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BGH - Entscheidung vom 30.01.2024

VIa ZR 1015/22

Normen:
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1
EG-FGV § 27 Abs. 1

BGH, Urteil vom 30.01.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 1015/22

DRsp Nr. 2024/4166

Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug

Eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV liegt dem Grunde nach vor. Die vorgenannten Bestimmungen sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ; sie wahren das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, soweit der Berufungsantrag zu I in Höhe von 21.562,83 € nebst Zinsen sowie die Berufungsanträge zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 823 Abs. 2 ; EG-FGV § 6 Abs. 1; EG-FGV § 27 Abs. 1;

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Er erwarb am 26. Januar 2015 für 24.500 € von einem Dritten ein von der Beklagten hergestelltes Kraftfahrzeug BMW X1 Xdrive18d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz und Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Kläger habe weder die Voraussetzungen eines sittenwidrigen Verhaltens noch eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten im Sinne des § 826 BGB schlüssig dargelegt. So habe der Kläger eine grundlegende strategische Entscheidung der Beklagten im eigenen Kosten- und Gewinninteresse, die unmittelbar auf eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörde oder des Klägers als Fahrzeugerwerber abziele, nicht vorgetragen. Er zeige auch mit der Berufung ein entsprechendes Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht auf. Insbesondere genüge die Verwendung eines Thermofensters hierfür nicht. Denn darin liege keine prüfstandsbezogene, unzulässige Abschalteinrichtung. Soweit der Kläger in Bezug auf weitere Abschalteinrichtungen einen Prüfstandsbezug behaupte, sei sein Vorbringen vor dem Hintergrund des Bestreitens der Beklagten nicht schlüssig. Es sei in keiner Weise ersichtlich, dass solche Einrichtungen in dem Bewusstsein verwendet worden seien, hiermit möglicherweise gegen gesetzliche Bestimmungen zu verstoßen. Ebenso fehle es an Vortrag des Klägers zu einem Schädigungsvorsatz. Allein aus den vorgetragenen Umständen könne dieser nicht geschlossen werden.

Einen Anspruch könne der Kläger auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Denn - neben der nicht schlüssigen Darlegung des erforderlichen subjektiven Tatbestands - fehle es schon am Schutzgesetzcharakter der zuletzt genannten Bestimmungen.

II.

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826 , 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - auch nicht unter Hinweis auf fehlende Darlegungen des Klägers zum subjektiven Tatbestand verneint werden. Insofern greift vielmehr eine Vermutung zugunsten des Klägers ein und obliegt dem Fahrzeughersteller die Entlastung (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 ff.).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 30. Januar 2024

Vorinstanz: LG Augsburg, vom 17.02.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 125 O 913/21
Vorinstanz: OLG München, vom 22.06.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 27 U 1685/22