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BSG - Entscheidung vom 13.01.2023

B 12 KR 23/22 BH

Normen:
SGG § 62
SGG § 73a Abs. 1 S. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 9
SGB V § 175 Abs. 4 S. 4
SGB V § 188 Abs. 4
SGB V § 190 Abs. 9
SGB V § 191 Nr. 4
VVG § 19 Abs. 6
GG Art. 103 Abs. 1

BSG, Beschluss vom 13.01.2023 - Aktenzeichen B 12 KR 23/22 BH

DRsp Nr. 2023/5463

Kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren Erweiterter Beurteilungsspielraum bei der Prüfung der Erfolgsaussichten

Verfahrensfehler ziehen nicht zwingend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach sich, wenn das Klagebegehren offensichtlich haltlos ist und ohne jeden Rückhalt im Gesetz verfolgt wird – hier in einem Rechtsstreit über die Beendigung einer Mitgliedschaft bei einer gesetzlichen Krankenkasse.

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 2022 ( L 5 KR 440/21) Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 62 ; SGG § 73a Abs. 1 S. 1; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 9 ; SGB V § 175 Abs. 4 S. 4; SGB V § 188 Abs. 4 ; SGB V § 190 Abs. 9 ; SGB V § 191 Nr. 4 ; VVG § 19 Abs. 6 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Wirksamkeit einer vom Kläger ausgesprochenen Kündigung seines Mitgliedschaftsverhältnisses bei der beklagten Krankenkasse. Nachdem der als Student versicherte Kläger zum 31.8.2018 exmatrikuliert worden war, kündigte er seine Mitgliedschaft bei der Beklagten mit Schreiben vom 28.9.2018 fristlos. Die Beklagte wies den Kläger darauf hin, dass aufgrund der Exmatrikulation eine rückwirkende Kündigung zum 31.8.2018 zwar grundsätzlich möglich sei, seine Mitgliedschaft bei der Beklagten aber nur beendet werden könne, wenn er eine anderweitige Absicherung für den Krankheitsfall nachweise (Bescheide vom 1.10.2018, 12.10.2018; Widerspruchsbescheid vom 26.3.2019).

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG Köln vom 19.4.2021; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.5.2022). Das LSG hat ausgeführt, die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler führten weder zur Nichtigkeit des Gerichtsbescheids des SG noch zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG . Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei gewahrt. Die Exmatrikulation des Klägers habe zwar seine studentische Pflichtmitgliedschaft nach § 5 Abs 1 Nr 9 iVm § 190 Abs 9 SGB V beendet, die Mitgliedschaft werde jedoch mangels Nachweis einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall als freiwillige Pflichtmitgliedschaft fortgesetzt 188 Abs 4 SGB V ). Die am 28.9.2018 vom Kläger ausgesprochene Kündigung sei - ebenfalls mangels Nachweis einer anderweitigen Absicherung im Krankheitsfall - nicht wirksam geworden 175 Abs 4 Satz 4 SGB V ). Ein Ende der Mitgliedschaft nach § 191 Nr 4 SGB V komme ebenso wenig in Betracht wie eine Kündigung nach der für private Versicherungsverhältnisse geltenden Vorschrift des § 19 Abs 6 Versicherungsvertragsgesetz . Der Antrag festzustellen, dass eine Fortführung des Vertragsverhältnisses keinen positiven Gemeinwohlbeitrag darstelle, sei unzulässig.

Der Kläger beantragt Prozesskostenhilfe (PKH) für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil des LSG.

II

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Die Durchsicht der Akten und die Würdigung des Vorbringens des Klägers haben bei der gebotenen summarischen Prüfung keinen Hinweis auf das Vorliegen eines Revisionszulassungsgrundes ergeben, der die Bewilligung von PKH rechtfertigen könnte. Nach § 160 Abs 2 SGG darf das BSG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die angefochtene Entscheidung von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3).

1. Es ist nicht ersichtlich, dass ein Prozessbevollmächtigter im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darlegen könnte. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten ist - Klärungsfähigkeit - (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 6, 9 ff mwN). Dass die angefochtene Entscheidung des LSG eine abstrakt-generelle klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts 162 SGG ) mit höherrangigem Recht ( BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) mit Breitenwirkung aufwerfen würde, ist nicht zu erkennen.

Auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags wird nicht ersichtlich, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache dargelegt werden könnte. Der Kläger rügt vor allem Verfahrensfehler. In der Sache wendet er sich dagegen, dass er bei der Gegenseite "zwangsversichert" sein müsse, obwohl es ua zu Verstößen gegen den Datenschutz gekommen sei. Der Kläger ist allerdings hinreichend darauf hingewiesen worden, dass er grundsätzlich das Recht hat, eine andere Krankenkasse zu wählen. Dass aufgrund der allgemeinen Pflicht zur hinreichenden Absicherung gegen den Krankheitsfall die Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse nur beendet werden kann, wenn eine solche anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen ist, wirft keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

2. Hinweise darauf, dass das Berufungsurteil iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung des BSG oder des GmSOGB oder des BVerfG abweichen würde, sind ebenfalls nicht erkennbar.

3. Aus dem Vortrag des Klägers in seinem Schreiben vom 4.7.2022 und aus den Akten ist ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens nicht ersichtlich, der nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.

Als vermeintlichen Verfahrensmangel macht der Kläger im Wesentlichen eine Verletzung rechtlichen Gehörs geltend 62 SGG , Art 103 Abs 1 GG ). Er rügt, er sei in der mündlichen Verhandlung aufgefordert worden, zum Ende zu kommen, nachdem er zuvor "lange Zeit ohne jegliche Gegenfragen einen monotonen Vortrag halten musste". Daher habe er "die ganzen (…) vorbereiteten Sachen" nicht mehr vortragen können.

Dem umfangreichen Vorbringen des Klägers und dem Akteninhalt sind bereits keine schlüssigen und nachvollziehbaren Aspekte mit Bezug zum Streitgegenstand zu entnehmen, an deren Darlegung er im Rahmen der mündlichen Verhandlung gehindert worden sein könnte. Zudem führt der Kläger selbst aus, dass er "lange Zeit (…) einen monotonen Vortrag" halten musste.

Unabhängig hiervon, ist nach der - verfassungsrechtlich gebilligten - ständigen Rechtsprechung aller obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 4 ff mwN) im Verfahren der PKH-Bewilligung ein über die unmittelbare Erfolgsaussicht des konkret angestrebten Rechtsmittels hinaus erweiterter Beurteilungsspielraum eröffnet, der es erlaubt, eine öffentlich-rechtliche Unterstützung bei der Beschreitung des Rechtsweges auch dann zu verweigern, wenn der Antragsteller in der Sache letztlich ohne Erfolg bleiben muss. Die soziale Vergünstigung der PKH soll nämlich - jedenfalls primär - dazu dienen, den mittellosen Prozessbeteiligten die Möglichkeit zu geben, materielle Ansprüche durchzusetzen. Zumindest bei Verfahrensfehlern ist daher grundsätzlich nicht nur auf die unmittelbare Erfolgsaussicht der beabsichtigten Beschwerde abzustellen, sondern auch darauf, ob die Rechtsverfolgung insgesamt Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl etwa BSG Beschluss vom 23.1.1998 - B 13 RJ 261/97 B - juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 5.9.2005 - B 1 KR 9/05 BH - SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 9.5.2007 - B 12 KR 1/07 B - juris RdNr 3 mwN). Daher ziehen Verfahrensfehler nicht zwingend die Bewilligung von PKH nach sich, wenn das Klagebegehren offensichtlich haltlos ist und ohne jeden Rückhalt im Gesetz verfolgt wird.

So liegt es hier. Der Kläger kann die angestrebte Beendigung seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten nur erreichen, wenn er eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachweist.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab.

Vorinstanz: LSG Nordrhein-Westfalen, vom 24.05.2022 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KR 440/21
Vorinstanz: SG Köln, vom 19.04.2021 - Vorinstanzaktenzeichen S 17 KR 691/19