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BSG - Entscheidung vom 16.01.2018

B 3 KR 29/17 B

Normen:
SGB V § 132a Abs. 2 S. 8
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 16.01.2018 - Aktenzeichen B 3 KR 29/17 B

DRsp Nr. 2018/2792

Krankenversicherung Bestimmung einer unabhängigen Schiedsperson Grundsatzrüge Bereits geklärte Rechtsfrage

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S. des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. 2. Eine Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich geklärt ist. 3. Dies gilt auch, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage ergeben. 4. Die Bestimmung der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde ist keine Maßnahme der Staatsaufsicht, sondern Teil des Verfahrens zur einvernehmlichen Festlegung des Vertragsinhalts mittels eines Schiedsverfahrens. 5. Überdies hat der Senat darauf hingewiesen, dass im Fall der aufsichtsbehördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit dieses Verwaltungsakts zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes die Möglichkeit besteht, gegen die Anordnung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 26. April 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGB V § 132a Abs. 2 S. 8; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

I

Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 26.4.2017 einen Anspruch der Klägerin, die in der Rechtsform einer GmbH Leistungen der häuslichen Krankenpflege in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erbringt, gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesversicherungsamt, verneint. Es hat auch die Aussetzung und Vorlage des Verfahrens nach Art 100 Abs 1 GG an das BVerfG verneint.

Im Streit stand die Verpflichtung der Beklagten, über den Antrag der Klägerin auf Bestimmung einer unabhängigen Schiedsperson nach § 132a Abs 2 S 7 SGB V (in der bis zum 28.12.2015 geltenden Fassung - aF) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Die Beklagte hat den Beigeladenen zu 2., den Direktor des SG D , zur unabhängigen Schiedsperson im Rahmen von Vergütungsverhandlungen zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1., der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, bestimmt (Bescheid der Beklagten vom 8.10.2012, Widerspruchsbescheid vom 18.2.2013).

Gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Divergenz rügt (§ 160 Abs 2 Nr 1 und Nr 2 SGG ).

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht formgerecht dargetan hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).

Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

Die Klägerin hält für grundsätzlich bedeutsam und entscheidungserheblich die Fragen:

"a. Bedarf das Bestimmungsverfahren nach § 132a Abs. 4 S. 8 SGB V132a Abs. 2 S. 7 SGB V aF) hinsichtlich der Bestimmung der Schiedsperson durch die zuständige Aufsichtsbehörde einer rechtlichen Kontrolle?

b. Ist es zulässig, dass für die Durchführung des Verfahrens sowie für die Festlegung des Vertragsinhaltes nach § 132a Abs. 4 S. 8 SGB V132a Abs. 2 S. 7 SGB V aF) durch die Schiedsperson keine gesetzlichen Verfahrensregeln vorgesehen sind?

c. Verstößt die gesetzliche Regelung der Verfahrenskosten, sowohl hinsichtlich der Quotelung als auch hinsichtlich des fehlenden Kostenansatzes in § 132a Abs. 4 S. 9 SGB V132a Abs. 2 S. 8 SGB V aF) gegen grundgesetzlich geschützte Rechte?"

Hierzu trägt sie vor, dass sie erhebliche Bedenken gegen die Recht- und Verfassungsmäßigkeit des Bestimmungsverfahrens einer unabhängigen Schiedsperson nach § 132a Abs 4 S 7 bis 9 SGB V (bzw § 132a Abs 2 S 6 bis 8 SGB V aF) habe.

a) Sie ist der Meinung, die rechtliche Kontrolle des Bestimmungsverfahrens weise im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Schiedsperson verfassungswidrige Lücken auf. Dem einseitigen Bestimmungsverfahren fehle es an staatlicher Aufsicht bzw an Rechtskontrolle. Insbesondere fehle es an einem Ablehnungsrecht in Bezug auf die Schiedsperson wegen Besorgnis der Befangenheit, wie es in § 17 iVm § 16 Abs 4 SGB X vorgesehen sei (S 21 ff Beschwerdebegründung). Das BSG habe über diese Problematik noch nicht entschieden. Im Urteil vom 25.11.2010 ( B 3 KR 1/10 R - BSGE 107, 123 = SozR 4-2500 § 132a Nr 5) habe es lediglich über die Funktion der Schiedsperson als "Verwaltungshelfer" entschieden. Der gesetzgeberische Verzicht auf eine Rechtskontrolle der Bestimmung der Schiedsperson verstoße sowohl gegen das Rechtsstaatsprinzip als auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Dieser Vortrag genügt nicht den Darlegungsanforderungen an die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage. Denn eine Rechtsfrage ist nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich geklärt ist. Dies gilt auch, wenn das Revisionsgericht diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage ergeben (stRspr vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Das ist ausgehend von den Darlegungen der Klägerin hier der Fall.

Die Beschwerdebegründung leidet daran, dass sie die maßgebliche Rechtsprechung des BSG , insbesondere das vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegte Urteil des 3. Senats des BSG vom 27.11.2014 ( B 3 KR 6/13 R - BSGE 117, 288 = SozR 4-2500 § 132a Nr 7) außer Acht lässt. Dort hat der erkennende Senat insbesondere den Rechtsschutz bzw die Rechtskontrolle gegen die aufsichtsbehördliche Bestimmung einer unabhängigen Schiedsperson nach § 132a Abs 2 S 7 SGB V aF geklärt. Diese Bestimmung kommt nur dann zur Anwendung, wenn sich die Vertragspartner nicht auf eine Schiedsperson einigen können. Der erkennende Senat hat die Bestimmung durch die Aufsichtsbehörde als Verwaltungsakt mit statusbegründendem Charakter qualifiziert, der im Falle seiner Rechtswidrigkeit durch Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG angefochten werden kann. Eines Vorverfahrens bedarf es nach § 78 Abs 1 S 2 Nr 2 SGG hierfür grundsätzlich nicht (vgl BSG aaO RdNr 16, 17, 21). Hingegen ist die Bestimmung der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde keine Maßnahme der Staatsaufsicht, sondern Teil des Verfahrens zur einvernehmlichen Festlegung des Vertragsinhalts mittels eines Schiedsverfahrens ( BSG aaO RdNr 14). Überdies hat der Senat darauf hingewiesen, dass im Fall der aufsichtsbehördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit dieses Verwaltungsakts zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes die Möglichkeit besteht, gegen die Anordnung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorzugehen ( BSG aaO RdNr 25 ff). Da die Klägerin diese Rechtsprechung des BSG völlig unberücksichtigt lässt, sind die von ihr vorgetragenen verfassungswidrigen "Lücken" in der Rechtskontrolle nicht plausibel dargelegt.

Soweit die Klägerin solche "Lücken" daraus herleiten will, dass sie die ihrer Ansicht nach fehlende Möglichkeit eines Ablehnungsgesuchs wegen Besorgnis der Befangenheit gegen die Schiedsperson bemängelt, fehlt es an Darlegungen, dass die Klägerin ein solches Ablehnungsgesuch gestellt bzw dass die Beklagte ein solches Ablehnungsgesuch abschlägig beschieden habe und dass das LSG sein Urteil hierauf entscheidungserheblich gestützt habe. Es bleibt auch unklar, welche konkreten Ablehnungsgründe sie gegen die Person des Beigeladenen zu 2. erheben will. Im Ergebnis wirft die Klägerin in diesem Punkt eine Frage auf, von der nicht zu erwarten ist, dass der erkennende Senat über sie im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt zu entscheiden hätte. Daher mangelt es auch an hinreichender Darlegung der Klärungsfähigkeit dieser Problematik.

b) Hinsichtlich der Frage, ob es zulässig ist, für die Durchführung des Verfahrens sowie für die Festlegung des Vertragsinhalts nach § 132a Abs 4 S 7 bis 9 SGB V132a Abs 2 S 6 bis 8 SGB V aF) durch die Schiedsperson keine gesetzlichen Verfahrensregeln vorzusehen, fehlt es ebenso an ausreichenden Darlegungen der Klärungsbedürftigkeit, aber vor allem auch an solchen der Klärungsfähigkeit. Insofern erschließt sich dem Senat nicht, dass diese Fragestellung bereits im Rahmen des Rechtsstreits über die Bestimmung der Schiedsperson zu klären sein könnte. Doch selbst dann fehlte es an ausreichender Darlegung der Klärungsbedürftigkeit, weil die Klägerin auch hier die maßgebliche Rechtsprechung des BSG unberücksichtigt lässt bzw sich mit dieser nicht hinreichend auseinandersetzt. Anders als die Klägerin vorträgt, ist die Schiedsperson "Vertragshelfer" (iS von § 317 Abs 1 BGB iVm § 69 Abs 1 S 1 und 3 SGB V , und nicht "Verwaltungshelfer"). Das Schiedsverfahren ist gesetzlich geregelt, es muss aber vertraglich vereinbart werden (vgl BSG Urteil vom 23.6.2016 - B 3 KR 26/15 R - BSGE 121, 243 = SozR 4-2500 § 132a Nr 10, RdNr 23). Die Vertragspartner können Verfahrensregeln vereinbaren, zB im Rahmen einer vertraglich - auch rahmenvertraglich - vereinbarten Schiedsordnung. Im Übrigen unterliegt der Schiedsspruch als solcher im Rahmen der Billigkeitsprüfung auch einer verfahrensrechtlichen Kontrolle (vgl BSG aaO RdNr 31). Dies gilt selbst dann, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde die Schiedsperson durch Verwaltungsakt bestimmt hat (vgl BSG aaO RdNr 50). Der Vortrag der Klägerin, die Schiedsperson sei von jeglicher verfahrensrechtlicher Kontrolle freigestellt, ist schon nach diesen Maßgaben nicht plausibel. Da die Klägerin diese rechtlichen Gesichtspunkte in ihrer Beschwerdebegründung völlig außer Acht lässt, können auch die von ihr vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken (Rechtsstaatsprinzip, Art 19 Abs 4 GG , Gebot des fairen Verfahrens, Art 2 Abs 1 , Art 3 Abs 1 , Art 12 Abs 1 GG ) ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen (vgl dazu auch BSG aaO RdNr 26 f, 54 f ).

c) Soweit die Klägerin meint, die Kostenregelung in § 132 Abs 2 S 9 SGB V (= § 132a Abs 4 S 8 SGB V ) verstoße gegen "grundgesetzlich geschützte Rechte", fehlt es in jeder Hinsicht an Darlegung der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage. Denn diese Norm enthält eine Kostenregelung des Schiedsverfahrens, nach der die Vertragspartner die Kosten des Schiedsverfahrens zu gleichen Teilen tragen. Vorliegend wird nicht dargelegt, dass allein mit der bloßen Bestimmung der Schiedsperson durch die Aufsichtsbehörde eine solche Kostenregelung getroffen worden wäre bzw dass die Klägerin überhaupt mit einer Kostenregelung belastet worden wäre. Daher mangelt es dieser Frage an ausreichendem Vortag zur Klärungsfähigkeit. Die Klägerin hat mithin versäumt darzulegen, dass die aufgeworfene Frage in dem von ihr angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich zu klären wäre.

2. Soweit die Klägerin meint, die Entscheidungsgründe des LSG enthielten eine Divergenz, weil das Berufungsgericht wissentlich von der dort zitierten Rechtsprechung des BSG abgewichen sei (S 30 der Beschwerdebegründung), fehlt es bereits an der für eine Divergenz notwendigen Gegenüberstellung zweier einander widersprechender Rechtssätze aus dem Berufungsurteil einerseits und aus einer Entscheidung des BSG andererseits (stRspr vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17 mwN).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 , § 162 Abs 3 VwGO , diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2 , § 47 Abs 1 und 3 GKG .

Vorinstanz: LSG Sachsen, vom 26.04.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 1 KR 134/13
Vorinstanz: SG Dresden, vom 20.06.2013 - Vorinstanzaktenzeichen S 18 KR 161/13