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BGH - Entscheidung vom 20.04.2022

VII ZR 720/21

Normen:
VO (EG) Nr. 715/2007
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 20.04.2022 - Aktenzeichen VII ZR 720/21

DRsp Nr. 2022/8725

Inanspruchnahme einer Kraftfahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz

Die Verwendung einer Software, die erkennt, ob sich ein Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet, und in diesem Fall eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung aktiviert, die den Ausstoß von Stickoxiden auf das zulässige Maß reduziert, kommt als Anknüpfungspunkt für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für den Hersteller handelnden Personen grundsätzlich in Betracht.

Tenor

Der Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 14. Juni 2021 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: bis 40.000 €

Normenkette:

VO (EG) Nr. 715/2007; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger erwarb im März 2014 von der Beklagten ein von ihr hergestelltes Fahrzeug des Typs Mercedes Benz GLK 220 CDI BE 4M als Gebrauchtwagen. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.

Das Fahrzeug ist von einem verpflichtenden Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) betroffen.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge auf Ersatz des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 3.968,63 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten weiter und rügt unter anderem eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG .

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit hier von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Dem Kläger stehe gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegen die Beklagte zu.

Eine Haftung wegen des unstreitig im Klägerfahrzeug implementierten Thermofensters scheide ebenso aus wie hinsichtlich weiterer vom Kläger vornehmlich erstinstanzlich behaupteter Abschalteinrichtungen in Form einer "Aufwärmstrategie", einer "Manipulationssoftware", einer Funktion "Bit 15", einer Funktion "Slipguard" sowie einer Manipulation des On-Board-Diagnosesystems (OBD). Die Beklagte habe auch hinsichtlich der unstreitig im Fahrzeug des Klägers implementierten Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) nicht sittenwidrig gehandelt. Bedenken bestünden bereits gegen die Einordnung der KSR als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Der erstinstanzliche Vortrag beschränke sich auf die Wiedergabe vor allem in der medialen Berichterstattung kolportierter Aussagen über die vermeintlich grundsätzliche Wirkungsweise der KSR, ohne aber irgendeinen belastbaren Bezug zum Fahrzeug des Klägers herzustellen. Dies gelte in gleicher Weise für den Berufungsvortrag. Die Beklagte habe durchgängig substantiiert vorgetragen, dass eine Prüfstandsbezogenheit der KSR fehle und diese sich vielmehr im normalen Straßenbetrieb günstig auf die Stickoxidwerte auswirke. Angesichts des substantiierten Bestreitens wäre der Kläger gehalten gewesen darzulegen, dass es sich bei der KSR um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Insoweit belasse es der Kläger aber bei Spekulationen und Vermutungen. Er lege insbesondere nicht belastbar dar, wann genau und wie oft die KSR außerhalb der auf dem Prüfstand herrschenden Bedingungen abgeschaltet werde und wie genau in diesem Zusammenhang der Abschaltmechanismus funktionieren solle. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um zu beurteilen, ob die KSR überhaupt mit der Kippschaltautomatik im von der Volkswagen AG produzierten Motor EA 189 vergleichbar prüfstandsbezogen sei. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast kämen dem Kläger nicht zugute. Sie reduzierten nicht bereits die Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegung des Anspruchsstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale. Der Beibringungsgrundsatz dürfe nicht ausgehöhlt werden. Hier fehle es bereits an der Grundlage, nämlich an der klägerischen Darlegung der konkreten Betroffenheit des Fahrzeugs des Klägers.

Daran ändere der Rückruf seitens des KBA, von dem das Fahrzeug betroffen sei, nichts. Zwar behaupte der Kläger, der Rückruf sei wegen der KSR erfolgt. Dem Vortrag sei die Beklagte aber dezidiert entgegen getreten, indem sie eine Auskunft des KBA in einem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart betreffend einen Mercedes Benz GLK 220 CDI 4MATIC mit dem Motortyp OM 651 (Euro 5) vorgelegt habe, derzufolge nach Einschätzung des KBA bei der KSR keine Prüfstandserkennung vorliege. Ergänzend fehle es an einem subjektiv sittenwidrigen Handeln der Beklagten, da diese nachvollziehbar dargetan habe, warum sie keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der von ihr verwendeten KSR habe hegen müssen.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Belangen stand.

a) Zutreffend und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht beanstandet 12 hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, eine Haftung der Beklagten hinsichtlich des Thermofensters sei ausgeschlossen. Der Kläger wendet sich auch nicht gegen die Abweisung der Klage im Hinblick auf weitere behauptete Abschalteinrichtungen in Form einer "Aufwärmstrategie", einer "Manipulationssoftware", einer Funktion "Bit 15", einer Funktion "Slipguard" sowie der behaupteten Manipulation des OBD.

b) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Ablehnung von Ansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV rügt, wären diese jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Die Beklagte haftet dem Kläger weder nach den genannten Normen noch nach den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, weil das Interesse, nicht zu einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich dieser Bestimmungen liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2022 - III ZR 87/21 Rn. 12 ff., juris; Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20 Rn. 36, WM 2021, 2108 ; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 1715 ; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316 ). Die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 23. September 2021 in Bezug auf Vorlagefragen österreichischer Gerichte betreffend das Thermofenster (abrufbar unter https://curia.europa.eu) geben keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung. Der Generalanwalt befürwortet, das dort zur Überprüfung gestellte Thermofenster als eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 einzuordnen und ein so ausgestattetes Fahrzeug als nicht dem Kaufvertrag gemäß im Sinne der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EU 1999, L 171, S. 12) anzusehen. Wie schon bei der "Umschaltlogik" (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, NJW 2021, 1216 ), besagt dies aber für die hier allein interessierende Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, nichts. Es sind auch im vorliegenden Verfahren keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckte und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-) Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 11, ZIP 2020, 1715 ).

c) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt aber zu Recht, dass das Beru14 fungsgericht die Substantiierungsanforderungen im Hinblick auf die KSR in gehörsverletzender Weise gehandhabt habe. Damit hat es den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

aa) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 11. März 2021 - VII ZR 196/18 Rn. 42, BauR 2021, 1183 = NZBau 2021, 316 ; Beschluss vom 4. November 2020 - VII ZR 261/18 Rn. 13, BauR 2021, 593 = NZBau 2021, 178 ; Beschluss vom 14. Dezember 2017 - VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669 ; Beschluss vom 16. November 2016 - VII ZR 23/14 Rn. 8, 10, ZfBR 2017, 146 ; jeweils m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 11. März 2021 - VII ZR 196/18 Rn. 42, BauR 2021, 1183 = NZBau 2021, 316 ; Beschluss vom 4. November 2020 - VII ZR 261/18 Rn. 13, BauR 2021, 593 = NZBau 2021, 178 ; Beschluss vom 26. Februar 2020 - VII ZR 166/19 Rn. 14, BauR 2020, 1035 = NZBau 2020, 293 ; Beschluss vom 14. Dezember 2017 - VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669 ; jeweils m.w.N.).

bb) Gemessen daran begegnet das Berufungsurteil durchgreifenden Bedenken.

(1) Zwar indiziert ein verpflichtender Rückruf seitens des KBA nicht bereits hinreichend das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung, über die zudem das KBA bei Erteilung der Typgenehmigung getäuscht worden sein müsse. Damit eine unzulässige Abschalteinrichtung eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB auslösen kann, müssen nach der mittlerweile gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20 Rn. 30, WM 2021, 2108 ; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 28, VersR 2021, 661 ; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297 ).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet insoweit aber zu Recht, dass das Berufungsgericht dem Sachvortrag des Klägers nicht nachgegangen ist, die Abgasreinigung seines Fahrzeugs werde durch eine Software-Funktion gesteuert, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, und in diesem Fall eine KSR aktiviere, die den Ausstoß von Stickoxiden auf das zulässige Maß reduziere. Die Verwendung einer derartigen Prüfstandserkennungssoftware käme als Anknüpfungspunkt für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der für die Beklagte handelnden Personen grundsätzlich in Betracht. Damit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen offenkundig überspannt.

(a) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1819/10, WM 2012, 492 , juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 20, WM 2021, 1609 ; Urteil vom 18. Mai 2021 - VI ZR 401/19 Rn. 19, MDR 2021, 871 ; Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19 Rn. 7, ZIP 2020, 486 ; Beschluss vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17 Rn. 11, VersR 2019, 835 ; jeweils m.w.N.).

Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 21 f. m.w.N., WM 2021, 1609 ).

(b) Gemessen an diesen Grundsätzen liegt eine Gehörsverletzung vor.

(aa) Das Berufungsgericht durfte die Behauptung des Klägers, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige, prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung in Gestalt einer KSR implementiert, nicht als prozessual unbeachtlich ansehen. Denn der Kläger hat hierzu hinreichend konkrete Ausführungen gemacht, wie die Nichtzulassungsbeschwerde aufzeigt. Er hat unter Berufung auf Berichterstattung vom 14. April und 19. Mai 2019 im "Handelsblatt" vorgetragen, das KBA ermittle seit Herbst 2018 wegen des Verdachts einer unzulässigen Abschaltvorrichtung gegen die Beklagte, bei der eine Software-Funktion eine spezielle Temperaturregelung (Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung) aktiviere, welche den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter halte und die Aufwärmung des Motoröls verzögere. Nur dadurch blieben die Stickoxidwerte auf dem Prüfstand unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte. Im realen Fahrbetrieb hingegen werde diese Funktion deaktiviert und der gesetzliche Grenzwert von 180 mg/km deutlich überstiegen. Diese Software-Funktion sei zunächst bei Emissionsmessungen an einem GLK 220 CDI mit OM 651-Dieselmotor festgestellt worden. Im Juni 2019 habe das KBA aufgrund der detektierten und unzulässigen Abschaltvorrichtung einen amtlichen Rückruf für zunächst rund 60.000 Dieselautos des Modells GLK 220 CDI mit Euro-5-Norm und dem von der Beklagten produzierten OM 651-Motor erlassen. Die Beklagte habe im Oktober 2019 selbst mitgeteilt, dass ein weiterer Rückrufbescheid vom KBA erlassen worden sei und die beanstandete KSR in verschiedenen Modellen implementiert worden sei. Die Motorsteuerung erkenne die im Vergleich zum realen Fahrbetrieb auf dem Prüfstand erheblich geringeren Beschleunigungswerte, die damit einhergehende geringere Motordrehzahl sowie den geringeren Luftmassenstrom. Auf dem Prüfstand werde die Kühlflüssigkeit auf einer Solltemperatur von 70 °C gehalten, während im realen Betrieb 100 °C vorgesehen seien. Die Bedingungen, unter denen die erhöhte Solltemperatur von 100 °C angesteuert werde, würden im realen Betrieb beim ersten Anfahren erfüllt.

(bb) Weitergehender Vortrag war vom Kläger auf der Darlegungsebene nicht zu verlangen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ergibt sich der hinreichende Bezug zum Klägerfahrzeug aus dem vom Berufungsgericht festgestellten verpflichtenden Rückruf durch das KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beziehungsweise wegen der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems. Der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Klägerfahrzeug wird dadurch indiziert. Der Kläger durfte sich insoweit darauf beschränken zu behaupten, dass der Rückruf wegen der KSR erfolgt sei. Dass das KBA ausweislich eines Antwortschreibens auf eine gerichtliche Anfrage in einem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart die KSR im dortigen Verfahren nicht als prüfstandsbezogen eingestuft hat, steht der Beachtlichkeit des vom Kläger gehaltenen Sachvortrags auf der Darlegungsebene genausowenig entgegen wie das Bestreiten der Beklagten, dass die KSR nur auf dem Prüfstand aktiviert sei. Auch insoweit überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiierung des Klägervortrags, indem es Vortrag zu den technischen Einzelheiten verlangt, unter denen die KSR eingreife.

d) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre.

e) Von der aufgezeigten Gehörsverletzung beeinflusst ist zugleich die unter Bezugnahme auf die Ausführungen zum Thermofenster erfolgte Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe hinsichtlich der KSR nicht hinreichend dazu vorgetragen, dass die für die Beklagte agierenden Personen die unzulässige Abschalteinrichtung im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes entwickelt und implementiert haben. Sollte die KSR, wie der Kläger behauptet, faktisch ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivieren, wäre dieser Umstand grundsätzlich geeignet, auf eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der Handelnden zu schließen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2021 - VII ZR 126/21 Rn. 18, BeckRS 2021, 33038; Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20 Rn. 19, WM 2021, 2108 ; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 27, VersR 2021, 661 ; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 18, ZIP 2021, 297 ).

III.

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO ).

Vorinstanz: LG Mainz, vom 02.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 164/19
Vorinstanz: OLG Koblenz, vom 14.06.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 1614/20