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BGH - Entscheidung vom 30.01.2024

VIa ZR 59/23

Normen:
BGB § 31
BGB § 826

BGH, Urteil vom 30.01.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 59/23

DRsp Nr. 2024/2344

Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 15. Dezember 2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 1. Februar 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 31 ; BGB § 826 ;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger kaufte im April 2015 einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten AUDI A6 3.0 TDI, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe 896 Generation 2 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz und Feststellung des Annahmeverzugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er nur sein Schadensersatzbegehren weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag aus dem zweiten Rechtszug weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 826 , 31 BGB zu. Denn er habe die nach § 826 BGB erforderliche vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht hinreichend dargetan. In der Verwendung eines Thermofensters, das auch außerhalb des Prüfstandsbetriebs Anwendung finde, könne eine sittenwidrige Schädigung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur unter besonderen Umständen liegen. Wie das Thermofenster so unterschieden auch die übrigen, seitens des Klägers behaupteten Abschalteinrichtungen nicht nach einem Betrieb im Prüfstand oder im gewöhnlichen Straßenverkehr. Besondere Umstände im Sinne einer Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts habe der Kläger nicht dargetan. So seien Anhaltspunkte für ein Unrechtsbewusstsein bei der Beklagten nicht ersichtlich. Das Gleiche gelte für einen Schädigungsvorsatz. Ebenso wenig sei ersichtlich, inwiefern der Kläger einen Schaden erlitten habe. Denn zu keinem Zeitpunkt habe die Gefahr von Betriebsbeschränkungen bestanden.

Schließlich stehe dem Kläger auch kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liege das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich der in Frage kommenden Bestimmungen.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826 , 31 BGB mangels Darlegung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den Kläger verneint. Soweit die Revision dem entgegenhält, das Berufungsgericht habe sein Vorbringen zu einem Prüfstandsbezug nicht des Thermofensters, sondern weiterer Abschalteinrichtungen gehörswidrig übergangen, trifft das nicht zu. Nicht richtig ist auch, dass das Berufungsgericht derart prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen unterstellt hat. Vielmehr hat das Berufungsgericht insofern lediglich das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen unterstellt. Im Weiteren hat es ausdrücklich festgehalten, dass die im Fahrzeug des Klägers eingesetzten Abschalteinrichtungen jeweils nicht nach einem Betrieb des Fahrzeugs im Prüfstand und dem gewöhnlichen Fahrbetrieb unterschieden. Die Revision zeigt nicht auf, dass und inwiefern der Kläger entgegen den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Abschalteinrichtung konkret behauptet hatte, die für die Emissionskontrolle nach nur beim Prüfstandsbetrieb vorkommenden Kriterien oder Kombinationen solcher Kriterien unterscheidet (vgl. zur Relevanz des Prüfstandsbezugs im Rahmen eines Anspruchs aus § 826 BGB BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 303/20, juris Rn. 11 f. mwN).

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens, der nicht ohne Verletzung von § 287 Abs. 1 ZPO verneint werden kann (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 41) gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 30. Januar 2024

Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 18.11.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 10 O 1614/20
Vorinstanz: OLG Naumburg, vom 15.12.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 133/21