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BGH - Entscheidung vom 15.06.2021

VI ZR 566/20

Normen:
ZPO § 552a S. 1

BGH, Beschluss vom 15.06.2021 - Aktenzeichen VI ZR 566/20

DRsp Nr. 2021/11662

Zurückweisung einer Revision mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache

1. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit illegaler Prüfstanderkennungssoftware stellt sich nach Information der Öffentlichkeit nicht mehr als sittenwidrig dar.2. Bei bei den Vorschriften des EG-FGV, handelt es sich ebenso wie bei Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG, nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB , die den Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers bezwecken.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. März 2020 durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.

Normenkette:

ZPO § 552a S. 1;

Gründe

I.

Der Kläger erwarb am 29. Januar 2016 von einem Autohaus einen gebrauchten Pkw Audi A6 Avant 2.0 TDI, den die Beklagte hergestellt hat und der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet ist. In dem Fahrzeug war eine Motorgerätesoftware verbaut, durch welche auf dem Prüfstand (NEFZ) bessere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb. Das vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigte Software-Update wurde im November 2016 aufgespielt.

Vor Abschluss des Kaufvertrags, am 22. September 2015, gab die Volkswagen AG als Konzernmutter der Beklagten eine Ad-hoc-Mitteilung heraus, in der sie über die Dieselproblematik informierte und mitteilte, dass "die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden" sei. Die Beklagte informierte die Presse in einer Mitteilung vom 2. Oktober 2015 über die Dieselproblematik und schaltete eine Internetseite, auf der sich Kunden mit Hilfe der Fahrzeug-Identifikationsnummer darüber informieren konnten, ob ihr Fahrzeug von der Manipulation betroffen ist. Dies wurde in den Medien bekannt gemacht.

Das Landgericht hat die auf Erstattung der Kosten für die Finanzierung des Kaufpreises nebst Rechtsanwaltskosten und Prozesszinsen gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge in vollem Umfang weiter.

II.

1. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht mehr vor (§ 552a Satz 1, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Rechtsfragen, die das Berufungsgericht veranlasst haben, die Revision zuzulassen, sind durch die nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 (NJW 2020, 2798 ), vom 8. Dezember 2020 - VI ZR 244/20 (ZIP 2021, 84 ) und vom 23. März 2021 - VI ZR 1180/20 (WM 2021, 986 ) sowie durch den Senatsbeschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 (WM 2021, 652 ) geklärt.

2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat dem Kläger im Ergebnis zu Recht einen Anspruch auf Schadensersatz versagt.

a) Ein Anspruch aus § 826 BGB scheitert zwar entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht am Zurechnungszusammenhang, aber nach der unter Ziffer 1. zitierten Senatsrechtsprechung daran, dass - selbst wenn man unterstellt, dass der Beklagten beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs die illegale Prüfstanderkennungssoftware bekannt war (vgl. zur Frage der Haftung von Audi Senatsurteil vom 8. März 2021- VI ZR 505/19, ZIP 2021, 799 Rn. 20 ff.) - sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht in Frage gestellten Feststellungen das gesamte Verhalten der Beklagten bis zum Eintritt des Schadens beim Kläger in der gebotenen Gesamtschau nicht als sittenwidrig darstellt. Nach diesen Feststellungen hat die Beklagte im Anschluss an die Ad-hoc-Mitteilung ihrer Konzernmutter vom 22. September 2015 ihrerseits durch die Mitteilung vom 2. Oktober 2015 die Öffentlichkeit über die Dieselproblematik informiert und eine Internetseite freigeschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr Fahrzeug mit der Software ausgestattet ist. Ferner hat sie die Händler und Vertriebspartner informiert. Dass die Beklagte möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber späteren Käufern nicht aus.

b) Der Klageanspruch ergibt sich entgegen der Ansicht der Revision (Schriftsatz vom 21. Mai 2021) auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV. Der Senat hält unter Berücksichtigung der von der Revision insoweit angeführten Argumente an seiner in den Urteilen vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 (BGHZ 225, 316 Rn. 72 ff.) und 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 (NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff.) vertretenen Auffassung fest, dass es sich bei den Vorschriften des EG-FGV, ebenso wie bei Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG, nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt, die den Schutz des hier maßgeblichen wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers - also des Interesses, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden - bezwecken. Anderes ergibt sich weder aus Erwägungsgrund 0 des Anhangs IX der Richtlinie 2007/46/EG noch aus dem Grundsatz des effet utile. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, aaO Rn. 11 und 14 wird verwiesen.

Die nunmehr von der Revision vorgelegte Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 19. Dezember 2019 (sj.h(2019)8760684) stellt die Auffassung des Senats nicht infrage und hindert nicht die Annahme eines acte clair (s. dazu Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, aaO Rn. 16). Danach ist die Kommission im Ergebnis (Rn. 81) zwar der Auffassung, Art. 18 und 26 i.V.m. Anhang XI zur Richtlinie 2007/46/EG bezweckten "den Schutz aller Käufer eines Fahrzeugs einschließlich des Endkunden vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeuge in Übereinstimmung mit ihren genehmigten Typen bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften nach Anhang IV zur Richtlinie 2007/46 einschließlich, unter Anderem, der Verordnung 715/2007 sowie insbesondere ihres Artikels 5 in den Verkehr zu bringen." Der Stellungnahme lässt sich aber nicht entnehmen, dass damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll. Nach Auffassung der Kommission ist lediglich "denkbar", dass der von der Richtlinie "bezweckte Schutz der Käufer insbesondere darauf abzielt, dass ein erworbenes Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen wird, und dass diese Nutzung nicht aufgrund mangelnder Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ bzw. den für diesen Typ geltenden Rechtsvorschriften untersagt wird" (Rn. 75). Zudem betont die Kommission in Rn. 67, dass "offensichtlich" nur das vorlegende nationale Gericht in der Lage sei, eine Subsumtion der hier maßgeblichen europäischen Regelungen unter das dem deutschen Deliktsrecht entstammende Konzept einer drittschützenden Norm vorzunehmen.

Der Senat bleibt daher auch dabei, dass ein Vorabentscheidungsverfahren an den EuGH (Art. 267 Abs. 3 AEUV ) wegen der Auslegung der genannten Vorschrift nicht veranlasst ist (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 16).

3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden

Vorinstanz: LG Ingolstadt, vom 11.10.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 31 O 2128/18
Vorinstanz: OLG München, vom 30.03.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 21 U 6056/19