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BGH - Entscheidung vom 23.06.2022

VII ZR 442/21

Normen:
BGB § 31
BGB § 826

BGH, Urteil vom 23.06.2022 - Aktenzeichen VII ZR 442/21

DRsp Nr. 2022/11756

Haftung des Herstellers wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Neufahrzeug

Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer insbesondere sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten zu 3 wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 22. April 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren trägt der Kläger.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die weiteren Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Normenkette:

BGB § 31 ; BGB § 826 ;

Tatbestand

Der Kläger bestellte im April 2016 bei der nicht am Revisionsverfahren beteiligten Beklagten zu 1, einem Autohaus, einen von der Beklagten zu 3 hergestellten Neuwagen Audi Q7 SUV 3.0 TDI, der im Juni 2016 ausgeliefert wurde. Den Kaufpreis finanzierte er teilweise durch ein Darlehen der Audi Bank, das in 36 monatlichen Raten à 780,50 € zurückzuzahlen war. Die Darlehensbedingungen sahen ein sogenanntes verbrieftes Rückgaberecht vor. Der Kläger machte davon im laufenden Rechtsstreit Gebrauch; am 18. Juni 2019 gab er das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 80.114 km an die Beklagte zu 1 zurück und zahlte dabei 3.571,23 € für eine höhere als vertraglich zugrunde gelegte Nutzung des Fahrzeugs sowie weitere 1.314,95 € für Schäden am Fahrzeug.

Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten zu 3 hergestellten Dieselmotor ausgestattet. Für die Abgasreinigung mittels SCR-Katalysators wird eine wässrige Harnstofflösung ("AdBlue") eingesetzt. Welche Typbezeichnung der Motor trägt, ist zwischen den Parteien streitig, nach der Darstellung der Beklagten zu 3 handelt es sich um einen Motor der Baureihe EA 897 Gen2evo.

Unter dem 23. Januar 2018 veröffentlichte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) eine Pressemitteilung, derzufolge bei der Überprüfung der Audi 3.0 l Euro 6, Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5, Q7, unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien. Im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) springe bei den Fahrzeugen eine sogenannte schadstoffmindernde "Aufheizstrategie" an, die überwiegend im realen Verkehr nicht aktiviert werde. Ob das Fahrzeug des Klägers einem verpflichtenden Rückruf durch das KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterliegt, ist zwischen den Parteien streitig.

Im September 2019 - nach der Rückgabe des Fahrzeugs - erhielt der Kläger ein Schreiben der Beklagten zu 3, in dem sie mitteilte, auf Veranlassung des KBA sei bei dem Fahrzeug ein Software-Update vorzunehmen, weil ein missbräuchliches Befüllen des AdBlue-Tanks "nicht in allen Fällen mit der erforderlichen Güte" erkannt werde.

Der Kläger hat geltend gemacht, in dem Motor seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Einerseits werde prüfstandspezifisch die Abgasreinigung erhöht, andererseits werde vermehrt Harnstoff eingespritzt beziehungsweise eine schadstoffmindernde "Aufheizstrategie" eingesetzt. Der Rückrufbescheid des KBA betreffend einen Audi Q7 Typ 4L 3.0 l Diesel Euro 6 von Dezember 2017 betreffe das Klägerfahrzeug; danach seien vier unzulässige Abschaltstrategien vorhanden.

Mit seiner - von dem Landgericht abgewiesenen - Klage hat der Kläger von der Beklagten zu 3 zuletzt unter anderem die Erstattung der Finanzierungskosten nebst Mehrzahlung wegen höherer als vereinbarter Fahrleistung bei Ausübung des Rückgaberechts sowie der Zahlung für Schäden am Fahrzeug verlangt.

Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte zu 3 zur Erstattung der Finanzierungskosten zuzüglich der Zahlung für "Mehrkilometer" und der Zahlung für Schäden am Fahrzeug unter Abzug einer Nutzungsentschädigung, insgesamt 17.910,63 € nebst Prozesszinsen verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zu 3 weiter die vollständige Abweisung der Klage. Die Nichtzulassungsbeschwerden des Klägers gegen die Beklagten zu 2 und 3 hat dieser zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Beklagte zu 3 hafte dem Kläger gemäß §§ 826 , 31 BGB . Der im Fahrzeug des Klägers verbaute Motor sei mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Der Kläger habe dazu hinreichend vorgetragen, unter anderem durch Bezugnahme auf den vorgelegten Rückrufbescheid des KBA, der vier "Strategien" erwähne. Der Kläger habe weitere Programmierungen angeführt, wie die Drosselung der Leistung auf dem Prüfstand, namentlich die "Aufheizstrategie" und die nur beim NEFZ wirksame hohe AdBlue-Verwendung. Auch wenn sich den Bescheiden beziehungsweise Pressemitteilungen des KBA nicht entnehmen lasse, dass sie sich konkret auf den Fahrzeug- und Motortyp des Klägerfahrzeugs bezögen, sei die offensichtliche "Entwicklungsnähe" des hiesigen Motors beziehungsweise der Motorsteuerung zu dem Motor in den vom KBA beanstandeten Fahrzeugen entscheidend.

Mangels erheblichen Bestreitens seien diese Ausführungen des Klägers zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO . Die Beklagte zu 3 habe sich - unter Verwendung einer unübersichtlichen und nicht erklärten Nomenklatur - darauf zurückgezogen, der vorgelegte KBA-Bescheid habe sich auf das Vorgängermodell Audi Q7 "4L" bezogen, während es für den Klägerfahrzeugtyp Audi Q7 "4M" keinen verpflichtenden Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gebe. Die Rückrufe hätten sich auf Motortypen mit der Kennung CRTD bezogen, während das Klägerfahrzeug einen Motor mit der Kennung CRTC aufweise. Bei dem Klägerfahrzeugtyp habe das KBA nur eine Konformitätsabweichung hinsichtlich der Erkennung von AdBlue festgestellt.

Auf den fehlenden Rückruf komme es indes nicht an, weil ein Rückrufbescheid keine Voraussetzung für die Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei. Die Behauptung, das KBA habe mehrfach bestätigt, im fraglichen Fahrzeugtyp seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorhanden, sei ebenso unerheblich, da dieses den vorgelegten Mitteilungen nicht zu entnehmen sei. Die mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vorgelegte, in einem Parallelverfahren vor einem anderen Senat des Berufungsgerichts eingeholte Bestätigung des KBA vom 31. März 2021 sei gemäß § 296a Satz 1 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Die Beklagte zu 3 bestätige zugleich, dass mehrere Rückrufe des KBA den V6 3.0 l Diesel-Motor beträfen, ohne jedoch die Unterschiede in der Motorsteuerung hinsichtlich des Emissionsverhaltens darzulegen. Insoweit sei sie dem Auflagenbeschluss des Berufungsgerichts nicht nachgekommen.

Sei damit von unzulässigen Abschalteinrichtungen auszugehen, liege auch ein objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu 3 vor. Der Klägervortrag zu einem auf einer Strategieentscheidung beruhenden Inverkehrbringen ganzer Baureihen sei ebenfalls zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO . Näherer Vortrag sei dem Kläger mangels Erfüllens der sekundären Darlegungslast durch die Beklagte zu 3 nicht möglich. Bedeutsam sei auch, dass sie sich zum Vortrag des Klägers, sie habe in Bezug auf die von ihm benannten Abschalteinrichtungen "Studien zur Aufdeckungswahrscheinlichkeit" vorgenommen, trotz Hinweises des Gerichts nicht eingelassen habe und diesen Vortrag nicht hinreichend bestritten habe, so dass auch insoweit § 138 Abs. 3 ZPO gelte. Dies stelle ein Indiz für eine Täuschungsabsicht dar. Zudem sei die Beklagte zu 3 unstreitig einer Reihe von Rückrufen des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgesetzt, so dass eine grundsätzliche Entscheidung zur Verwendung solcher Programmierungen vorliege. Von einer Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände eines Repräsentanten der Beklagten zu 3 sei auszugehen. Indem die Beklagte zu 3 dem Vortrag des Klägers zu Untersuchungen über die "Aufdeckungswahrscheinlichkeit" nicht entgegengetreten sei, lägen ausreichende Indizien für eine Kenntnis der Sittenwidrigkeit vor.

Dem Kläger sei ein Schaden in Form des ungewollten Vertragsschlusses entstanden, der nicht durch die Ausübung des im Rahmen der Finanzierung eingeräumten Rückgaberechts entfallen sei. Er habe Anspruch auf Ersatz der Finanzierungskosten zuzüglich der Mehrzahlung wegen höherer als vereinbarter Fahrleistung bei Ausübung des Rückgaberechts sowie der Kostenerstattung für Schäden am Fahrzeug abzüglich einer auf Basis einer Gesamtlaufleistungserwartung von 350.000 km zu berechnenden Nutzungsentschädigung, mithin noch 17.910,63 €.

II.

Die Revision der Beklagten zu 3 ist gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO insgesamt statthaft. Das Berufungsgericht hat die Revision unbeschränkt zugelassen.

1. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision der Beklagten zu 3 im Tenor seines Urteils ohne Einschränkungen ausgesprochen. Allerdings kann sich eine Zulassungsbeschränkung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch aus den Entscheidungsgründen ergeben, sofern die Beschränkung klar und eindeutig ist. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt, der Gegenstand eines Teilurteils oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann. Hingegen genügt die bloße Angabe des Grundes für die Zulassung der Revision nicht, um von einer Zulassungsbeschränkung auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn.16, WM 2021, 2056 ; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19 Rn. 12, GRUR 2021, 106 ; Beschluss vom 25. Juni 2019 - I ZR 91/18 Rn. 3, juris; Urteil vom 8. Januar 2019 - II ZR 139/17 Rn. 17 f., WM 2019, 495 ; jeweils m.w.N.).

2. Danach ist die Revision hier unbeschränkt zugelassen. Zwar kann die Revisionszulassung auf die Anspruchshöhe beschränkt werden, weil es sich dabei um einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Streitstoffs handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2017 - VII ZR 46/17 Rn. 4, BauR 2018, 555 ; Urteil vom 27. September 2011 - II ZR 221/09 Rn. 18 m.w.N., MDR 2011, 1494 ). Dies ist dem Berufungsurteil indes nicht zu entnehmen. Das Berufungsgericht führt aus, die Zulassung der Revision sei gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geboten, weil die Frage der Auswirkung eines zwischenzeitlichen Verkaufs des Fahrzeugs durch den Geschädigten in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet werde. Gemeint ist damit ausweislich der Urteilsgründe die - seinerzeit umstrittene - Frage, ob der Schaden infolge der Weiterveräußerung entfällt. Dies betrifft entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht die Anspruchshöhe, sondern den Grund des Anspruchs, da der Eintritt eines Schadens zu den Anspruchsvoraussetzungen gehört.

III.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis nicht in allen Belangen stand.

1. Zutreffend führt das Berufungsgericht allerdings aus, die in der Ausübung des verbrieften Rückgaberechts liegende Veräußerung des Fahrzeugs an die Beklagte zu 1 lasse den im ungewollten Vertragsschluss des Klägers liegenden Schaden nicht entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2021 - VII ZR 389/21 Rn. 20, ZIP 2022, 220 ; Urteil vom 20. Juli 2021 - VI ZR 533/20 Rn. 24 ff., WM 2021, 1817 ). Die Berechnung des Nutzungsersatzes orientiert sich entgegen der Auffassung der Revision nicht an der Höhe der Finanzierungskosten (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2021 - VII ZR 389/21 Rn. 19, ZIP 2022, 220 ), so dass auch insoweit der Schaden nicht entfällt.

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet indes die Feststellung, die Beklagte zu 3 habe den Kläger sittenwidrig vorsätzlich geschädigt, indem sie das Fahrzeug des Klägers mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen in Verkehr gebracht habe, die der Typgenehmigungsbehörde nicht offengelegt worden seien.

a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20 Rn. 13 m.w.N., WM 2021, 2108 ). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 11, WM 2021, 1609 ; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 29, ZIP 2020, 1715 ; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 15, BGHZ 225, 316 ). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 12, VersR 2021, 661 ; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 14, ZIP 2021, 297 ; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 29, ZIP 2020, 1715 ; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 15, BGHZ 225, 316 ). Ob das Verhalten des Anspruchsgegners sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20 Rn. 14 m.w.N., WM 2021, 2108 ).

b) Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer insbesondere sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn. 21, WM 2021, 2056 ; Urteil vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19 Rn. 19, NJW 2021, 1669 ; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 23, 25, BGHZ 225, 316 ).

c) Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte zu 3 einzustehen hat, nicht ohne Rechtsfehler festgestellt.

aa) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, der Vortrag des Klägers zu mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen, die im Motor des ehemaligen Fahrzeugs des Klägers installiert gewesen seien, sei gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, weil die Beklagte zu 3 einer ihr insoweit obliegenden sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Der Vortrag der Beklagten zu 3 war für ein Bestreiten ausreichend.

(1) Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier der Kläger - vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn. 26, WM 2021, 2056 ; Urteil vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19 Rn. 25 ff. m.w.N., NJW 2021, 1669 ).

(2) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht das Bestreiten der Beklagten zu 3 nicht als unbeachtlich behandeln und den Vortrag des Klägers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden ansehen.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger maßgeblich auf den Bescheid des KBA Bezug genommen, aus dem sich vier "Strategien" zur Beeinflussung der Abgasreinigung ergäben. Auch wenn sich dem Bescheid nicht entnehmen lasse, dass er das Klägerfahrzeug betreffe, sei die offensichtliche "Entwicklungsnähe" entscheidend. Den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge hat die Beklagte zu 3 nicht nur bestritten, dass das Klägerfahrzeug einem verpflichtenden Rückruf durch das KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterliege. Vielmehr hat die Beklagte zu 3 weiter geltend gemacht, das KBA habe mehrfach bestätigt, dass in dem betroffenen Fahrzeugtyp keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Der Rückruf, der sich auf das Klägerfahrzeug bezogen habe, sei wegen einer Konformitätsabweichung im Hinblick auf die Erkennung der Zuführung von AdBlue, aber gerade nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt.

Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass greifbare Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch dann gegeben sind, wenn das KBA bezüglich des konkreten Fahrzeugtyps des Klägers noch keine Rückrufaktion angeordnet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19 Rn. 13, BB 2020, 527 zur Darlegung eines Sachmangels nach Kaufrecht). Das Übergehen des unter Beweis gestellten Vortrags, das KBA habe festgestellt, dass das Fahrzeugmodell des Klägers nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen sei, überspannt indes die Substantiierungsanforderungen an das Bestreiten der Beklagten zu 3.

(a) Der Kläger hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unter Bezug auf einen Bescheid des KBA, mit dem dieses unter anderem die Existenz einer prüfstandspezifischen Aufwärmfunktion und eine nur beim NEFZ wirksame hohe Verwendung von AdBlue beanstandet hat, behauptet, im Klägerfahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Dieser Bescheid bezieht sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht nachweislich auf den Motortyp des Klägerfahrzeugs. Diesem Vortrag ist die Beklagte zu 3 zudem damit begegnet, dass das KBA das streitgegenständliche Fahrzeugmodell untersucht und schriftlich bestätigt habe, dass dieses nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen sei. Die vom Berufungsgericht angeführte "offensichtliche Entwicklungsnähe" ist vor dem Hintergrund dieses Vortrags nicht geeignet, auf eine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug des Klägers zu schließen und den Vortrag des Klägers gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Nicht entscheidend ist dabei, ob den von der Beklagten zu 3 vorgelegten Bescheinigungen des KBA eine entsprechende Aussage konkret bezogen auf das Fahrzeugmodell des Klägers zu entnehmen ist, was das Berufungsgericht verneint hat. Erheblich und substantiiert war der Vortrag gleichwohl. Das Berufungsgericht durfte sich nicht einerseits zugunsten des Klägers auf den vorgelegten und weitere Rückrufbescheide des KBA bezüglich anderer Fahrzeugmodelle der Beklagten zu 3 stützen und andererseits den Beklagtenvortrag, das KBA habe den hier in Rede stehenden Fahrzeugtyp untersucht und nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung beanstandet, für unerheblich halten.

(b) Unberechtigt ist der in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht erhobene Vorwurf, angesichts der - unstreitigen - mehreren Rückrufe, mit denen die Beklagte zu 3 konfrontiert sei, hätte ihr näherer Vortrag zu den Unterschieden in der Motorsteuerung hinsichtlich des Emissionsverhaltens oblegen, den sie trotz Hinweises des Gerichts nicht gehalten habe. Auch das überspannt unter Berücksichtigung der grundsätzlich dem Kläger obliegenden Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 826 BGB die Anforderungen an den Beklagtenvortrag, indem zusätzlich zum - substantiierten - Bestreiten des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung eine Begründung dafür gefordert wird, warum kein gesetzwidriges Verhalten vorliege.

bb) Nicht ohne Rechtsfehler erfolgt ist ferner die Feststellung, die Beklagte zu 3 habe das Klägerfahrzeug in Kenntnis einer Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit in Verkehr gebracht. Da die Annahme eines unzureichenden Bestreitens der Beklagten zu 3 hinsichtlich des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Klägerfahrzeug gehörsverletzend ist, scheiden die angeblich fehlenden Angaben als geeignetes Indiz für ein Bewusstsein der Rechtswidrigkeit aus.

Soweit das Berufungsgericht zusätzlich auf ein unzureichendes Bestreiten des Klägervortrags zu von der Beklagten zu 3 in Auftrag gegebenen sogenannten Studien zur Aufdeckungswahrscheinlichkeit von Abschalteinrichtungen abstellt, ist auch dies verfahrensfehlerhaft, wie die Revision zutreffend rügt. Die Beklagte zu 3 hat die vom Kläger wörtlich aus einem anderen Berufungsurteil zitierte Passage, nach der der dortige Kläger unwidersprochen unter Vorlage einer nicht näher beschriebenen Anlage K 23 zu "Studien zur Aufdeckungswahrscheinlichkeit verschiedener Abschalteinrichtungen" der Beklagten zu 3 vorgetragen habe, auf die Aufforderung des Berufungsgerichts zur Stellungnahme in dem von der Revision in Bezug genommenen Schriftsatz vom 15. März 2021 bestritten. Die Beklagte zu 3 hat dabei darauf verwiesen, dass ihr klägerischer Vortrag zu solchen Studien nicht vorliege genauso wenig wie eine Anlage K 23. Mehr war zu einem Bestreiten dieses sich in einem bloßen Schlagwort erschöpfenden, nicht ansatzweise inhaltlich konkretisierten Vortrags des Klägers nicht erforderlich.

IV.

Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat ist nicht veranlasst, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO ). Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten zu 3 zunächst Feststellungen zum Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in das Fahrzeug des Klägers zu treffen haben, gegebenenfalls sodann zu den Voraussetzungen, unter denen dies eine Haftung der Beklagten zu 3 zu begründen vermag.

V.

Die Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der am weiteren Verfahren nicht mehr beteiligten Beklagten zu 2 folgt nach Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers aus §§ 565 , 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 23. Juni 2022

Vorinstanz: LG Dortmund, vom 17.12.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 12 O 352/18
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 22.04.2021 - Vorinstanzaktenzeichen I-18 U 15/20