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BGH - Entscheidung vom 14.07.2020

XIII ZB 48/19

Normen:
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1

BGH, Beschluss vom 14.07.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 48/19

DRsp Nr. 2020/13119

Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Betroffenen i.R.e. zulässigen Haftantrags

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 7. September 2018 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1;

Gründe

I. Der Betroffene, ein albanischer Staatsangehöriger, reiste im April 2017 mit einem für 90 Tage gültigen Schengen-Visum nach Italien ein. Am 4. Oktober 2017 erließ die beteiligte Behörde gegen ihn eine Ordnungsverfügung mit Abschiebungsandrohung und setzte ihm zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 12. Oktober 2017. In der Folgezeit tauchte der Betroffene immer wieder zeitweise unter und wurde im Zusammenhang mit verschiedenen Delikten mehrfach, zuletzt am 18. April 2018, vorläufig festgenommen.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht Braunschweig mit Beschluss vom 19. April 2018 Abschiebungshaft bis einschließlich 30. Mai 2018 angeordnet. Die nach Abschiebung des Betroffenen am 15. Mai 2018 auf Feststellung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 7. September 2018 zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts sowie die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt hat.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft vor. Der Betroffene habe nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt und sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Mangels freiwilliger Ausreise sei auch die Abschiebungsandrohung vollziehbar gewesen. Da sich der Betroffene der Zuweisung in eine Unterkunft entzogen und über einen langen Zeitraum an unbekannten Orten in Deutschland aufgehalten habe, habe der Haftgrund der Fluchtgefahr vorgelegen. Abschiebungshafthindernisse hätten nicht bestanden, nachdem die zuständigen Staatsanwaltschaften ihr Einvernehmen mit der Abschiebung erklärt hätten. Auch sei die angeordnete Haftdauer nicht zu beanstanden.

2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Der Haftantrag vom 19. April 2018 war zulässig. Insbesondere enthielt er entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hinreichende Angaben zu einem erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft.

aa) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind in einem Haftantrag Ausführungen zum Vorliegen oder zur Entbehrlichkeit eines etwa erforderlichen staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens geboten, wenn sich aus dem Antrag oder den ihm beigefügten Unterlagen ein laufendes und nicht offensichtlich zustimmungsfreies Ermittlungsverfahren ergibt. Da das Haftgericht bei seiner Prognose nur zu prüfen hat, ob aus einem etwa fehlenden Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ein Abschiebungshindernis entsteht, ist es in einem solchen Fall jedoch in der Regel ausreichend, wenn die Behörde darlegt, das erforderliche Einvernehmen liege vor, sei entbehrlich oder werde bis zum vorgesehenen Abschiebungstermin voraussichtlich vorliegen oder entbehrlich geworden sein (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 15/19, InfAuslR 2020, 242 Rn. 9 und Rn. 19). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

bb) Die beteiligte Behörde hat im Haftantrag vom 19. April 2018 erklärt, der Betroffene sei nach Aushändigung der Ordnungsverfügung mehrere Male im Bundesgebiet bei verschiedensten Delikten angetroffen und vorläufig festgenommen worden. Konkret hat sie einen versuchten Ladendiebstahl in Wuppertal vom 19. Dezember 2017 sowie die Beteiligung an einem besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs vom 11. März 2018 angeführt. Darüber hinaus hat sie mitgeteilt, bei der der Haftanordnung unmittelbar vorausgegangenen Festnahme in Goslar habe der Betroffene 0,47 Gramm Marihuana bei sich geführt. Desweiteren hat sie erklärt, das zunächst in Wuppertal geführte Verfahren wegen Diebstahls sei an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf abgegeben worden und das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und der Staatsanwaltschaft Braunschweig liege vor.

Diese Angaben sind für einen zulässigen Haftantrag ausreichend. Insbesondere war vorliegend eine weitere Differenzierung dahingehend, auf welche konkrete Straftat sich das jeweilige staatsanwaltschaftliche Einvernehmen bezieht, entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht erforderlich. Etwas Anderes hätte nur dann gegolten, wenn die Zahl der im Haftantrag aufgeführten oder aus den Anlagen zum Haftantrag ersichtlichen Straftaten und darauf bezogenen Ermittlungsverfahren die Zahl der nach den Angaben im Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen erteilten oder angefragten Einvernehmenserklärungen überstiege. Denn dann ergäbe sich aus dem Haftantrag und den dazugehörigen Unterlagen, dass möglicherweise nicht für alle Ermittlungsverfahren die erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft vorliegt oder jedenfalls im Zeitpunkt der geplanten Abschiebung vorliegen wird, mithin ein mögliches Abschiebungshindernis besteht. Das war hier jedoch nicht der Fall.

b) Die Haftanordnung war auch in der Sache rechtmäßig. Der Umstand, dass die beteiligte Behörde nach Anordnung der Abschiebungshaft bei den Staatsanwaltschaften Wuppertal und Köln um weitere Einvernehmenserklärungen nachgesucht und die Polizei Bochum um Informationen zum Ermittlungsstand bei einem weiteren Strafverfahren angefragt hat, hat nicht die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung zur Folge.

Zwar deuten diese Umstände, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend ausführt, darauf hin, dass im Zeitpunkt der Antragstellung noch andere, im Haftantrag und den beigefügten Unterlagen nicht erwähnte Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig waren, von denen die beteiligte Behörde zumindest teilweise bereits bei Antragstellung Kenntnis hatte und für die ein Einvernehmen der jeweiligen Staatsanwaltschaft (noch) nicht vorlag. Das Fehlen eines nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmens der Staatsanwaltschaft allein führt jedoch, wie der Senat entschieden hat, nicht zur Rechtswidrigkeit einer Haftanordnung, da es sich bei diesem Beteiligungserfordernis nicht um eine freiheitsschützende Verfahrensvorschrift im Sinne des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG handelt (vgl. dazu ausführlich BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 15/19, InfAuslR 2020, 242 Rn. 12 ff.).

c) Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Braunschweig, vom 19.04.2018 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 9/18
Vorinstanz: LG Braunschweig, vom 07.09.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 8 T 422/18