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BGH - Entscheidung vom 12.12.2018

IV ZR 216/17

Normen:
ARB § 17 Abs. 2 S. 1
ARB Klausel 75
VVG a.F. § 158n

Fundstellen:
r+s 2020, 303
r+s 2022, 377

BGH, Beschluss vom 12.12.2018 - Aktenzeichen IV ZR 216/17

DRsp Nr. 2019/17822

Freistellung eines Versicherten von Gebührenforderungen der Rechtsanwälte nach Zusage von Abwehrdeckung der Rechtsschutzversicherung i.R.d. Erstellung der Stichentscheide

Dem Versicherer steht es auch im Hinblick auf den Anspruch des Versicherungsnehmers aus § 17 Abs. 2 Satz 1 ARB 75 grundsätzlich frei, auf welche Weise er diesen von der Gebührenforderung des Rechtsanwalts befreit . Der Versicherer kann sich für die Gewährung von Abwehrdeckung entscheiden.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Kläger gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Juli 2017 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Normenkette:

ARB § 17 Abs. 2 S. 1; ARB Klausel 75; VVG a.F. § 158n;

Gründe

I. Die Kläger schlossen bei der Beklagten Rechtsschutzversicherungen ab, denen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 75) zugrunde liegen. Darin heißt es unter anderem:

"§ 17 Prüfung der Erfolgsaussichten

(1) Ist der Versicherer der Auffassung, daß die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, kann er seine Leistungspflicht verneinen. ...

(2) Hat der Versicherer seine Leistungspflicht gemäß Absatz 1 verneint und stimmt der Versicherungsnehmer der Auffassung des Versicherers nicht zu, kann der Versicherungsnehmer den für ihn tätigen oder noch zu beauftragenden Rechtsanwalt auf Kosten des Versicherers veranlassen, diesem gegenüber eine begründete Stellungnahme darüber abzugeben, daß die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Entscheidung des Rechtsanwaltes ist für beide Teile bindend, es sei denn, daß sie offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweicht.ʺ

Die Kläger beteiligten sich in den Jahren 1991 bis 1999 an verschiedenen Gesellschaften der sogenannten G. . Wegen erlittener Vermögenseinbußen beauftragten sie eine Anwaltskanzlei (im Folgenden: Prozessbevollmächtigte) mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die für die G. tätig waren.

Nachdem die Prozessbevollmächtigten im Auftrag der Kläger zu 1 bis 3 bei der Beklagten Deckungsschutz für eine außergerichtliche Interessenwahrnehmung erbeten hatten, stellten sie für die Kläger Ende 2011 Anträge auf außergerichtliche Streitschlichtung bei einer staatlich anerkannten Streitbeilegungsstelle. Das Güteverfahren scheiterte. Hiervon setzten die Prozessbevollmächtigten die Beklagte im November 2012 in Kenntnis und baten um Zusage von Kostenschutz für ein erstinstanzliches gerichtliches Verfahren sowie für das durchgeführte Güteverfahren.

Die Beklagte lehnte Versicherungsschutz für das beabsichtigte gerichtliche Verfahren ab und wies insoweit auf die Möglichkeit eines Stichentscheids gemäß § 17 Abs. 2 ARB 75 hin. Die Kläger beauftragten die Prozessbevollmächtigten, Stichentscheide zu erstellen. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Rechtsverfolgung bestehe und sich die Kläger nicht mutwillig verhielten. Das akzeptierte die Beklagte nicht, sondern vertrat die Auffassung, dass die Stichentscheide offensichtlich erheblich von der wirklichen Sach- und Rechtslage abwichen und daher nicht bindend seien.

Für die Erstellung der Stichentscheide rechneten die Prozessbevollmächtigten jeweils eine Geschäftsgebühr von 1,6 ab und forderten die Beklagte zu deren Ausgleich auf. Für die Kläger zu 2 bis 4 zahlte die Beklagte lediglich eine Geschäftsgebühr von 0,5 und erteilte hinsichtlich der Abwehr des Differenzbetrages Kostenschutz. Unter dem 25. April 2014 stellten die Prozessbevollmächtigten den Klägern zu 1 bis 3 Kosten für das Güteverfahren in Rechnung und forderten die Beklagte zum Ausgleich auf, woraufhin die Beklagte den genannten Klägern nach den Feststellungen des Berufungsgerichts am 2. Mai 2014 Abwehrschutz zusagte.

Das Landgericht hat antragsgemäß festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, den Klägern Kostenschutz für das erstinstanzliche Gerichtsverfahren zu gewähren. Die Anträge der Kläger zu 2 bis 4, die Beklagte zu verurteilen, sie von den restlichen Gebührenforderungen für die Erstellung der Stichentscheide freizustellen, hat es abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Feststellungsklage abgewiesen und die Anschlussberufung der Kläger zu 2 bis 4 zurückgewiesen. In dem Berufungsverfahren haben die Kläger zu 1 bis 3 klageerweiternd beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie von den Gebührenforderungen für das Güteverfahren freizustellen. Auch insoweit ist die Klage abgewiesen worden. Mit der vom Berufungsgericht im Hinblick auf die geltend gemachten Freistellungsansprüche zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Leistungsbegehren weiter.

II. Soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, hat das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf VersR 2018, 92 ) ausgeführt, den Klägern zu 2 bis 4 stehe bereits deswegen kein Anspruch auf Freistellung von den restlichen Gebührenforderungen für die Erstellung der Stichentscheide zu, weil der Versicherungsnehmer nicht selbst Gebührenschuldner des Rechtsanwalts werde, der den Stichentscheid erstelle. Sehe man dies anders, sei der Freistellungsanspruch durch die erteilte Abwehrdeckung erfüllt. Aus diesem Grund sei auch die im Berufungsverfahren erweiterte Klage der Kläger zu 1 bis 3 unbegründet. Im Hinblick auf die mit ihr verfolgten Ansprüche auf Freistellung von den Gebührenforderungen für das Güteverfahren habe die Beklagte ebenfalls Abwehrdeckung erteilt. Der Erfüllung der Leistungspflicht der Beklagten durch die Gewährung von Abwehrdeckung stünden weder § 158n VVG a.F. noch europarechtliche Vorgaben entgegen.

III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nicht gegeben.

1. Das Berufungsgericht hat die Revision wegen der - von ihm verneinten - Frage zugelassen, ob § 158n VVG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung bei der Zusage von Abwehrdeckung durch den Rechtsschutzversicherer Anwendung findet. Das hat der Senat mit nach Erlass des Berufungsurteils ergangenem Urteil vom 11. April 2018 ( IV ZR 215/16, VersR 2018, 673 ) im Sinne des angefochtenen Urteils geklärt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das vorgenannte Senatsurteil hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 25. September 2018 - 1 BvR 1522/18).

2. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass das Berufungsgericht die Abweisung der Klage auf Freistellung von Gebührenforderungen für die Erstellung der Stichentscheide unter anderem damit begründet hat, die Kläger seien nicht Gebührenschuldner. Insoweit wollte das Berufungsgericht die Revision ausdrücklich nicht zulassen. Ob es die Zulassung damit wirksam beschränkt hat, kann dahinstehen, weil die genannte Begründung nicht entscheidungserheblich ist. Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung insoweit auch auf die Zusage von Abwehrdeckung gestützt. Diese Begründung, hinsichtlich derer kein Zulassungsgrund vorliegt, trägt seine Entscheidung.

IV. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat den Klägern zu Recht keinen Freistellungsanspruch zugesprochen, nachdem die Beklagte ihnen Abwehrdeckung zugesagt hat. Das ergibt sich aus den Senatsurteilen vom 11. April 2018 ( IV ZR 215/16, VersR 2018, 673 ) und vom 21. Oktober 2015 ( IV ZR 266/14, VersR 2015, 1501 ), deren Erwägungen sich - auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens - auf den Streitfall übertragen lassen.

Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass es dem Versicherer auch im Hinblick auf den Anspruch des Versicherungsnehmers aus § 17 Abs. 2 Satz 1 ARB 75 grundsätzlich freisteht, auf welche Weise er diesen von der Gebührenforderung des Rechtsanwalts befreit . Auch insoweit kann sich der Versicherer für die Gewährung von Abwehrdeckung entscheiden. Weder der Wortlaut von § 17 Abs. 2 Satz 1 ARB 75 noch der Sinn und Zweck des Stichentscheidverfahrens, dem Versicherungsnehmer ein schnelles, einfaches und für ihn nicht mit Kosten verbundenes Verfahren an die Hand zu geben, um die Notwendigkeit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen (vgl. § 1 Abs. 1 ARB 75) verbindlich klären zu lassen (vgl. Senatsurteil vom 19. März 2003 - IV ZR 139/01, VersR 2003, 638 unter 2 a bb [juris Rn. 15]), rechtfertigen eine gegenüber dem Anspruch aus § 2 Abs. 1 Buchst. a) ARB 75 abweichende Beurteilung. Dass der Anspruch aus § 17 Abs. 2 Satz 1 ARB 75 unabhängig von dem Ergebnis des Stichentscheids besteht, unterscheidet ihn - entgegen der Auffassung der Revision - nicht entscheidend von dem des § 2 Abs. 1 Buchst. a) ARB 75. Auch dieser hängt nicht davon ab, ob die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen letztlich Erfolg hat.

2. Die Klage auf Freistellung von Gebührenforderungen ist nach Zusage von Abwehrdeckung durch die Beklagte derzeit unbegründet (vgl. Senatsurteile vom 11. April 2018 - IV ZR 215/16, VersR 2018, 673 Rn. 24; vom 21. Oktober 2015 - IV ZR 266/14, VersR 2015, 1501 Rn. 19). Das kann der Senat in den Beschlussgründen klarstellen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2012 - V ZR 221/11, NJW 2013, 1963 Rn. 34; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO 4. Aufl. § 522 Rn. 90; Schellenberg, MDR 2005, 610 , 613).

Hinsichtlich der Gebühren für die Stichentscheide gilt nicht wegen einer etwa fehlenden Passivlegitimation der Kläger etwas anderes. Schuldner dieser Gebühren sind entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Kläger. § 17 Abs. 2 Satz 1 ARB 75 enthält keine Erklärung des Versicherers, die Gebührenschuld für die Erstellung eines Stichentscheids mit befreiender Wirkung für den Versicherungsnehmer zu übernehmen. Ein durchschnittlicher, juristisch nicht vorgebildeter Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnismöglichkeiten es bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen nach ständiger Senatsrechtsprechung maßgeblich ankommt, wird der Klausel eine solche Erklärung nicht entnehmen. Er erkennt vielmehr, dass der Anspruch aus der Rechtsschutzversicherung auf die Befreiung von den bei der Wahrung der rechtlichen Interessen entstehenden Kosten gerichtet ist (vgl. Senatsurteil vom 21. Oktober 2015 - IV ZR 266/14, VersR 2015, 1501 Rn. 30 m.w.N.). Hiervon ausgehend wird er nicht annehmen, dass im Fall der Beauftragung des Rechtsanwalts mit der Erstellung eines Stichentscheids etwas anderes gelten soll. Insbesondere wird er aus dem Wortlaut der Klausel, nach dem er den Rechtsanwalt ʺauf Kosten des Versicherers veranlassenʺ kann, einen Stichentscheid zu erstellen, nicht schließen, dass der Versicherer eine befreiende Schuldübernahme erklären möchte. Ein solcher Wille kommt in der Formulierung nicht zum Ausdruck. Auch das Interesse des Versicherungsnehmers, nicht mit den Kosten des Stichentscheids belastet zu werden, gebietet kein anderes Ergebnis. Es ist durch die Zuerkennung eines Befreiungsanspruchs gegen den Versicherer ausreichend gewahrt.

Vorinstanz: LG Düsseldorf, vom 21.03.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 376/13
Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 14.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen I-4 U 40/16
Fundstellen
r+s 2020, 303
r+s 2022, 377