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BAG - Entscheidung vom 15.12.2022

2 AZR 117/22

Normen:
ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2

Fundstellen:
NZA 2023, 320

BAG, Urteil vom 15.12.2022 - Aktenzeichen 2 AZR 117/22

DRsp Nr. 2023/1460

Zulässigkeit der Berufung als Prozessvoraussetzung Anforderungen an die ordnungsgemäße Berufungsbegründung Keine nachträgliche Heilung der ungenügenden Berufungsbegründung

1. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach der Berufungseinlegung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat. 2. Die Berufungsbegründung muss die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. 3. Wird nicht erkennbar, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das Urteil angegriffen werden soll, ist die Berufungsbegründung unzulässig. Ein nachträgliches Vorbringen weiterer Gründe nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist kann den Mangel nicht mehr heilen.

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Februar 2022 - 17 Sa 1066/21 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Juni 2021 - 38 Ca 11841/20 - wird als unzulässig verworfen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Normenkette:

ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ;

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten, gegen die der Kläger sich sinngemäß mit dem Antrag gewandt hat

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 19. August 2020 nicht aufgelöst worden ist.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet, weil die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts mangels ausreichender Begründung unzulässig ist.

I. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach der Berufungseinlegung und deshalb vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Das gilt auch, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig gehalten hat (st. Rspr., zuletzt BAG 13. Oktober 2021 - 5 AZR 291/20 - Rn. 16).

II. Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergeben. Erforderlich ist eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Die zivilprozessuale Regelung soll gewährleisten, dass der Rechtsstreit für die Berufungsinstanz durch eine Zusammenfassung und Beschränkung des Rechtsstoffs ausreichend vorbereitet wird. Dabei dürfen im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie zwar keine unzumutbaren Anforderungen an den Inhalt von Berufungsbegründungen gestellt werden. Die Berufungsbegründung muss aber auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen das angefochtene Urteil fehlerhaft sein soll (BAG 27. Januar 2021 - 10 AZR 512/18 - Rn. 15).

III. Nach diesen Grundsätzen ist die Berufung unzulässig. Der Kläger setzt sich nicht - hinreichend - mit dem angegriffenen Urteil des Arbeitsgerichts auseinander.

1. Dieses hat gemeint, die streitbefangene Kündigung sei aus Gründen im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG . Er habe seine Hauptpflicht verletzt, die auf eine Vermittlung auf einen anderen Arbeitsplatz ziele. Es sei weder ersichtlich noch vom Kläger unter konkretem Tatsachenvortrag geltend gemacht, dass die ihm mehrfach angebotene Integrationsbeschäftigung unzumutbar sein könnte. Sein pauschaler Hinweis auf gesundheitliche Einschränkungen sei ohne nähere Belege nicht weiterführend. Das "Ärztliche Attest", wonach ein "wohnungsnaher Arbeitsplatz empfehlenswert" sei, sei ohne Substanz. Es lasse keine medizinischen Gründe für diese Einschätzung erkennen.

2. In der Berufungsbegründung hat der Kläger letztlich nur eingewandt, die Beklagte müsse, nachdem sie eine betriebsärztliche Untersuchung abgelehnt habe, das "Ärztliche Attest" akzeptieren, weil es die aktuellste Einschätzung beinhalte.

3. Eine ausreichende Auseinandersetzung mit den die erstinstanzliche Entscheidung tragenden Gründen liegt hierin nicht. Es wird nicht erkennbar, in welchen Punkten rechtlicher oder tatsächlicher Art und aus welchen Gründen diese angegriffen werden sollen (vgl. BAG 19. Oktober 2010 - 6 AZR 120/10 - Rn. 15). Mit seinen Ausführungen beanstandet der Kläger weder die ihm nach seinem Verständnis auferlegte (sekundäre) Darlegungslast noch ergänzt er sein Vorbringen um die aus seiner Sicht bestehenden medizinischen Gründe (zur Möglichkeit, die Berufung allein auf neuen Vortrag zu stützen, vgl. BAG 21. Mai 2019 - 2 AZR 574/18 - Rn. 11 ff., BAGE 167, 14 ). Sein weiteres Vorbringen im Schriftsatz vom 21. Oktober 2021 vermag schon deshalb nicht zur Zulässigkeit der Berufung zu führen, weil dieses außerhalb der bereits verlängerten Frist zu ihrer Begründung erfolgt ist und eine ungenügende Berufungsbegründung nach Fristablauf nicht mehr geheilt werden kann (vgl. BGH 19. August 2021 - III ZB 23/21 - Rn. 15).

IV. Da dem Senat eine Sachentscheidung über die streitbefangene Kündigung verwehrt ist, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht weder Feststellungen zur Eröffnung des betrieblichen Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes23 Abs. 1 KSchG ) noch zum Geltungsgrund des sog. DemografieTV vom 17. September 2020 im Arbeitsverhältnis der Parteien getroffen hat. Dessen ungeachtet hätte dieser Tarifvertrag die Wirksamkeit der bereits am 25. August 2020 zugegangenen Kündigung ohnehin nicht hindern können.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 , § 91 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: LAG Berlin-Brandenburg, vom 23.02.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 17 Sa 1066/21
Vorinstanz: ArbG Berlin, vom 10.06.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 38 Ca 11841/20
Fundstellen
NZA 2023, 320