Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 30.01.2024

VIa ZR 361/22

Normen:
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1
EG-FGV § 27 Abs. 1

BGH, Urteil vom 30.01.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 361/22

DRsp Nr. 2024/4168

Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug

Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV liegt dem Grunde nach vor. Die vorgenannten Bestimmungen sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ; sie wahren das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 2. März 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, soweit der Berufungsantrag zu 1a in Höhe von 24.469,21 € nebst Zinsen sowie die Berufungsanträge zu 1b, zu 3 und zu 4 mit Ausnahme der mit dem Freistellungsantrag verbundenen Zinsforderung zurückgewiesen worden sind.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 823 Abs. 2 ; EG-FGV § 6 Abs. 1; EG-FGV § 27 Abs. 1;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Er erwarb am 18. Februar 2016 für 58.499,60 € - der Kaufpreis wurde teilweise durch ein Darlehen finanziert - von einem Dritten ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug BMW 750 Ld xDrive, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des KraftfahrtBundesamts (KBA) betroffen. Ein die seitens des KBA beanstandete Einrichtung betreffendes Update hat der Kläger bisher nicht vornehmen lassen.

Das Landgericht hat die auf Schadensersatz, Freistellung von weiteren Raten, Feststellung des Annahmeverzugs, Feststellung der Schadensersatzpflicht der Be klagten und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist insofern erfolglos geblieben, als das Berufungsgericht das Rechtsmittel mit der Maßgabe zurückgewiesen hat, dass die Klage zwar zulässig, aber nicht begründet sei. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB bestehe nicht, weil der Kläger hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte von unzulässigen Abschalteinrichtungen Kenntnis gehabt und die damit verbundenen Rechtsverstöße billigend in Kauf genommen habe, nicht dargetan habe. Deshalb könne ein objektiv sittenwidriges und arglistiges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt werden.

Das gelte auch mit Rücksicht auf die Auskunft des KBA, nach der die zur Steuerung des Motors verwendete Software eine sonst stattfindende Regeneration des NOx-Speicher-Katalysators nach Erreichen eines bestimmten Wärmeenergieeintrags nicht mehr vorgesehen habe und diese Vorrichtung als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet worden sei. Da die Vorrichtung aber nach der Auskunft des KBA im gewöhnlichen Fahrbetrieb ebenso funktioniere wie im Prüfstandsbetrieb, könne sie eine Sittenwidrigkeit nicht begründen. Dementsprechend setze eine hierauf gestützte Annahme der Sittenwidrigkeit weitere Umstände im Sinne eines besonders verwerflichen Verhaltens voraus. Dafür aber habe der Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt. Letztlich fehle es auch schon daran, dass der Kläger die von der Beklagten im Einzelnen bestrittene Einrichtung der vom KBA beanstandeten Software schon bei der Erwirkung der Typgenehmigung konkret dargetan habe. So sei der Kläger dem Vortrag der Beklagten, dass die betreffende Software erst anlässlich eines Werkstattbesuchs am 30. August 2016 aufgespielt worden sei, nicht hinreichend entgegengetreten.

Einem Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe entgegen, dass die vorgenannten Bestimmungen nicht dem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts von Fahrzeugkäufern dienten.II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826 , 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird es zu beachten haben, dass der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 8) und es für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 340/22, juris Rn. 12 mwN).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 30. Januar 2024

Vorinstanz: LG Stade, vom 12.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 27/19
Vorinstanz: OLG Celle, vom 02.03.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 16 U 197/21