eines Fahrzeugs kann wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen durch den Fahrzeughersteller ein Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens zustehen, da die Regelungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellen, welche das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, durch den Kaufvertragsabschluss keine Vermögenseinbuße zu erleiden, da das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 aufweist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 34. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Februar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 823 ; BGB § 826 ;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger erwarb im März 2017 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 250 d T, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei kühleren Temperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung und ist mit einem SCR-System ausgestattet.

Der Kläger, dessen Klage in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und die Feststellung der Erledigung des ursprünglich weitergehenden Antrags begehrt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten, die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Beklagte hafte nicht aus §§ 826 , 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. Es mangele sowohl an der Anspruchsvoraussetzung der Sittenwidrigkeit als auch an notwendigen Feststellungen zum Schädigungsvorsatz. Ein Anspruch folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Schutzbereich dieser Normen.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826 , 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO , weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO . Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO . Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO .

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 27. Februar 2024

Vorinstanz: LG Essen, vom 08.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 355/19
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 08.02.2022 - Vorinstanzaktenzeichen I-34 U 186/20