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BGH - Entscheidung vom 05.03.2024

VIa ZR 936/22

Normen:
BGB § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1
EG-FGV § 27 Abs. 1

BGH, Urteil vom 05.03.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 936/22

DRsp Nr. 2024/4591

Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen. Das Vorliegen eines solchen Schadens ergibt sich bereits aus der mit dem Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung einhergehenden Möglichkeit von Betriebsbeschränkungen und kann dementsprechend im Falle der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 Abs. 1 ZPO verneint werden.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 9. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 826 ; EG-FGV § 6 Abs. 1; EG-FGV § 27 Abs. 1;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Er erwarb am 29. April 2015 für 27.750 € ein von der Beklagten hergestelltes Kraftfahrzeug BMW 330d Touring, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor ausgerüstet ist.

Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kläger habe die Voraussetzung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 826 , 31 BGB nicht hinreichend dargetan. So funktioniere das Kaltstartheizen nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht nur im Prüfstandsbetrieb. Dasselbe gelte für das Thermofenster. Weitere Umstände, die für eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen sprächen, fehlten.

Der Kläger könne von der Beklagten nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadensersatz verlangen, weil der geltend gemachte Schaden nicht vom Schutzzweck der maßgebenden Bestimmungen des Unionsrechts erfasst werde. Die Verletzung unionsrechtlicher Bestimmungen könne allenfalls zum Ersatz solcher Schäden führen, die durch eine Betriebsbeschränkung entstünden oder auf die Vermeidung einer solchen zurückgingen. Solche Schäden seien aber nicht geltend gemacht.

Schlussendlich fehle es mit Rücksicht auf die uneingeschränkte Nutzbarkeit des Kraftfahrzeugs während der vergangenen sieben Jahre seit dem Erwerb einerseits und das Ergebnis wiederholter Überprüfungen seitens des KBA andererseits an einem haftungsausfüllenden Schaden.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826 , 31 BGB mangels vorsätzlichen sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

Ein Anspruch des Klägers auf den Differenzschaden gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann auch nicht unter Rückgriff auf die vom Berufungsgericht angestellten Erwägungen zum haftungsausfüllenden Schaden verneint werden. Vielmehr hat der Senat nach der angefochtenen Entscheidung sowohl entschieden, dass eine Verringerung des objektiven Werts des Kraftfahrzeugs infolge seiner Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zu einem Kraftfahrzeug der betreffenden Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden kann, als auch die für die Schätzung des Schadens geltenden Maßstäbe geklärt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41 und 71 ff.).

III.

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im beantragten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 5. März 2024

Vorinstanz: LG Bonn, vom 30.11.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 7 O 68/21
Vorinstanz: OLG Köln, vom 09.06.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 10 U 94/21