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BGH - Entscheidung vom 27.07.2021

VI ZR 865/20

Normen:
BGB § 249 (Cb)
BGB § 249 (Cb)
BGB § 826
BGB § 31

Fundstellen:
NJW-RR 2021, 1252
VersR 2021, 1451

BGH, Urteil vom 27.07.2021 - Aktenzeichen VI ZR 865/20

DRsp Nr. 2021/12620

Umfang der Haftung eines Automobilherstellers gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall; Ersatzfähigkeit von Finanzierungskosten

Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826 , 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Ersatzfähigkeit von Finanzierungskosten).

Mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung ist ein Schadensersatzanspruch der Käufers gegen den Hersteller auf Rückgängigmachung der für ihn nachteiligen Folgen des Kaufvertrages aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB entstanden, der neben dem gezahlten Kaufpreis auch die mit dem Erwerb verbundenen Finanzierungskosten umfasst.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 20. Mai 2020 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils den Antrag der Klägerin auf Erstattung von Finanzierungskosten in Höhe von 1.416,32 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit abgewiesen hat. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 3. September 2019 wird insoweit zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 70 % und die Beklagte zu 30 %, die Kosten der zweiten Instanz tragen die Klägerin zu 65 % und die Beklagte zu 35 %.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte.

Normenkette:

BGB § 826 ; BGB § 31 ;

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den beklagten Fahrzeughersteller auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.

Die Klägerin erwarb am 31. August 2011 bei einem Autohaus einen gebrauchten VW Passat 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 EU 5 ausgestattet, in dem eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten "Modus 1", der bei Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte "Modus 0" aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.

Der Bruttokaufpreis von 15.950 € wurde von der Klägerin zum Teil finanziert, wobei Zinsen in Höhe von 1.416,32 € gezahlt wurden. Am 4. Oktober 2019 veräußerte die Klägerin das Fahrzeug für 1.840 € weiter.

Die Klägerin hat erstinstanzlich unter anderem beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 17.366,32 € abzüglich eines in das gerichtliche Ermessen gestellten Vorteilsausgleichs in Höhe von höchstens 4.718,33 € nebst Zinsen zu zahlen.

Das Landgericht hat die Beklagte hinsichtlich des Zahlungsantrags unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 9.636,68 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % in der Zeit vom 22. November 2018 bis zum 14. Januar 2019 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2019 zu zahlen, und dabei die Darlehenszinsen als erstattungsfähig angesehen.

Gegen das landgerichtliche Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren unter anderem beantragt, die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zu verurteilen, an sie 15.526,32 € abzüglich eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Vorteilsausgleichs, höchstens aber in Höhe von 4.718,33 €, nebst Zinsen zu zahlen.

Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt wird, an die Klägerin 4.186,85 € nebst Zinsen zu zahlen. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen das Berufungsurteil insoweit, als der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Finanzierungskosten in Höhe von 1.416,32 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit nicht zuerkannt wurde.

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht in BeckRS 2020, 26057) - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Der Klägerin stehe gegen die Beklagte aus §§ 826 , 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung ein Schadensersatzanspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung im Wege des Vorteilsausgleichs zu. Die Finanzierungskosten in Höhe von 1.416,32 € seien jedoch nicht erstattungsfähig, weil diese der Klägerin auch beim Erwerb eines anderen Fahrzeugs entstanden wären und daher nicht adäquat kausal von der Beklagten verursacht worden seien.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klägerin beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht einen Anspruch auf Erstattung der Finanzierungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen verneint hat.

1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme der Vorinstanzen, dass mit dem Erwerb des VW Passat am 31. August 2011 ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Rückgängigmachung der für sie nachteiligen Folgen des Kaufvertrages aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB entstanden ist (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.). Die Beklagte bringt dagegen im Revisionsverfahren auch nichts vor.

2. Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin gemäß §§ 826 , 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wäre es nicht zu dem Fahrzeugerwerb gekommen, erfasse neben dem gezahlten Kaufpreis nicht auch die mit dem Erwerb verbundenen Finanzierungskosten (vgl. Senatsurteil vom 13. April 2021 - VI ZR 274/20, ZIP 2021, 1220 Rn. 14 ff.). Das Argument des Berufungsgerichts, die Finanzierungskosten seien keine adäquat kausal verursachte Schadensfolge, weil diese der Klägerin auch beim Erwerb eines anderen Fahrzeugs entstanden wären, trägt schon deshalb nicht, weil ein hypothetischer alternativer Fahrzeugerwerb nicht festgestellt ist. Die Beklagte hat im Revisionsverfahren auch keinen diesbezüglichen Instanzvortrag oder Beweisangebote aufgezeigt.

3. Die Höhe der Finanzierungskosten (Darlehenszinsen) beträgt nach den bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 314 Satz 1 ZPO ) 1.416,32 €.

III.

Das Berufungsurteil war daher hinsichtlich der Abweisung des Antrags der Klägerin auf Erstattung der Finanzierungskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen und im Kostenpunkt aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (§ 563 Abs. 3 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 27. Juli 2021

Vorinstanz: LG Halle, vom 03.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 6 O 477/18
Vorinstanz: OLG Naumburg, vom 20.05.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 64/19
Fundstellen
NJW-RR 2021, 1252
VersR 2021, 1451