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BVerfG - Entscheidung vom 07.02.2023

2 BvR 1057/22

Normen:
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
GG Art. 103 Abs. 1
AsylG § 81 S. 1

BVerfG, Beschluss vom 07.02.2023 - Aktenzeichen 2 BvR 1057/22

DRsp Nr. 2023/13777

Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Beendigung des gerichtlichen Verfahrens durch den Eintritt der Fiktion der Klagerücknahme; Androhung der Abschiebung eines Asylsuchenden in den Iran

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Mai 2021 - 12 K 3315/20.F.A - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 Grundgesetz . Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Damit werden die Beschlüsse des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. März 2022 und vom 30. Mai 2022 - jeweils 6 A 1330/21.Z.A - gegenstandslos.

Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 (in Worten: zehntausend) Euro festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 19 Abs. 4 S. 1; GG Art. 103 Abs. 1 ; AsylG § 81 S. 1;

Gründe

I.

1. Der am 13. Dezember 2002 geborene Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 14. Oktober 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 24. Januar 2020 einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 3. Dezember 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag ab, verneinte das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten, drohte die Abschiebung in den Iran unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise an und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers am 9. Dezember 2020 ohne Begründung Klage zum Verwaltungsgericht Frankfurt am Main und beantragte im selben Schriftsatz die Gewährung von Akteneinsicht in die behördliche Verfahrensakte.

3. Am 11. Dezember 2020 bestätigte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Eingang der Klage und verwies wegen der Klagebegründung auf eine erteilte Belehrung zu § 74 Abs. 2 AsylG . Eine Übersendung der Verfahrensakte erfolgte nicht.

4. Mit Schreiben vom 15. Januar 2021 erinnerte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers an die Vorlage der Klagebegründung. Dieses Erinnerungsschreiben wurde jedoch nicht an den Beschwerdeführer übersandt.

5. Mit Betreibensaufforderung vom 10. März 2021, dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt am 12. März 2021, wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, binnen eines Monats nach Zustellung des Schreibens sein individuelles Verfolgungsschicksal zu schildern und mitzuteilen, warum es ihm im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zumutbar sei, in sein Heimatland zurückzukehren. Im Schreiben erfolgte der Hinweis, dass bei Nichteinhaltung der Frist die Klage nach § 81 AsylG als zurückgenommen gelte und der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen habe.

6. Mit Schreiben vom 12. April 2021 teilte der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main vorsorglich mit, dass das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers unvermindert fortbestehe. Zur Anwendung des § 81 AsylG verwies er auf seinen Vortrag in einem ebenfalls von ihm geführten Verfahren vor derselben Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main. Im Übrigen erinnerte er an den Antrag auf Akteneinsicht und führte aus, dass die Begründung der Klage ohne Vorliegen der Verfahrensakte der Beklagten wenig sinnvoll sei.

7. Mit Beschluss vom 16. April 2021 stellte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main das Verfahren wegen Nichtbetreibens gemäß § 81 Satz 1 AsylG nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO ein.

8. Am 21. April 2021 wies der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers darauf hin, dass das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers fortbestehe und die beantragte Akteneinsicht bisher nicht gewährt worden sei. Er beantragte vor diesem Hintergrund die Fortsetzung des Verfahrens. Auf Rückfrage des Gerichts vom 23. April 2021 verzichtete der Beschwerdeführer auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Am 4. Mai 2021 übermittelte das Gericht dem Prozessbevollmächtigen einen Ausdruck der elektronischen Verfahrensakte des Bundesamts.

9. Mit angegriffenem Urteil vom 10. Mai 2021 stellte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main fest, dass die Klage als zurückgenommen gelte. Das gerichtliche Verfahren sei durch den Eintritt der Fiktion der Klagerücknahme nach § 81 Satz 1 AsylG wirksam beendet worden. Die sachlichen Voraussetzungen für die Betreibensaufforderung hätten entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers vorgelegen. Vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG müssten sachlich begründete konkrete Anhaltspunkte zu Tage treten, die darauf hinweisen, dass beim Kläger das Rechtsschutzinteresse entfallen sein könnte. Unter Verweis auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. September 2002 ( 1 B 103.02, juris, Rn. 4) führte das Gericht aus, dass bereits zum Zeitpunkt der gerichtlichen Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses beim Kläger bestehen müssten. Derartige Zweifel am Rechtsschutzinteresse seien bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten anzunehmen, wozu auch die Klagebegründungspflicht des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG gehöre. Der Umfang der Begründungspflicht ergebe sich aus der Mitwirkungspflicht des Asylklägers nach § 15 AsylG in Verbindung mit § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO . Er müsse die Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung in schlüssiger Form vortragen. Da die Klagebegründungsfrist gesetzlich statuiert sei, bedürfe es auch keiner prozessleitenden Verfügung des Gerichts zur Konkretisierung dieser Pflicht. Eine Betreibensaufforderung nach § 81 AsylG könne zulässigerweise an die Verletzung der Klagebegründungspflicht des § 74 Abs. 2 AsylG geknüpft werden. Die Frist zur Vorlage der Klagebegründung habe für den Beschwerdeführer einen Monat nach Zustellung des Bescheids des Bundesamts am 7. Januar 2021 geendet. Hierüber sei auch in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheids belehrt worden. Unerheblich sei, dass dem Bevollmächtigten bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Behördenakte gewährt worden war, denn der Gesetzgeber gehe vor dem Hintergrund der Klagebegründungsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG davon aus, dass eine Klagebegründung auch schon vor Akteneinsicht vorzulegen sei. Zudem habe zu diesem Zeitpunkt bereits die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Bescheid bestanden, der dem Beschwerdeführer vorgelegen habe. Der bloße Hinweis des Beschwerdeführers, er habe weiterhin Interesse an der Fortführung des Verfahrens, stelle kein Betreiben des Verfahrens im Sinne von § 81 Satz 1 AsylG dar, weil er mit dem gerichtlichen Schreiben vom 15. Januar 2021 ausdrücklich zur Vorlage einer Klagebegründung aufgefordert worden sei.

10. Am 14. Juni 2021 beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO . Er sei durch das Urteil in seinem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Durch die fehlerhafte Bejahung der Voraussetzungen der fiktiven Klagerücknahme sei ihm die Möglichkeit genommen worden, die Rechtswidrigkeit des Bescheids geltend zu machen, was unter Verweis auf den Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2019 ( 2 BvR 12/19, Rn. 14) eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG darstelle.

11. Mit angegriffenem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. März 2022, dem Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers zugestellt am 30. März 2022, wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.

12. Am 2. Mai 2022 erhob der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers Anhörungsrüge und beantragte, das Verfahren fortzuführen. Zudem beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

13. Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 30. Mai 2022 verwarf der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Anhörungsrüge als unzulässig. Unter anderem führte er aus: Die Einhaltung der Rügefrist könne mangels Glaubhaftmachung des tatsächlichen Zeitpunkts der Kenntniserlangung nicht beurteilt werden, sodass der Beschwerdeführer so zu behandeln sei, als habe er die Frist versäumt. Die Rüge sei gemäß § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben und der Zeitpunkt der Kenntniserlangung glaubhaft zu machen. Der Prozessbevollmächtigte habe vorgetragen, die Tatsache, dass die verwaltungsgerichtliche Erinnerung an die Vorlage der Klagebegründung vom 15. Januar 2021 ihm nicht vorliege, habe er unmittelbar nach Eingang des Beschlusses des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs am 30. März 2022 feststellen können. Dieser habe jedoch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, weshalb er dennoch über zwei Wochen in den sonstigen Büroräumen gesucht habe, bevor er am 22. April 2022 das Gericht telefonisch kontaktiert habe. Die Anhörungsrüge sei überdies unbegründet, weil es an der Entscheidungserheblichkeit der Gehörsverletzung fehle.

II.

1. Ebenfalls am 2. Mai 2022 hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben. Er rügt eine Verletzung in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG .

a) Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Mai 2021 verletze ihn in seinem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG . Das Verwaltungsgericht habe das Klageverfahren zu Unrecht nach § 81 AsylG eingestellt. Es habe kein hinreichender Anlass für eine Betreibensaufforderung bestanden. Deshalb hätte der Hessische Verwaltungsgerichtshof nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 , § 108 Abs. 2 VwGO die Berufung zulassen müssen. Bereits drei Monate nach Klageerhebung sei die Betreibensaufforderung verfügt worden. Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2020 sei noch eine Vollmacht überreicht worden, worin sich ein Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses zeige. Unter Verweis auf den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juli 1996 (13 ZU 2749/95, juris), sei zwar davon auszugehen, dass nach der obergerichtlichen Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen eine Betreibensaufforderung an die Verletzung der Klagebegründungspflicht nach § 74 Abs. 2 AsylG angeknüpft werden dürfe. Nach den Ausführungen der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 19. Mai 1993 ( 2 BvR 1972/92, juris) müssten zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung jedoch sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestehen. Nach der durch den Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 2012 ( 1 BvR 2254/11) geprägten Rechtsprechung zu § 92 Abs. 2 VwGO , die auch für § 81 Abs. 1 AsylG gelte, solle die Rücknahmefiktion nämlich die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzinteresses festlegen und gesetzlich legitimieren und nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen prozessuale Mitwirkungspflichten gedeutet werden. Zudem sei die Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main aus einer Vielzahl von anderen anhängigen Asylverfahren bekannt und damit auch, dass die Klage zu einem späteren Zeitpunkt begründet worden wäre. Die Annahme des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main, dass das Rechtsschutzinteresse nicht mehr bestehe, verletze die durch die dargestellte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesetzten Grenzen in unzulässiger Weise.

Sein Prozessbevollmächtigter habe das Verfahren auch fristgerecht betrieben. Er habe dem Gericht innerhalb der Frist des § 81 AsylG mitgeteilt, dass das Rechtsschutzinteresse fortbestehe und durch den Verweis auf sein Vorbringen in einem anderen Verfahren darauf hingewiesen, dass die Anwendung des § 81 AsylG rechtsfehlerhaft sei. Durch den Antrag auf Akteneinsicht, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewährt worden war, habe der Prozessbevollmächtigte implizit zum Ausdruck gebracht, dass eine Klagebegründung nach Einsichtnahme erfolgen würde. Indem das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 10. Mai 2021 festgestellt habe, dass die Klage als zurückgenommen gelte, habe es sich in Widerspruch dazu gesetzt, dass es seinem Prozessbevollmächtigten am 4. Mai 2021 die Behördenakte übersandt hatte. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts habe im Beschluss vom 5. März 2019 ( 2 BvR 12/19) festgestellt, dass der dortige Beschwerdeführer, nachdem sich ein Anwalt für ihn bestellt und Akteneinsicht beantragt hatte, im Hinblick auf das einschlägige Verfahrensstadium hinreichend zu erkennen gegeben habe, dass er an der Fortführung des Klageverfahrens interessiert sei.

b) Die Nichtzulassung der Berufung durch den Hessischen Verwaltungsgerichtshof verletze ihn in seinem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 19 Abs. 4 GG . Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts habe in einem Beschluss vom 18. Februar 2022 ( 1 BvR 305/21) entschieden, dass der Zugang zu den vom Gesetzgeber geschaffenen Instanzen nicht durch übermäßig strenge Handhabung der verfahrensrechtlichen Schranken in unzumutbarer und ungerechtfertigter Weise erschwert werden dürfe. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hätte die Berufung aufgrund der fehlerhaften Einstellung des Verfahrens nach § 138 Nr. 3 VwGO , § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG zulassen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof überspanne die Anforderungen an das ordnungsgemäße Betreiben, indem er anführe, dass lediglich die Vorlage der Klagebegründung geeignet gewesen wäre, den Eintritt der Rücknahmefiktion zu verhindern.

Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs verletze ihn zudem in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Denn die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts habe im Beschluss vom 5. März 2019 ( 2 BvR 12/19) entschieden, dass die fehlerhafte Bejahung der Wirksamkeit der fiktiven Klagerücknahme auch einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darstelle, weil sich das Gericht zu Unrecht nicht mit der Sache selbst befasst habe. Durch die Nichtzulassung der Berufung habe sich der Hessische Verwaltungsgerichtshof nicht materiell-rechtlich mit dem eigentlichen Asylverfahren und seiner Verfolgungsfurcht befasst. Durch die Annahme, dass ein Gehörsverstoß durch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main nicht vorliege, perpetuiere der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Gehörsverstoß durch die erstinstanzliche Entscheidung.

2. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat, das Hessische Ministerium der Justiz und das Bundesamt hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen rechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

Dabei kann offen bleiben, ob die Anhörungsrüge verfristet ist, wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 30. Mai 2022 ausführt, oder ob der Beschwerdeführer die Kenntnis von der Gehörsverletzung erst durch Mitteilung des Verwaltungsgerichts vom 28. April 2022 erlangt hat, dass die Verfügung vom 15. Januar 2021, ihn an die Klagebegründung zu erinnern, nicht ausgeführt worden sei, so dass die Anhörungsrüge gemäß § 152a Abs. 2 VwGO fristgerecht erfolgte. Denn es ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg ordnungsgemäß erschöpft hat (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ).

a) Die Anhörungsrüge gehörte vorliegend zum nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auszuschöpfenden Rechtsweg.

Wird mit der Verfassungsbeschwerde auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht, so gehört eine Anhörungsrüge an das Fachgericht zu dem Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 134, 106 <113 Rn. 22> m.w.N.). Dies ist allerdings dann nicht zu verlangen, wenn die Anhörungsrüge von vornherein aussichtslos und damit unzumutbar ist. Aussichtslos ist ein Rechtsbehelf von vornherein, wenn er offensichtlich unstatthaft oder unzulässig ist. Dies ist unter anderem der Fall, wenn mit der Anhörungsrüge lediglich durch ein Rechtsbehelfsgericht nicht geheilte, also perpetuierte Gehörsverstöße gerügt werden oder wenn in der Sache gar kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht wird (vgl. BVerfGK 20, 300 <302 f.>).

Vorliegend gehört die Anhörungsrüge zum formellen Rechtsweg. Der Beschwerdeführer sieht sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 24. März 2022 fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass ihm das Schreiben vom 15. Januar 2021 zugestellt worden sei und vor diesem Hintergrund entschieden habe, dass das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main den Wegfall des Rechtsschutzinteresses habe unterstellen dürfen. Mit der auf diese Wertung gestützten Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung habe der Hessische Verwaltungsgerichtshof ihm seinen Vortrag zu den Verfolgungsgründen endgültig abgeschnitten. Nach der Rechtsprechung der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. März 2019 ( 2 BvR 12/19) verletzt die fehlerhafte Bejahung der Wirksamkeit einer fiktiven Klagerücknahme neben Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zugleich den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG . Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass in einer auf einer solchen fehlerhaften Wertung basierenden Ablehnung des Berufungszulassungsgrundes aus § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG , § 138 VwGO ebenfalls nicht nur ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG , sondern auch ein Gehörsverstoß liegt. Die statthafte Anhörungsrüge war vor diesem Hintergrund nicht offensichtlich aussichtslos. Mit dieser Rüge macht der Beschwerdeführer auch keinen bloß perpetuierten Gehörsverstoß geltend, da er eine eigene rechtliche Wertung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs angreift.

Darüber hinaus musste der Beschwerdeführer die Anhörungsrüge auch unter Subsidiaritätsgesichtspunkten erheben. Denn erst in diesem Rahmen war es ihm überhaupt möglich, vor den Fachgerichten dazu vorzutragen, dass das Schreiben vom 15. Januar 2021 tatsächlich nie abgesendet worden war, und eine auf diesem Vortrag basierende Prüfung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs herbeizuführen. Hätte er unmittelbar den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. März 2022 mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen, wäre diese wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der formellen Subsidiarität als unzulässig abgelehnt worden.

b) Von einer ordnungsgemäßen Rechtswegerschöpfung ist auch für den Fall, dass die Anhörungsrüge verfristet wäre, ausnahmsweise auszugehen. Denn der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss vom 30. Mai 2022 zugleich Ausführungen dazu gemacht, dass die Anhörungsrüge mangels Entscheidungserheblichkeit des gerügten Gehörsverstoßes unbegründet wäre. In einem solchen Fall kann die Unzulässigkeit des fachgerichtlichen Rechtsbehelfs dem Beschwerdeführer nicht als Grund für die Unzulässigkeit seiner Verfassungsbeschwerde entgegengehalten werden, weil insoweit das mit dem Gebot der Rechtswegerschöpfung verfolgte Ziel - dem Bundesverfassungsgericht durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte ein in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial zu verschaffen und ihm die Fall- und Rechtsanschauung der Gerichte zu vermitteln - in der Regel erreicht ist (vgl. BVerfGK 13, 181 <185 f.>; 13, 409 <415>; 19, 157 <162>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2018 - 2 BvR 1649/17 -, Rn. 23; vgl. dazu auch Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG , 2. Aufl. 2022, § 90 Rn. 169).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

a) Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat durch die Feststellung, dass die Klage als zurückgenommen gelte, gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen.

aa) (1) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet den Rechtsweg im Rahmen der jeweiligen einfachgesetzlichen Prozessordnungen. Der Weg zu den Gerichten, insbesondere auch zur inhaltlichen Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung, darf von der Erfüllung und dem Fortbestand bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig gemacht werden (vgl. BVerfGE 9, 194 <199 f.>; 10, 264 <267 f.>; 27, 297 <310>; 35, 65 <72 f.>). Die dem Gesetzgeber obliegende normative Ausgestaltung des Rechtswegs muss aber das Ziel dieser Rechtsgewährleistung, nämlich den wirkungsvollen Rechtsschutz, auch tatsächlich verfolgen und ermöglichen (vgl. BVerfGE 110, 77 <85>). Sie muss im Hinblick darauf geeignet und angemessen sowie für den Rechtsuchenden zumutbar sein (vgl. BVerfGE 77, 275 <284>). Der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen darf nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 78, 88 <99>; 110, 77 <85>; stRspr). Dieser Grundsatz gilt auch innerhalb des jeweils eingeleiteten Verfahrens, soweit es darum geht, sich dort effektiv Gehör verschaffen zu können, und nicht nur für die Eröffnung des Zugangs zum Gericht selbst (vgl. BVerfGE 81, 123 <129>). Der gerichtlichen Durchsetzung des materiellen Anspruchs dürfen auch hier nicht unangemessen hohe verfahrensrechtliche Hindernisse in den Weg gelegt werden (vgl. BVerfGE 53, 115 <127 f.>).

(2) Im Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzt jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl. BVerfGE 61, 126 <135>; 96, 27 <39 f.>; 110, 77 <85>). Nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung; fehlt es daran, so ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen.

Das erforderliche Rechtsschutzinteresse kann im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens entfallen. Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzinteresses kann ein Gericht im Einzelfall auch dann ausgehen, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung mangels Sachbescheidungsinteresses nicht mehr gelegen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 -, Rn. 17).

(3) Eine Regelung über eine Verfahrensbeendigung wegen unterstellten Wegfalls des Rechtsschutzinteresses ist grundsätzlich von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Mai 1993 - 2 BvR 1972/92 -, juris). Allerdings führt die Rücknahmefiktion des § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise nach § 81 AsylG zur Beendigung des Rechtsschutzverfahrens mit möglicherweise irreversiblen Folgen, insbesondere, wenn behördliche Ausgangsentscheidungen dadurch in Bestandskraft erwachsen, ohne dass der Kläger dies durch ausdrückliche Erklärung in bewusster Entscheidung herbeigeführt hätte. Die Handhabung eines solch scharfen prozessualen Instruments muss daher im Lichte der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unter strikter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben erfolgen, verstanden als Ausnahme von dem Grundsatz, dass ein Kläger oder Antragsteller das von ihm eingeleitete Verfahren auch durchführen will. Insbesondere darf § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise § 81 AsylG nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder für unkooperatives Verhalten eines Beteiligten gedeutet oder eingesetzt werden. Hierfür ist die Rücknahmefiktion nicht konzipiert. Sie soll vielmehr nur die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzinteresses festlegen und gesetzlich legitimieren (vgl. zu § 79 AsylVfG BTDrucks 12/2062, S. 42: Vereinfachte Beendigung eines Verfahrens, "an dessen Fortführung der Kläger erkennbar kein Interesse mehr hat"; BVerfGK 20, 43 <49>).

Zwar gilt auch für die Rücknahmefiktion des § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise des § 81 AsylG , dass nicht jede fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts einen Verfassungsverstoß darstellt. Angesichts der gravierenden, den Rechtsschutz jedenfalls im konkreten Verfahren ohne Sachprüfung abschneidenden Wirkung dieser Vorschrift gebietet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG jedoch eine strenge Prüfung der fachgerichtlichen Auslegung und Anwendung des § 92 Abs. 2 VwGO beziehungsweise des § 81 AsylG durch das Bundesverfassungsgericht. Insbesondere hat es zu kontrollieren, ob die von den Verwaltungsgerichten mit Rücksicht auf die Rechtsschutzgarantie herausgearbeiteten Anforderungen an eine zulässige Betreibensaufforderung gewahrt und die Voraussetzungen für die Annahme eines Nichtbetreibens nicht verfehlt, insbesondere der Vorschrift hierbei keine falsche Zielrichtung gegeben wurden. Hiernach müssen zum einen zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte vorliegen, die den späteren Eintritt der Fiktion als gerechtfertigt erscheinen lassen. Solche Anhaltspunkte sind insbesondere dann gegeben, wenn der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2000 - 8 B 119.00 -, NVwZ 2000, S. 1297 <1298>; Beschluss vom 12. April 2001 - 8 B 2.01 -, NVwZ 2001, S. 918 ; Beschluss vom 7. Juli 2005 - 10 BN 1.05 -, juris, Rn. 4). Zum anderen hat ein Kläger das Verfahren nur dann nicht mehr im Sinne von § 81 AsylG betrieben, wenn er innerhalb der Monatsfrist nicht substantiiert dargetan hat, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (ähnlich BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2005 - 10 BN 1.05 -, juris, Rn. 7; BVerfGK 20, 43 <50>).

bb) Hieran gemessen bestand schon kein hinreichender Anlass, eine Betreibensaufforderung zu erlassen. Denn am Tag des Erlasses der Betreibensaufforderung, am 10. März 2021, lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer an der Fortführung des Verfahrens kein Interesse hatte.

Als Anhaltspunkt konnte insbesondere nicht die bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgte Begründung der am 9. Dezember 2020 erhobenen Klage gewertet werden. Aus der fehlenden Klagebegründung lässt sich im vorliegenden Einzelfall trotz der Mitwirkungspflicht aus § 74 Abs. 2 AsylG kein Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Beschwerdeführers herleiten.

Nach der VwGO ist anerkannt, dass allein das Ausbleiben einer - grundsätzlich vom Gesetz nicht geforderten - Klagebegründung regelmäßig nicht ausreicht, um einen Verstoß gegen die prozessualen Mitwirkungsverpflichtungen eines Klägers anzunehmen, der den Rückschluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses zulässt. Anders liegt der Fall zwar im Asylverfahrensrecht, da § 15 AsylG , § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO umfangreiche Mitwirkungspflichten statuieren. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2001 - 1 B 24.01 -, juris, Rn. 5; VG Kassel, Urteil vom 22. Februar 2018 - 1 K 302/17.KS.A -, juris). Entsprechend verpflichtet § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG den Kläger, die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Bescheids anzugeben (vgl. zu allem VG Kassel, Urteil vom 14. Februar 2019 - 3 K 6342/17.KS.A -, juris, Rn. 37).

Dennoch reicht im vorliegenden Einzelfall der Umstand, dass der Beschwerdeführer der Begründungspflicht des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG bis zum Ergehen der Betreibensaufforderung am 10. März 2021 nicht entsprochen hatte, nicht aus, um auf einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses zu schließen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung hatte das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main einem Antrag des Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers auf Akteneinsicht noch nicht Folge geleistet. Es war nicht zwingend zu erwarten, dass dieser die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel trotz der Monatsfrist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylG vor erfolgter Akteneinsicht angeben würde. Denn die nachteilige Rechtsfolge der Präklusion nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylG , § 87b Abs. 3 VwGO hatte er vor erfolgter Akteneinsicht nicht zu befürchten, da bei nicht rechtzeitig gewährter Akteneinsicht durch das Gericht auch eine Entschuldigung verspäteten Vortrags nach § 87b Abs. 3 VwGO in Frage kommt (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 87b VwGO , Rn. 58).

Da der Beschwerdeführer das Gericht noch in der Frist im Anschluss an die Betreibensaufforderung an die ausstehende Gewährung von Akteneinsicht erinnerte und ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse anzeigte, durfte er auf eine entsprechende Entschuldigung vertrauen. Wenn das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main ein fehlendes Rechtsschutzinteresse anknüpfend an den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. Februar 1999 (- 3 Q 19/99 -, juris) allein aus dem Ablauf der Klagebegründungspflicht herleiten möchte, überzeugt dies nicht, da in diesem Verfahren nur fristwahrend Klage erhoben wurde und kein noch offener Antrag auf Akteneinsicht vorlag. Nicht überzeugend ist auch die Anknüpfung an weitere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, in denen von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses wegen Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten des § 74 Abs. 2 AsylG ausgegangen wurde, nachdem der jeweilige Kläger zumindest einmal an die Klagebegründung erinnert worden war (vgl. VG Kassel, Urteil vom 14. Februar 2019 - 3 K 6342/17.KS.A -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. August 2000 - 8 A 4052/00.A -, juris). Denn die Erinnerung an die Klagebegründung mit Schreiben des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 15. Januar 2021 wurde vom Gericht nie an den Beschwerdeführer übersandt; insofern konnte sie beziehungsweise ihre Nichtbeachtung nicht als Indiz für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Beschwerdeführers dienen.

b) Offen bleiben kann, ob das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit seiner Annahme, dass eine Klagebegründung - spätestens nach einer Betreibensaufforderung - auch ohne Akteneinsicht vorgelegt werden muss, darüber hinaus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

c) Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Da die Verwaltungsgerichte bisher noch nicht in der Sache entschieden und auch den Sachverhalt, soweit entscheidungserheblich, nicht aufgeklärt haben, ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung in der Sache zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis führt.

IV.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 10. Mai 2021 ist gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Die Beschlüsse des Hessischen Verfassungsgerichtshofs vom 24. März 2022 und vom 30. Mai 2022 werden dadurch gegenstandslos.

Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer nach § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 f.>).

Vorinstanz: VGH Hessen, vom 24.03.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 6 A 1330/21
Vorinstanz: VG Frankfurt/Main, vom 10.05.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 12 K 3315/20