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BVerfG - Entscheidung vom 15.05.2019

2 BvR 351/19

Normen:
RVG § 14 Abs. 1
RVG § 37 Abs. 2 S. 2
RVG § 14 Abs. 1
RVG § 37 Abs. 2 S. 2
RVG § 14 Abs. 1
RVG § 37 Abs. 2 S. 2
IRG § 12

BVerfG, Beschluss vom 15.05.2019 - Aktenzeichen 2 BvR 351/19

DRsp Nr. 2019/8331

Auslieferung eines russischen Staatsangehörigen in die Russische Föderation zur Strafverfolgung wegen Raubes; Gefahr der politischen Verfolgung und unmenschlichen Behandlung während des Strafverfahrens in Tschetschenien; Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) sowie für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 5.000 € (in Worten: fünftausend Euro) festgesetzt.

Normenkette:

RVG § 14 Abs. 1 ; RVG § 37 Abs. 2 S. 2; IRG § 12 ;

[Gründe]

I.

Die Verfassungsbeschwerde betraf die Auslieferung eines russischen Staatsangehörigen in die Russische Föderation zur Strafverfolgung wegen Raubes.

1. Das Brandenburgische Oberlandesgericht erklärte die Auslieferung des Beschwerdeführers auf Grundlage einer Entscheidung des Bezirksgericht Leninsky in der Stadt Grozny mit Beschluss vom 17. September 2018 nach Maßgabe weiterer Bedingungen für zulässig. Unter anderem sah das Oberlandesgericht es wegen der Gefahr der politischen Verfolgung und unmenschlichen Behandlung während des Strafverfahrens in Tschetschenien für erforderlich an, dass das Gerichtsverfahren nicht in dem Föderationskreis Nordkaukasus durchgeführt werde, aus dem die dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegende Entscheidung stammte. Es führte aus, im Bewilligungsverfahren werde insoweit eine ergänzende Zusicherung durch die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg bei den russischen Behörden einzuholen sein.

2. Die Bewilligung der Auslieferung erfolgte am 12. Oktober 2018, ohne dass eine weitere Zusicherung der russischen Behörden eingeholt worden war. Stattdessen wurde der Botschaft der Russischen Föderation im Rahmen einer Verbalnote des Auswärtigen Amts vom 12. Oktober 2018 zunächst mitgeteilt, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Auslieferung des Beschwerdeführers unter Bezugnahme auf die durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation abgegebenen Zusicherungen bewilligt habe. Mit Verbalnote vom 17. Oktober 2018 an die Botschaft der Russischen Föderation ergänzte das Auswärtige Amt sodann, es gehe im Übrigen davon aus, dass das Gerichtsverfahren außerhalb der Verwaltungseinheit Nordkaukasischer Föderalbezirk durchgeführt werde.

3. Der Beschwerdeführer erfuhr von der Auslieferungsbewilligung seinem Vortrag zufolge erstmals, als das Brandenburgische Oberlandesgericht den zwischenzeitlich außer Vollzug gesetzten Auslieferungshaftbefehl mit angegriffenem Beschluss vom 3. Januar 2019, der dem Beschwerdeführer am 19. Februar 2019 zuging, angesichts der unmittelbar bevorstehenden Durchführung der Auslieferung wieder in Vollzug setzte. In den Gründen des Beschlusses führte das Oberlandesgericht aus, dass das mit dem Bewilligungsverfahren betraute Bundesamt für Justiz zwischenzeitlich erklärt habe, eine Zusicherung eines abweichenden örtlichen Gerichtsstandes könne von den russischen Justizbehörden nicht abgegeben werden, weil dem Beschwerdeführer ansonsten der nach Art. 47 Abs. 1 der russischen Verfassung garantierte gesetzliche Richter entzogen werde. Diesen Umstand habe es zur Kenntnis genommen. Die in der Bewilligungsnote enthaltene "Bedingung", der zufolge auch das Gerichtsverfahren außerhalb des nordkaukasischen Föderationskreises stattfinden müsse, sei ausreichend.

4. Mit seiner mit einem Eilantrag verbundenen Verfassungsbeschwerde vom 24. Februar 2019 trug der Beschwerdeführer vor, die Bewilligung der Auslieferung ohne die förmliche Zusicherung, dass das Gerichtsverfahren nicht im Nordkaukasus stattfinden werde, verletze ihn in seinen Grundrechten. Die Zusicherung könne nicht durch eine in der Bewilligungsnote benannte einseitige Bedingung ersetzt werden. Vor einem tschetschenischen Gericht drohe ihm ein rechtsstaatswidriges Strafverfahren. Zwar seien Zusicherungen geeignet, Zweifel an der Zulässigkeit einer Auslieferung auszuräumen. Dies gelte aber nicht für einseitige Bedingungen, die die Bundesrepublik Deutschland ohne Erklärung des Zielstaats in die Auslieferungsbewilligung aufnehme. Hinzu komme, dass sich die Bundesrepublik Deutschland vorliegend darauf verlasse, dass die Russische Föderation in Erfüllung der Bedingung in der Bewilligung gegen die russische Verfassung verstoßen werde. Denn die russischen Behörden hätten bereits bekundet, dass sie die von der Bundesrepublik Deutschland verlangte Verlagerung des Gerichtsstandes aus Gründen höherrangigen Rechts nicht zusichern könnten.

5. Die 2. Kammer des Zweiten Senats hat mit Beschluss vom 27. Februar 2019 die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden der Russischen Föderation gemäß § 32 Abs. 1 und 2 BVerfGG einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Wochen, ausgesetzt und die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt. Dies ist angesichts der Eilbedürftigkeit gemäß § 32 Abs. 5 BVerfGG ohne Begründung erfolgt.

Die Verfassungsbeschwerde war weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die demnach erforderliche Folgenabwägung ging zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Auslieferung war für zulässig erklärt und bewilligt worden. Sie stand auch tatsächlich unmittelbar bevor. Die Folgen, die eingetreten wären, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen worden wäre, sich später aber herausgestellt hätte, dass die Auslieferung rechtswidrig war, haben erheblich schwerer gewogen als die Folgen, die entstanden wären, wenn die einstweilige Anordnung erlassen worden wäre, sich später aber herausgestellt hätte, dass die Auslieferung ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine Geltendmachung seiner Einwände gegen die Auslieferung nicht mehr möglich gewesen. Im letztgenannten Fall hätte sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland lediglich bis zu einem späteren Termin verlängert.

6. Auf den Antrag des Beschwerdeführers hin hob das Oberlandesgericht Brandenburg mit Beschluss vom 7. März 2019 den Beschluss vom 17. September 2018 über die Zulässigkeit der Auslieferung auf. Dem Beschwerdeführer sei insoweit zuzustimmen, dass der Umstand, dass im Bewilligungsverfahren keine Zusicherung eingeholt worden sei, geeignet sei, eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zu begründen. Aufgaben der Judikative im Zulässigkeitsverfahren könnten nicht der Exekutive im Bewilligungsverfahren überantwortet werden. An der im Beschluss vom 3. Januar 2019 geäußerten Rechtsauffassung werde insoweit nicht festgehalten. Eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung werde bis zum 12. April 2019 ausgesetzt, um der Generalstaatsanwaltschaft Zeit zu geben, ergänzende Zusicherungen einzuholen.

7. Unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 7. März 2019 hat der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 25. März 2019 für erledigt erklärt und Auslagenerstattung sowie unter dem 4. Mai 2019 die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 20.000 Euro für die Hauptsache beziehungsweise 10.000 Euro für die einstweilige Anordnung beantragt.

8. Mit Schreiben vom 11. April 2019 nahm das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg auf Aufforderung zum Gegenstandswert Stellung.

9. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz teilte mit Schreiben vom 11. April 2019 mit, eine Auslagenerstattungspflicht der Bundesrepublik Deutschland bestehe nicht, weil die angefochtene Entscheidung durch das Brandenburgische Oberlandesgericht erlassen worden sei und ihr keine für verfassungswidrig erklärte Rechtsnorm in der Verantwortung des Bundesgesetzgebers zugrunde gelegen habe.

II.

Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren und das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entstandenen notwendigen Auslagen gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG zu erstatten. Die Auslagenerstattungspflicht trifft den Bund und das Land Brandenburg jeweils hälftig.

1. Über die Hauptsache ist nicht mehr zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer sie mit Schriftsatz vom 25. März 2019 für erledigt erklärt hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <113>). Nach Erledigung der Hauptsache ist über die Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu befinden. Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund wesentliche Bedeutung zukommen, der zur Erledigung geführt hat. Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall entspricht es der Billigkeit, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, als wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (vgl. etwa BVerfGE 85, 109 <115>; 87, 394 <397>; BVerfGK 5, 316 <327 f.>). Eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde findet im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Mai 2018 - 2 BvR 2767/17 -, juris, Rn. 13).

2. Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, neben der Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch die Erstattung seiner notwendigen Auslagen im Hauptsacheverfahren anzuordnen (vgl. BVerfGE 85, 109 <116>). Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat mit dem Beschluss vom 7. März 2019, mit dem es die Zulässigkeitsentscheidung vom 17. September 2018 aufhob und damit die Voraussetzungen für die Durchführung der Auslieferung beseitigte, die Erledigung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens herbeigeführt und in der Begründung zum Ausdruck gebracht, dass es das Anliegen des Beschwerdeführers für berechtigt erachtete. Hierdurch hat es den gemäß § 12 IRG zwingenden Bezugspunkt der Bewilligungsentscheidung beseitigt und diese ebenfalls zu Fall gebracht.

3. Die Auslagenerstattungspflicht fällt hälftig dem Bund und dem Land Brandenburg zu. Die Verfassungsbeschwerde hat sich zwar zum einen gegen den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 3. Januar 2019 gerichtet. Angegriffen hat der Beschwerdeführer aber zum anderen gerade die Bewilligungsentscheidung wegen ihres Abweichens von den Vorgaben der Zulässigkeitsentscheidung, in der eine förmliche Zusicherung der Gerichtsstandsverlegung verlangt worden war. Die Bewilligung einer Auslieferung erfolgt in einem Verwaltungsverfahren des Bundes (vgl. §?74 Abs.?1 S.?1 IRG ). Dies rechtfertigt hier die Annahme einer Erstattungspflicht des Bundes.

4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Brandenburg, vom 03.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen (1) 53 AuslA 66/17 (34/17)
Vorinstanz: BVerfG, vom 27.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 BvR 351/19