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BVerfG - Entscheidung vom 13.09.2010

2 BvR 1940/10

Normen:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
StGB § 66
GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
StGB § 66
BVerfGG § 32 Abs. 1

BVerfG, Beschluss vom 13.09.2010 - Aktenzeichen 2 BvR 1940/10

DRsp Nr. 2022/8055

Überwiegen des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit gegenüber der persönlichen Freiheit eines in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten wegen hoher Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung von Sexualstraftaten

Normenkette:

BVerfGG § 32 Abs. 1 ;

[Gründe]

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufigregeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend gebotenist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE66, 39 <56>; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragenwerden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornhereinals unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgerichthingegen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aberErfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, derVerfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334 <338>; 89, 109 <110>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Die aufgeworfenen Rechtsfragenwerden im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

3. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Erginge dieeinstweilige Anordnung nicht, hätte aber die Verfassungsbeschwerde später Erfolg, so entstünde dem Beschwerdeführer in derZwischenzeit durch den Vollzug der Sicherungsverwahrung ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicherFreiheit. Wenn die einstweilige Anordnung erginge und der Verfassungsbeschwerde später der Erfolg zu versagen wäre, entstündenebenfalls schwerwiegende Nachteile. Das Landgericht Aachen und das Oberlandesgericht Köln haben auf der Grundlage eines psychiatrischenSachverständigengutachtens aus dem Jahr 2008 nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu erheblichenStraftaten (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und gegen die körperliche Integrität) habe und deshalb im Falleseiner sofortigen Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechende Delikte verüben werde, durch welche die Opfer seelischoder körperlich schweren Schaden nehmen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bewertung zugrunde zu legen, weil dasvon der Strafvollstreckungskammer im noch andauernden Überprüfungsverfahren nach § 67e Abs. 2 , § 67d Abs. 3 StGB in Auftraggegebene psychiatrische Gutachten zu dem vom Beschwerdeführer benötigten strukturellen und behandlerischen Rahmen für dieVorbereitung der Entlassung aus der Sicherungsverwahrung noch nicht vorliegt. Angesichts der Schwere der drohenden Straftatenüberwiegt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an der sofortigen Wiedererlangungseiner persönlichen Freiheit.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Aachen, vom 01.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 33 StVK 415/10
Vorinstanz: OLG Köln, vom 30.07.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 2 Ws 459/10