BVerfG, Beschluss vom 31.08.2012 - Aktenzeichen 1 BvR 1840/12
Verbot einer Versammlung bei Zuordnung eines Anmelders zu einer verbotenen Vereinigung
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verbote von Versammlungen am 31. August 2012 und am 1. September 2012 in D. gerichtet ist, hat keinen Erfolg.
1. Mit Bescheid vom 27. August 2012 hat das Polizeipräsidium D. die von dem Antragsteller angemeldeten Versammlungen unter dem Motto "Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege", die jährlich wiederkehrend als "Antikriegstag" durchgeführt werden, im Wesentlichen mit der Begründung verboten, dass die Versammlungen nicht von dem Beschwerdeführer als Privatperson, sondern als Vertreter für die vom Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen mit Verfügung vom 10. August 2012 verbotene Vereinigung "Nationaler Widerstand D." angemeldet worden seien. Die Durchführung des "Antikriegstages" würde den organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen Vereinigung aufrechterhalten, zumindest aber unterstützen.
2. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen haben das Versammlungsverbot bestätigt.
3. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Der Antrag auf Eilrechtsschutz hat jedoch keinen Erfolg, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre (vgl. #BVerfGE 71, 158 <161>;** 111, 147 <152 f.>; stRspr). Erweist sich die Verfassungsbeschwerde weder als von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 96, 120 <128 f.>; stRspr). Danach liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.
Über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann zum derzeitigen Verfahrenszeitpunkt noch nicht abschließend entschieden werden; sie kann allerdings auch nicht als von vornherein unzulässig verworfen werden. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer beruft sich als natürliche Person auf die Versammlungsfreiheit. Mit dem Verbot eines Vereins als Organisation ist ihm diese nicht aberkannt (vgl. BVerfGE 25, 44 <57 ff.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. November 2001 - 1 BvR 98/97 -, [...]). Das Verfahren berührt die schwierige materiellrechtliche Frage, ob beziehungsweise unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die organisationsbezogene Entscheidung eines Vereinsverbots über Zurechnungen die vormaligen verantwortlichen Personen des verbotenen Vereins im Ergebnis auch darin einschränken kann, Versammlungen zu veranstalten, die an sich gesetzlich nicht zu beanstanden sind. Diese Frage kann nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung entschieden werden, sondern ist gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu beantworten.
Über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist demnach im Wege der Folgenabwägung zu entscheiden.
Würde vorliegend eine einstweilige Anordnung ergehen, sich aber dann im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich Bestand haben, läge hierin ein Nachteil von gravierendem Gewicht. Denn dann wären die Versammlungen Zuwiderhandlungen gegen das Vereinsverbot und somit strafbar. Das Verbot betrifft zwei Versammlungen, die noch durch die Personen in den Strukturen der gerade verbotenen Vereinigung vorbereitet und beworben wurden und wie schon in der Vergangenheit von der verbotenen Vereinigung als deren zentrales, identitätsstiftendes Ereignis organisiert wurden. Die Verwaltungsgerichte sehen dabei in der Veranstaltung die Durchführung einer Versammlung der verbotenen Vereinigung, für die der Beschwerdeführer weiterhin tätig sei. Sie können sich dabei darauf stützen, dass Veranstaltungen in Rede stehen, die schon vor der Verbotsverfügung von dem Beschwerdeführer, der zur Leitungsebene und zu den Meinungsführern in der verbotenen Vereinigung gehörte, angemeldet wurden und nunmehr unverändert in derselben Form, von denselben Personen und in denselben Strukturen durchgeführt werden sollen. Die Internetseite der verbotenen Vereinigung "w." enthält eigens eine Rubrik "Antikriegstag", die auf die Internetseite "h." führte. Die hier verbotenen Versammlungen bilden nach den insoweit substantiiert begründeten Erwägungen der Verwaltungsgerichte offensichtlich eine Fortsetzung der Tätigkeit der inzwischen verbotenen Vereinigung. Dabei sind hier weniger das Thema der Versammlungen maßgeblich, als vielmehr ihr Format und ihre Organisationsstrukturen. Es liegt auf der Hand, dass die unveränderte Durchführung dieser der verbotenen Vereinigung zuzurechnenden Versammlungen unmittelbar nach Erlass der Verbotsverfügung ihren organisatorischen Zusammenhalt aufrechterhalten beziehungsweise festigen würde.
Demgegenüber sind die Nachteile weniger schwerwiegend, wenn keine einstweilige Anordnung erginge, sich in der Hauptsache aber herausstellen sollte, dass die Versammlungsverbote verfassungsrechtlich keinen Bestand haben können. Die Verbotsverfügung betrifft nicht Versammlungen aus aktuellem Anlass und mit einem dringenden zeitgebundenen Bezug, so dass sich mit dem Verbot das durch die Versammlungen verfolgte politische Anliegen nicht erledigt, sondern in weiteren Demonstrationen erneut aufgegriffen werden kann. Ohnehin spricht das Verbot dem Beschwerdeführer sein Versammlungsrecht zur Verbreitung seiner politischen Überzeugungen nicht mit weiterer Wirkung für die Zukunft ab, sondern erfasst ausschließlich zwei konkrete Versammlungen, die aus den genannten Gründen noch der verbotenen Vereinigung zugerechnet werden. Insbesondere folgt aus dem allein auf die vorliegenden, in spezifischer Weise noch der verbotenen Vereinigung zuzurechnenden Versammlungen bezogenen Verbot weder seinem Gegenstand nach noch in der Sache, dass der Beschwerdeführer künftig grundsätzlich gehindert wäre, zu Themen, denen die hier verbotenen Versammlungen gelten, Veranstaltungen - auch in D. - durchzuführen. Unter diesen Voraussetzungen enthält das Verbot keinen so schweren Nachteil für den Beschwerdeführer, dass das Bundesverfassungsgericht im Wege der nur zurückhaltend und unter Anlegung eines strengen Maßstabs anzuwendenden einstweiligen Anordnung zwingend einschreiten müsste.