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BVerfG - Entscheidung vom 19.04.2023

1 BvR 2357/22

Normen:
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BGB § 1684 Abs. 4 S. 2
GG Art. 6

BVerfG, Beschluss vom 19.04.2023 - Aktenzeichen 1 BvR 2357/22

DRsp Nr. 2023/13786

Verfassungsbeschwerde gegen eine weitreichende und mehrjährige Beschränkung des Umgangsrechts eines Beschwerdeführers zu seinem Sohn; Anforderungen an die Begründung der Verfassungsbeschwerde

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2; BGB § 1684 Abs. 4 S. 2; GG Art. 6 ;

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine weitreichende und mehrjährige Beschränkung des Umgangsrechts.

I.

Der Beschwerdeführer ist Vater unter anderem eines im September 2016 geborenen Sohnes. Das Kind wurde kurz nach seiner Geburt in Obhut genommen und lebt nach im November 2017 erfolgtem Entzug von weiten Teilen des Sorgerechts und der Anordnung von Ergänzungspflegschaft in einer Pflegefamilie. Zunächst hatten der Beschwerdeführer und die Mutter des Kindes einmal im Monat begleitete Umgangskontakte mit dem Sohn.

Im hier zugrundeliegenden Verfahren hatte das Familiengericht durch Beschluss vom 7. April 2022 den Umgang beider Eltern mit dem Sohn bis zum 10. Januar 2024 ausgeschlossen. Das Oberlandesgericht änderte diese Entscheidung mit angegriffenem Beschluss vom 12. Oktober 2022 lediglich insoweit ab, als dem Beschwerdeführer gestattet wurde, einmal im Monat mit seinem Sohn postalisch in Kontakt zu treten. Im Übrigen wies es seine Beschwerde zurück.

Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde und rügt unter anderem die Verletzung seiner Rechte aus Art. 6 GG und aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie ist unzulässig.

1. Die Unzulässigkeit folgt nicht bereits aus einer unterbliebenen Erschöpfung des fachrechtlichen Rechtswegs (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ). Wie sich aus den Seiten 42 und 43 seines Schriftsatzes vom 24. November 2022 ergibt, hat der Beschwerdeführer - entgegen späteren eigenen Bekundungen - zwar zunächst ausdrücklich eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG gerügt und dies näher begründet. Um den Rechtsweg in der gebotenen Weise zu erschöpfen und die Verletzung dieses Anspruchs mit der Verfassungsbeschwerde zulässig rügen zu können, hätte es an sich der Erhebung einer fachrechtlich nach § 44 FamFG statthaften Anhörungsrüge bedurft (vgl. BVerfGE 134, 106 <113>; stRspr). Diese ist unterblieben. Daraus resultiert die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde vorliegend aber deshalb nicht, weil die Kammer die Ausführungen des Beschwerdeführers in seinem Schriftsatz vom 15. Dezember 2022 als zulässige Rücknahme der Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG auslegt (vgl. BVerfGE 126, 1 <18>).

2. Die Verfassungsbeschwerde genügt allerdings nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an ihre Begründung. Der Beschwerdeführer hat es bereits versäumt, für die Entscheidung über seine Beschwerde erforderliche Unterlagen vorzulegen.

a) Über die Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG soll dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit eröffnet werden, den angegriffenen Hoheitsakt (vgl. § 90 Abs. 1 BVerfGG ) ohne weitere Ermittlungen einer verfassungsgerichtlichen Prüfung zu unterziehen. Ihm soll eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung des Begehrens verschafft werden (vgl. BVerfGE 149, 346 <360 Rn. 25> m.w.N.). Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, so zählt zu den Anforderungen an die hinreichende Begründung auch die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen und derjenigen Schriftstücke, ohne deren Kenntnis die Berechtigung der geltend gemachten Rügen sich nicht beurteilen lässt, zumindest aber deren Wiedergabe ihrem wesentlichen Inhalt nach, da das Bundesverfassungsgericht nur so in die Lage versetzt wird, zu beurteilen, ob die Entscheidungen mit dem Grundgesetz in Einklang stehen (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; 129, 269 <278>; stRspr). Dazu kann je nach Angriffsgegenstand auch die Vorlage von vorangegangenen Gerichtsentscheidungen oder Sachverständigengutachten sowie von Berichten und Anhörungsvermerken gehören (vgl. BVerfGK 14, 402 <417>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. April 2017 - 1 BvR 580/17 -, Rn. 2).

b) Dem genügt die Verfassungsbeschwerde nicht. Der Beschwerdeführer hat es versäumt, insbesondere das in einem früheren, ebenfalls den Umgang mit seinem Sohn betreffenden Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten, einen Arztbericht der den Sohn behandelnden Fachärztin vom 30. März 2022 sowie den Vermerk über die gerichtliche Anhörung seines Sohnes vom 5. September 2022 vorzulegen oder zumindest dem wesentlichen Inhalt nach vorzutragen. Ohne Kenntnis dieser Unterlagen kann aber nicht überprüft werden, ob das Oberlandesgericht den hier maßgeblichen strengen verfassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen an eine so weitgehende und lang andauernde Beschränkung des Umgangsrechts mit seinem fremduntergebrachten Sohn (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 27. Dezember 2022 - 1 BvR 1943/22 -, Rn. 15 ff. m.w.N.) entsprochen hat.

Das Oberlandesgericht hat zur Begründung für das Vorliegen der fachrechtlichen Voraussetzungen des § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB in entscheidungserheblicher Weise auf die vorgenannten Unterlagen Bezug genommen. So legt es insbesondere die erforderliche Kindeswohlgefährdung auch unter näherer Bezugnahme auf eine von der im Ausgangsverfahren beauftragten Sachverständigen geschilderte Verhaltensänderung des Kindes im Vergleich zu dem im Gutachten aus dem früheren Verfahren Geschilderten dar. Der Beschwerdeführer kann sich nicht darauf berufen, das frühere Gutachten nicht zur Verfügung gehabt zu haben. Aus dem angegriffenen Beschluss ergibt sich, dass es dem Oberlandesgericht vorgelegen haben muss. Er hätte es sich daher über eine Akteneinsicht nach § 13 Abs. 1 FamFG verschaffen können. Das war ihm auch zumutbar (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. Juni 2020 - 1 BvR 572/20 -, Rn. 16 m.w.N.).

Auch auf die Kenntnis des Arztberichts vom 30. März 2022 kommt es für die Überprüfung der angegriffenen Umgangsentscheidung an. Das Oberlandesgericht stützt sich für die Begründung der Dauer des weitgehenden Umgangsausschlusses unter anderem auf den durch den genannten Bericht bestätigten Verdacht, der Sohn leide an einer Autismus-Spektrums-Störung. Darüber hinaus nimmt das Oberlandesgericht für seine Entscheidung auch auf den Kontakte mit dem Beschwerdeführer ablehnenden Kindeswillen Bezug, den der Sohn in seiner Anhörung vom 5. September 2022 geäußert haben soll. Ob das Oberlandesgericht sich auch über diese Erkenntnisquellen die gebotene möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 27. Dezember 2022 - 1 BvR 1943/22 -, Rn. 17 m.w.N.) verschafft hat, kann lediglich bei Vorlage der Unterlagen überprüft werden.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Bremen, vom 12.10.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 4 UF 39/22