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BVerfG - Entscheidung vom 11.08.2023

1 BvR 1461/23

Normen:
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
FamFG § 64 Abs. 3
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
FamFG § 64 Abs. 3

BVerfG, Beschluss vom 11.08.2023 - Aktenzeichen 1 BvR 1461/23

DRsp Nr. 2023/14492

Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Normenkette:

BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1; FamFG § 64 Abs. 3 ;

Gründe

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft Entscheidungen zum Aufenthaltsbestimmungsrecht für zwei Kinder.

I.

1. Die Beschwerdeführerin ist Mutter von zwei im Juli 2016 und im Mai 2018 geborenen Töchtern, die beide aus der Ehe mit dem Vater der Kinder hervorgegangen sind. Die Eheleute, die das Sorgerecht für beide Töchter gemeinsam innehatten, leben seit April 2019 räumlich getrennt. Die Töchter haben seitdem ihren Lebensmittelpunkt bei der Beschwerdeführerin und hatten zeitweilig Umgangskontakte mit dem Vater. Das Familiengericht hat mit einem hier nicht angegriffenen Beschluss vom 19. Mai 2023 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Töchter auf den Vater zur alleinigen Ausübung übertragen und einen Antrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen, ihr das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt.

Das Oberlandesgericht hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens mit einem der hier angegriffenen Beschlüsse vom 20. Juli 2023 den Antrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen, die Vollziehung der Entscheidung des Familiengerichts nach § 64 Abs. 3 FamFG (vorläufig) auszusetzen. Auf der Grundlage der derzeit allein möglichen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Beschwerde sei deren Erfolglosigkeit ebenso wahrscheinlich wie deren Erfolg. Die deshalb erforderliche Folgenabwägung führe - in Übereinstimmung mit den Einschätzungen der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes - zu dem Ergebnis, den Aussetzungsantrag der Beschwerdeführerin zurückzuweisen. Mit weiterem hier ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 20. Juli 2023 hat das Oberlandesgericht den Antrag der Beschwerdeführerin, ihr vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Töchter zu übertragen, ebenfalls zurückgewiesen und dies weitgehend durch Bezugnahme auf die Ausführungen in dem Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung der familiengerichtlichen Entscheidung begründet.

2. Gegen beide genannten Beschlüsse des Oberlandesgerichts wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde und rügt die Verletzung von Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 , Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG sowie von Art. 103 Abs. 1 GG .

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist.

1. Sollten die Ausführungen in der Beschwerdeschrift, die Annahme der Verfassungsbeschwerde sei auch zur Durchsetzung der Rechte der betroffenen Kinder auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit geboten, dahingehend zu verstehen sein, dass die Beschwerdeführerin Rechte ihrer Töchter im verfassungsgerichtlichen Verfahren geltend machen wollte, ist die Verfassungsbeschwerde insoweit schon deshalb unzulässig, weil sie mangels alleinigen Sorgerechts ihre Töchter im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht wirksam vertreten kann. Da den Töchtern eine Verfahrensbeiständin bestellt ist, die auch zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung von deren Rechten befugt wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 2017 - 1 BvR 2569/16 -, Rn. 35; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. April 2018 - 1 BvR 393/18 -, Rn. 4; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. August 2022 - 1 BvQ 50/22 -, Rn. 33; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2022 - 1 BvR 65/22 -, Rn. 15), liegen auch die Voraussetzungen für eine Prozessstandschaft des nicht allein sorgeberechtigten Elternteils (zu diesen BVerfGE 72, 122 <134 f.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2020 - 1 BvR 1780/20 -, Rn. 12 f.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 2020 - 1 BvR 1395/19 -, Rn. 23 f.) nicht vor.

2. Soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung in eigenen Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten geltend macht, hat sie entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bereits den fachgerichtlichen Rechtsweg nicht erschöpft.

a) § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist Ausdruck des in Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde. Es entspricht der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen selbst gewähren und etwaige im Instanzenzug auftretende Fehler durch Selbstkontrolle beheben. Zudem soll dem Bundesverfassungsgericht durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung des Beschwerdevorbringens ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und die Fallanschauung der Gerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 74, 102 <113 f.>).

b) Die im vorliegenden Verfahren angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts nach § 64 Abs. 3 FamFG , die Vollziehbarkeit einer familiengerichtlichen Sorgerechtsentscheidung nicht auszusetzen beziehungsweise keine der familiengerichtlichen Entscheidung entgegenstehende einstweilige Anordnung zu erlassen, sind unselbstständiger Teil des Beschwerdeverfahrens (vgl. Sternal, in: Sternal, FamFG , 21. Aufl. 2023, § 64 Rn. 75) und unterliegen als einstweilige Entscheidungen der Abänderbarkeit durch die Beschwerdeentscheidung. Erscheint es aber - wie hier - nicht offensichtlich ausgeschlossen, Grundrechtsschutz bereits durch die Fachgerichte zu erlangen, ist es dem Beschwerdeführer regelmäßig zuzumuten, den nach einfachem Recht vorgesehenen Rechtsweg zu beschreiten und auszuschöpfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Oktober 2020 - 1 BvR 2262/20 -, Rn. 4). Letzteres setzt den Abschluss des Beschwerdeverfahrens voraus (vgl. BVerfGE 94, 166 <214>), woran es bislang fehlt.

c) Die Beschwerdeführerin hat auch nicht hinreichend dargelegt, dass ausnahmsweise nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wegen Unzumutbarkeit auf die Erschöpfung des Rechtswegs verzichtet werden kann. Ausführungen dazu waren hier auch deshalb veranlasst, weil das Oberlandesgericht sich im Rahmen der Folgenabwägung in seinem die Aussetzung der Vollziehung der familiengerichtlichen Sorgerechtsentscheidung ablehnenden Beschluss ausführlich dazu verhalten hat, welche Folgen für die Töchter der Beschwerdeführerin einträten, je nachdem, ob eine Aussetzung der Vollziehung erfolgen würde oder nicht.

3. Unabhängig von der fehlenden Rechtswegerschöpfung genügt die Begründung der Verfassungsbeschwerde auch nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht in der gebotenen substantiierten Form die Möglichkeit auf, durch die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts insbesondere in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) verletzt zu sein. Die Verfassungsbeschwerde setzt sich vor allem nicht hinreichend mit der vom Oberlandesgericht vorgenommenen Folgenabwägung auseinander, auf die es seine Entscheidungen maßgeblich stützt.

4. Im anhängigen Beschwerdeverfahren wird das Oberlandesgericht berücksichtigen, dass die hier zu treffende Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB dem Elternrecht nur genügt, wenn eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfolgt. Diese Abwägung ist - anders als es in dem hier nicht angegriffenen Beschluss des Familiengerichts vom 19. Mai 2023 anklingt - nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren (vgl. BVerfGK 15, 509 <514> m.w.N.). Zudem wird es das zu seiner Entscheidung führende Verfahren so gestalten, dass möglichst zuverlässig die Grundlage einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkannt werden kann (vgl. BVerfGE 55, 171 <182>; BVerfGK 17, 407 <412>). Hierfür wird insbesondere die persönliche Anhörung der betroffenen Kinder dienlich sein. Soweit das Familiengericht in seinem Beschluss vom 19. Mai 2023 darauf verweist, es habe zur Vermeidung von Belastungen für die beiden Kinder auf deren erneute Anhörung verzichtet, zumal diese "im Parallelverfahren" zeitnah angehört worden seien, ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, worauf sich das Familiengericht dabei bezieht. Sollte die im Umgangsverfahren für den 11. März 2022 vorgesehene Anhörung gemeint sein, lag diese bis zum Entscheidungszeitpunkt des Familiengerichts im Sorgerechtsverfahren deutlich über ein Jahr zurück und musste zudem ausweislich des vorliegenden Vermerks über die Anhörung nach der "Einleitung" abgebrochen werden, weil die Kinder sich geweigert hatten, die Anhörung in Abwesenheit von Kindesmutter und "Oma" fortzusetzen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 20.07.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 18 UF 123/23
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 20.07.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 18 UFH 10/23