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BVerwG - Entscheidung vom 19.08.2009

2 WD 31.08

Normen:
WDO § 84 Abs. 1
WDO § 121 Abs. 2
SG § 13
StGB § 263
WDO § 84 Abs. 1 S. 2
WDO § 107 Abs. 1
WDO § 120 Abs. 1 Nr. 2
WDO § 121 Abs. 2
WDO § 123 S. 3
SG § 13 Abs. 1
StGB § 263 Abs. 1
StPO § 267 Abs. 1
StPO § 327

BVerwG, Beschluss vom 19.08.2009 - Aktenzeichen 2 WD 31.08

DRsp Nr. 2010/2358

Tatsachenfeststellung im Disziplinarverfahren; schwere Mängel des erstinstanzlichen gerichtlichen Disziplinarverfahrens bei Fehlen ausreichender und widerspruchsfreier Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage; Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Verfahrens

1. Nicht hinreichende Tat- und Schuldfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil sind ein schwerer Mangel des Verfahrens und zugleich ein Aufklärungsmangel, die zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache führen, wenn das Berufungsgericht auf dieser Grundlage bei einer auf die Maßnahmebemessung beschränkten Berufung keine Entscheidung über die Bemessung der gerichtlichen Disziplinarmaßnahme treffen kann. 2. Es stellt in aller Regel einen schweren Verfahrensmangel dar, wenn die im angefochtenen Urteil getroffenen Schuldfeststellungen nur im Ergebnis mitgeteilt, jedoch nicht begründet werden. 3. Ein schwerer Verfahrensmangel liegt auch dann vor, wenn das erstinstanzliche Gericht eine erforderliche zumindest teilweise Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des zugrunde gelegten rechtskräftigen Strafurteils nicht in Betracht gezogen und vorgenommen hat, um die für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung hinreichenden tatsächlichen Feststellungen treffen zu können. 4. Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht nach § 13 Abs. 1 SG darf nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die vom Soldaten geforderte Meldung wahrheitswidrig abgegeben wird, nicht aber, wenn sie unterlassen wird. 5. Zur unterschiedlichen Bemessung der gerichtlichen Disziplinarmaßnahme bei einem Fernbleiben eines Soldaten (1.) von einer Ausbildung im Rahmen der Berufsförderung (BFD) am Ende der Dienstzeit, (2.) von einer Maßnahme der "Zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung" (ZAW) und (3.) bei einem Fernbleiben vom Studium an einer zivilen Universität.

Normenkette:

WDO § 84 Abs. 1 S. 2; WDO § 107 Abs. 1; WDO § 120 Abs. 1 Nr. 2; WDO § 121 Abs. 2; WDO § 123 S. 3; SG § 13 Abs. 1 ; StGB § 263 Abs. 1 ; StPO § 267 Abs. 1 ; StPO § 327 ;

Sachverhalt:

Der zwischenzeitlich nach Überschreiten der für Berufssoldaten, die als Flugzeugführer von strahlgetriebenen Kampfflugzeugen eingesetzt werden, geltenden besonderen Altersgrenze des 41. Lebensjahres (§ 45 Abs. 2 Nr. 6 SG ) mit Ablauf des 31. Juli 2005 in den Ruhestand versetzte Soldat mit dem Dienstgrad eines Majors war auf seinen Antrag hin für die Zeit vom 1. Oktober 2004 bis zum 31. Juli 2005 für ein universitäres Studium (mit dem geplanten Abschluss eines "Magisters für italienische und spanische Philologie") vom militärischen Dienst unter Fortzahlung seiner Bezüge freigestellt worden. Der Soldat schrieb sich daraufhin ab dem 1. Oktober 2004 als Student für das angegebene Studienfach an der betreffenden deutschen Universität ein. Bereits ab dem 9. August 2004 nahm er bei einer privaten ausländischen Fluggesellschaft eine Vollzeittätigkeit als Flugzeugführer auf, die er auch in der Folgezeit ausübte. Wegen dieses Verhaltens wurde er vom zuständigen Strafgericht wegen eigenmächtiger Abwesenheit (§ 15 WStG ) und wegen Betruges (§ 263 StGB ) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Im gerichtlichen Disziplinarverfahren setzte das Truppendienstgericht den Dienstgrad des Soldaten in denjenigen eines Hauptmanns a.D. herab. Es sah sich gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO an die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil gebunden. Mit seinem Fehlverhalten habe der Soldat gegen seine Pflichten, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen (§ 7 SG ) sowie in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit zu sagen (§ 13 Abs. 1 SG ) und gegen seine Achtungs- und Vertrauenswahrungspflicht (§ 17 Abs. 2 S. 1 SG ) verstoßen.

Auf die dagegen von der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingelegte und auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkte Berufung hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Truppendienstgerichts gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts zurückverwiesen.

Aus den Gründen:

...

Das nach § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO zulässige, zuungunsten des früheren Soldaten eingelegte Rechtsmittel ist ausdrücklich und nach dem maßgeblichen Inhalt seiner Begründung auf die Maßnahmebemessung beschränkt worden; denn mit der Berufungsschrift werden weder die im Urteil des Truppendienstgerichts zum Tatverhalten getroffenen tatsächlichen Feststellungen noch deren rechtliche Würdigung in Frage gestellt. Der Senat hat daher von den Tat- und Schuldfeststellungen sowie der rechtlichen Würdigung der Truppendienstkammer auszugehen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO ). Das gerichtliche Disziplinarverfahren leidet jedoch an einem schweren Mangel des Verfahrens und zugleich an einem erheblichen Aufklärungsmangel im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO, so dass sich der Senat gehindert sieht, auf dieser Grundlage eine Entscheidung über die Maßnahmebemessung zu treffen.

Weitere Aufklärungen sind im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforderlich, wenn es in dem angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts ganz oder teilweise an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt. Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne der genannten Bestimmung liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Für den Ausgang des Berufungsverfahrens sind Mängel des truppendienstgerichtlichen Verfahrens (noch) von Bedeutung, wenn die Entscheidung über das eingelegte Rechtsmittel im Falle einer Behebung des Verfahrensfehlers anders als im Vergleich zu dessen Nichtbehebung ausfallen kann. Ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Dazu gehört u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage (vgl. u.a. Beschlüsse vom 24. Februar 1966 BDH 3 D 53/65 BDHE 7, 37 und vom 11. Mai 1978 BVerwG 2 WD 36.78 BVerwGE 63, 72 [74] = NZWehrr 1979, 32; Urteil vom 1. Juli 2003 BVerwG 2 WD 34.02 BVerwGE 118, 262 [268] = Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2004, 36; Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 121 Rn. 5 i.V.m. § 120 Rn. 7). Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen und feststellen sowie diesen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen darlegen (§ 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO ). Grundsätzlich muss jedes Strafurteil und damit auch jedes Urteil in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren aus sich selbst, d.h. aus den Urteilsgründen heraus verständlich sein (vgl. Urteil vom 10. Dezember 2008 BVerwG 2 WD 8.08 juris Rn. 12; Meyer-Goßner, StPO , 52. Aufl. 2009, § 267 Rn. 1 ff. m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen nicht, liegt ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO bzw. § 121 Abs. 2 WDO vor. Denn Voraussetzung für die im Berufungsverfahren zu treffende Entscheidung über die gebotene und angemessene Disziplinarmaßnahme ist, dass die durch die Beschränkung der Berufung unangreifbar gewordenen tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, wie sie sich aus den Urteilsgründen ergeben, sowie die auf dieser Grundlage getroffenen Feststellungen zu den schuldhaften Pflichtverletzungen (= Schuldfeststellungen) des Angeschuldigten nachvollziehbar, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind. Unklare, widersprüchliche oder lückenhafte Feststellungen können keine ausreichende Grundlage für das festzusetzende Disziplinarmaß abgeben (vgl. Beschlüsse vom 24. Februar 1966 aaO. m.w.N., vom 29. März 1967 BVerwG 1 WD 5.67, vom 26. März 1969 BVerwG 1 WD 60.68 NZWehrr 1970, 68 m.w.N.; Urteile vom 1. Juli 2003 aaO. m.w.N. und vom 10. Dezember 2008 aaO. Rn. 12). Hinreichende Tat- und Schuldfeststellungen sind gerade bei einer auf die Maßnahmebemessung beschränkten Berufung unverzichtbar, weil der Prozessstoff des Berufungsverfahrens hier durch die nach § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 327 StPO unnachprüfbar gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen des Urteils des Truppendienstgerichts festgelegt wird und vom Berufungsgericht nicht mehr geändert werden kann (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 27. Juli 1960 BDH WD 42/60 NZWehrr 1961, 122 [124], vom 9. Juli 1969 BVerwG 2 WD 17.69 und vom 10. Dezember 2008 aaO. Rn. 11 m.w.N.).

Ein solch schwerwiegender Verfahrensmangel liegt hier vor.

Die Truppendienstkammer hat im angefochtenen Urteil die gesetzliche Begründungspflicht in schwerwiegender Weise verletzt. Im Urteil wird ausgeführt, der frühere Soldat habe "mit seinem strafrechtlich als eigenmächtige Abwesenheit und Betrug zu wertenden Verhalten ... vorsätzlich gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG ) und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen" (S. 7, vierter Absatz); ferner stellten sich seine wahrheitswidrig gemachten Angaben als vorsätzlicher Verstoß gegen die Wahrheitspflicht gem. § 13 Abs. 1 SG dar. Begründet werden diese Schuldfeststellungen jedoch nicht. Sie sind auch nicht evident. Bereits darin liegt ein schwerwiegender Verstoß gegen die in § 91 Abs. 1 WDO i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO normierte und als Verfahrensvorschrift zu wertende Begründungspflicht. Bei fehlender Begründung können die Verfahrensbeteiligten nicht feststellen, aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen das erstinstanzliche Gericht seine nur im Ergebnis mitgeteilten Schuldfeststellungen getroffen hat. Eine verantwortliche Prüfung und Entscheidung, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll, wird ihnen damit dem Gesetz zuwider in unzumutbarer Weise erschwert.

Hinzu kommt, dass das angefochtene Urteil auf einem schweren Verfahrensfehler und zugleich einem erheblichen Aufklärungsmangel im Sinne von § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO beruht, weil die Truppendienstkammer zu Unrecht entgegen § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO nicht zumindest eine teilweise Lösung von den tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts F. in der Fassung des Berufungsurteils des Landgerichts M. in Betracht gezogen und vorgenommen hat, um für eine rechtsfehlerfreie Entscheidung hinreichende tatsächliche Feststellungen treffen zu können. Solche Feststellungen waren insbesondere zu der dem früheren Soldaten zurechenbaren Täuschungshandlung (für die vom Strafgericht und auf dieser Basis von der Truppendienstkammer angenommene Straftat nach § 263 Abs. 1 StGB ) erforderlich. Im sachgleichen Strafurteil des Amtsgerichts in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts, durch das das Strafverfahren abgeschlossen wurde, wird lediglich festgestellt, dass der frühere Soldat die im August 2004 erfolgte Aufnahme seiner Vollzeitbeschäftigung bei der Fluggesellschaft C. nicht gemeldet habe und wegen dieser Tätigkeit seinem Dienst im Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis 31. Juli 2005 eigenmächtig ferngeblieben sei. Die Mitarbeiter der Anordnungsstelle für Dienstbezüge hätten, sofern sie diesen Sachverhalt erkannt hätten, die entsprechenden Dienstbezüge nicht ausgezahlt, so dass dem Dienstherrn dann kein Schaden in Höhe von 46 470,93 € entstanden wäre, was dem früheren Soldaten bewusst gewesen sei. Diese Ausführungen können nur dahin verstanden werden, dass nach den von der Truppendienstkammer zugrunde gelegten Feststellungen im rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteil der bei den (für die an den früheren Soldaten erfolgte weitere Auszahlung der Dienstbezüge) zuständigen Bediensteten des Dienstherrn entstandene Irrtum über die (neue) Tätigkeit des früheren Soldaten durch eine Täuschungshandlung des früheren Soldaten verursacht worden sein soll, die letztlich in einer Unterlassung bestand. Zurechenbar ist ein "Handeln durch Unterlassen" einem Täter jedoch nur dann, wenn ihn eine Garantenpflicht im Sinne des § 13 StGB zur Aufklärung des Irrtums trifft (vgl. Fischer, StGB , 56. Auflage, § 263 Rn. 22). Voraussetzung für eine Garantenpflicht nach § 13 StGB ist auch bei einem Betrug, dass der Täter in Bezug auf vermögensrelevante Tatsachen rechtlich verpflichtet ist, falschen oder fehlenden Vorstellungen des Opfers durch aktive Aufklärung entgegenzuwirken (vgl. Fischer, aaO., § 263 Rn. 22 m.w.N.). Diese (unterlassene) Handlung, die den tatbestandsmäßigen Erfolg verhindern würde, muss vom Garanten rechtlich gefordert werden können und im konkreten Fall zumutbar sein. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit kommt es auf die Situation und die Fähigkeit des Garanten einerseits sowie auf die Nähe, die Schwere der Gefahr und die Bedeutung des Rechtsguts andererseits an (vgl. dazu: Fischer, aaO., § 13 Rn. 44). Hierzu fehlt es an jeglichen Feststellungen sowohl im rechtskräftigen Strafurteil als auch im Urteil der Truppendienstkammer.

Angesichts dieser gravierenden Verfahrens- und Aufklärungsmängel macht der Senat nach erfolgter Anhörung der Beteiligten, die dagegen keine Einwände erhoben haben, von seinem ihm in § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO eingeräumten Ermessen einer Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und einer Zurückverweisung Gebrauch, schon weil er angesichts der erfolgten Beschränkung der Berufung hinreichende Tat- und Schuldfeststellungen nicht mehr treffen kann.

Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht sieht der Senat keine Veranlassung.

Im Rahmen einer erneuten Verhandlung wird die dann zuständige Kammer des Truppendienstgerichts Süd unter anderem zu beachten haben:

Im vorliegenden Urteil der Truppendienstkammer sind die Schuldfeststellungen bezüglich der für einen Betrug erforderlichen subjektiven Tatbestandsvoraussetzung der Bereicherungsabsicht unklar und widersprüchlich. ... (wird ausgeführt)

Soweit die Truppendienstkammer das Handeln des früheren Soldaten im angefochtenen Urteil als Verstoß gegen die Pflicht zur Wahrheit gemäß § 13 Abs. 1 SG gewürdigt hat, weil er falsche Angaben hinsichtlich der Ausübung einer hauptberuflichen Tätigkeit oder einer Nebentätigkeit gemacht habe, fehlt es bisher ebenfalls an hinreichenden Schuldfeststellungen.

Zum Gegenstand der Urteilsfindung dürfen gemäß § 123 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 WDO nur diejenigen Pflichtverletzungen gemacht werden, die in der Anschuldigungsschrift und ihren Nachträgen dem Soldaten als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Damit darf ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht gemäß § 13 Abs. 1 SG im gerichtlichen Disziplinarverfahren nur dann geahndet werden, wenn die entsprechende Handlung in der Anschuldigungsschrift bezeichnet worden ist. Eine solche durch § 107 Abs. 1 WDO gebotene Konkretisierung eines Vorwurfs ist aus rechtsstaatlichen Gründen unerlässlich, weil sich ein Soldat anders gegen ihn nicht hinreichend verteidigen kann (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 6. Mai 2003 BVerwG 2 WD 29.02 BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 31, vom 18. September 2003 BVerwG 2 WD 3.03 BVerwGE 119, 76 = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 = NZWehrr 2005, 122 und vom 21. Juni 2005 BVerwG 2 WD 12.04 BVerwGE 127, 302 = Buchholz 236.1 § 11 SG Nr. 1 = NZWehrr 2005, 254).

In der Anschuldigungsschrift und in der Nachtragsanschuldigungsschrift wird dem früheren Soldaten, soweit ersichtlich, ausschließlich vorgeworfen, er habe seine Meldepflichten gekannt, aber ungeachtet dessen den Nichtantritt der Berufsförderungsmaßnahme nicht angegeben. Gegenstand der Anschuldigung ist demnach "nur" das Unterlassen einer zu fordernden Meldung, nicht aber die Abgabe einer falschen. Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht im Sinne des § 13 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SG dürfte nur dann in Betracht zu ziehen sein, wenn die geforderte Meldung wahrheitswidrig abgegeben wird, nicht aber, wenn sie unterlassen wird. In letzterem Fall dürfte der Soldat nicht gegen die Wahrheitspflicht, sondern möglicherweise gegen § 11 SG (im Falle eines Befehls zur Meldung) oder gegen seine Pflicht zum treuen Dienen nach § 7 SG (im Falle eines Weisungsverstoßes) verstoßen haben (vgl. dazu Scherer/Alff/Poretschkin, SG , 8. Aufl., § 13 Rn. 12; Urteil vom 16. Juli 1981 BVerwG 2 WD 9.81 BVerwGE 73, 222 ). Hinreichende Feststellungen dazu, aus welchem Grund der frühere Soldat sich dennoch eines Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 SG schuldig gemacht haben sollte, lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen.

Im angefochtenen Urteil sind zudem bisher nicht alle angeschuldigten Vorwürfe disziplinarrechtlich gewürdigt worden. ... (wird ausgeführt)

Ferner wird das Truppendienstgericht im Rahmen der Maßnahmebemessung zu bedenken haben, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei unerlaubtem Fernbleiben von einerseits bewilligten berufsfördernden und andererseits berufsbildenden Maßnahmen unterschiedliche gerichtliche Disziplinarmaßnahmen in Betracht kommen können.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist dabei grundsätzlich zwischen drei Fallgruppen zu unterscheiden. Ein pflichtwidriges Handeln eines Soldaten kann (1.) in einem Fernbleiben von einer Ausbildung im Rahmen der Berufsförderung am Ende der Dienstzeit (BFD), (2.) in einem Fernbleiben von einer Maßnahme der "Zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung" (ZAW) oder einem Studium an einer Universität der Bundeswehr und (3.) in einem Fernbleiben vom Studium an einer zivilen Universität begründet liegen.

(1.) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der Abbruch einer Fachausbildung im Rahmen der Berufsförderung grundsätzlich milder zu beurteilen als die eigenmächtige Abwesenheit eines aktiven Soldaten (vgl. Urteile vom 14. November 2007 BVerwG 2 WD 29.06 Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 4, vom 26. Januar 2006 BVerwG 2 WD 2.05 Buchholz 449 § 7 SG Nr. 50, vom 10. Juli 1990 BVerwG 2 WD 42.89 BVerwGE 86, 300 , vom 6. März 1990 BVerwG 2 WD 36.89 BVerwGE 86, 258 = NZWehrr 1991, 76, vom 29. Januar 1988 BVerwG 2 WD 61.87, vom 16. Mai 1984 BVerwG 2 WD 51.83, vom 11. Mai 1983 BVerwG 2 WD 14.83 und vom 24. Juli 1974 BVerwG 2 WD 31.74). Ein Soldat, der sich schon längere Zeit in der Fachausbildung befindet, ist nicht mehr im gleichen Maße in die militärische Organisation eingegliedert wie ein "aktiver" Soldat. Bei dem Entschluss, nach Abbruch der Fachausbildung der Truppe fernzubleiben, besteht daher in der Regel eine weit geringere Hemmschwelle als bei einem Soldaten, der sich aus dem Dienst in der militärischen Gemeinschaft löst. Auch die dienstlichen Folgen der Abwesenheit sind in beiden Fällen nicht gleich. Das eigenmächtige Fernbleiben eines Soldaten, der seinen Dienst in der militärischen Einheit verrichtet, bringt in aller Regel Unruhe in die Truppe, gefährdet die militärische Disziplin und schafft unter Umständen sogar Anreiz zur Nachahmung, während ein Unterlassen der Rückkehr im Rahmen der Fachausbildung bei der Mehrzahl der Angehörigen der Einheit vielfach zunächst unbemerkt bleibt und den Dienstbetrieb nicht unmittelbar belastet. Der Dienstposten eines zur Fachausbildung vom Dienst freigestellten Soldaten ist zudem in der Zwischenzeit in der Regel anderweitig besetzt worden; selbst wenn dies im Einzelfall anders sein sollte, kann der zurückgekehrte Soldat nicht in gleicher Weise wie ein anderer Soldat wieder für den regulären Dienst eingeplant werden, weil er zumeist die weitere Bewilligung von berufsfördernden Maßnahmen beanspruchen wird. Dienstliche Nachteile, die der Truppe dadurch entstehen, dass ein Soldat im Rahmen oder nach seiner Fachausbildung nicht zur Truppe zurückkehrt, sind mithin in der Regel geringer als diejenigen, die für die Truppe durch das eigenmächtige Fernbleiben eines in der aktiven Dienstleistung in der militärischen Einheit stehenden Soldaten ausgelöst werden können. Aus diesen Gründen lässt es der Senat im Hinblick auf das in § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO zu berücksichtigende Zumessungskriterium der "Auswirkungen" des Dienstvergehens grundsätzlich in solchen Fällen gegenüber dem Fernbleiben aktiver Soldaten bei der nächstniedrigeren gerichtlichen Disziplinarmaßnahme bewenden.

Anders bewertet der Senat allerdings die Fälle, in denen ein Soldat bewusst von Anfang an an einer Maßnahme der Berufsförderung nicht teilnimmt (Urteil vom 5. August 2008 BVerwG 2 WD 14.07). Wer sich als Soldat von vornherein sowohl der möglichen Teilnahme an einer Maßnahme des Berufsförderungsdienstes als auch der militärischen Dienstleistung entzieht und stattdessen bei fortwährender Inanspruchnahme seiner Dienstbezüge zu Hause privaten oder anderen Interessen nachgeht, verletzt nach der Rechtsprechung des Senats seine Dienstleistungspflicht in ähnlicher Weise wie ein aktiver Soldat im Falle der Fahnenflucht oder der unerlaubten eigenmächtigen Abwesenheit vom Dienst. Dies gilt auch dann, wenn sich ein Soldat die Bewilligung einer Fachausbildung zwecks Freistellung vom Dienst "beschafft", diese jedoch nicht in Anspruch nimmt, sondern stattdessen allein einer zivilberuflichen Erwerbstätigkeit nachgeht (Urteil vom 3. September 1998 BVerwG 2 WD 8.98 BVerwGE 113, 263 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 23 = NZWehrr 1999, 77 ). In diesen Fällen kann insbesondere nicht davon gesprochen werden, der Soldat habe nur eine geringe Hemmschwelle zu überwinden, um dem Dienst fernzubleiben. Denn hier wird von Beginn an die rechtlich eingeräumte Möglichkeit der Freistellung vom Dienst und der damit einhergehenden geringen Einbindung in die militärische Organisation ausgenutzt, um z.B. monetären Privatinteressen nachgehen zu können.

(2) Soweit ersichtlich, hat der Senat bisher nicht entschieden, ob das ungenehmigte Fernbleiben von einer Ausbildung im Rahmen der während der Dienstzeit erfolgenden "Zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung" (ZAW) ebenso wie das Fernbleiben von berufsfördernden Maßnahmen am Dienstzeitende milder zu bewerten ist als ein Fernbleiben vom aktiven militärischen Dienst. Einer solchen Analogie stehen jedoch erhebliche Bedenken entgegen. Zu berücksichtigen sind eine Reihe bedeutsamer Unterschiede zwischen ZAW-Maßnahmen und Maßnahmen im Rahmen der Berufsförderung am Dienstzeitende.

Wie der Senat im Verfahren BVerwG 2 WD 21.08 in der Berufungshauptverhandlung zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vom 29. April 2009), ist die Zivilberufliche Aus- und Weiterbildung eine militärfachliche Maßnahme für eine nachfolgende militärische Verwendung, die allerdings für den betreffenden Soldaten zugleich einen zivilberuflichen Vorteil mit sich bringt. Sie unterscheidet sich darin von Berufsförderungsmaßnahmen am Ende der Dienstzeit, die gerade darauf abzielen, einen geordneten Übergang in ein ziviles Berufsleben zu ermöglichen. ZAW-Maßnahmen sind nicht selten "militärisch" organisiert. Teilnehmer werden häufig zu einer Hörsaal-Gruppe zusammengefasst. Lediglich die fachbezogene Ausbildungsdurchführung obliegt einem beauftragten zivilen Ausbildungsträger, die Durchführung der Ausbildung im Übrigen hingegen dem dafür eingeteilten militärischen Vorgesetzten. Insgesamt liegt damit hinsichtlich der fortbestehenden Eingliederung in den militärischen Dienstbetrieb nur ein relativ geringer Unterschied gegenüber dem militärischen Dienst vor.

Aber auch soweit Teilnehmer an einer ZAW-Maßnahme weniger stark militärisch eingebunden sind, bestehen zwischen dieser und einer BFD-Maßnahme am Dienstzeitende wesentliche Unterschiede, die Veranlassung zu einer differenzierten Betrachtung geben. Teilnehmer an einer ZAW-Maßnahme werden nach Beendigung der Ausbildung stets wieder in die Truppe eingegliedert. Der Ausbildungserfolg des Teilnehmers an der ZAW-Maßnahme ist somit von unmittelbarer dienstlicher Bedeutung, weil nur so die bereits im Vorfeld ausgeplanten Dienstposten bedarfsgerecht besetzt werden können. Während eine Berufsförderungsmaßnahme am Dienstzeitende den betreffenden Soldaten allein auf seine zivile Weiterbeschäftigung vorbereitet, also auf seine "Ausgliederung" aus der Bundeswehr abzielt, werden mit der ZAW-Maßnahme hingegen die "kompetente Wiedereingliederung" des Teilnehmers in ein militärisch geprägtes Umfeld und eine verbesserte Einsatzfähigkeit bezweckt. Vergleichbar mit den an einer Bundeswehruniversität studierenden Soldaten, die ebenfalls nach Beendigung des Studiums wieder in den militärischen Bereich zurückkehren, oder mit Soldaten, die in zivilen Organisationen der Bundeswehr tätig sind, gilt auch für Maßnahmen der ZAW, dass auch der "zivilnahe" Dienst stets auf militärische Erfordernisse ausgerichtet ist. Anders als von den Teilnehmern an einer dienstzeitbeendenden berufsfördernden Maßnahme, wird von den Teilnehmern einer ZAW-Maßnahme eine dienstliche Leistung verlangt, die sie auf ihre weitere militärische Verwendung vorbereiten und hierfür qualifizieren soll, um künftig die ihnen zu übertragenden Aufgaben auf möglichst hohem Niveau erfüllen zu können. Unerlaubtes Fernbleiben von einer ZAW-Maßnahme ist daher im Regelfall mit einem ungenehmigten Fernbleiben eines "aktiven Soldaten" vom rein militärischen Dienst vergleichbar.

(3) Davon zu unterscheiden ist die dritte Fallgruppe. Soldaten, vornehmlich Medizinstudenten, die an einer Universität außerhalb der Bundeswehr im Rahmen ihres Dienstverhältnisses studieren und die nach Beendigung des Studiums wieder in die militärische Organisation eingliedert werden sollen, werden in der Regel vom Dienst beurlaubt. Eine Beurlaubung schließt eine eigenmächtige Abwesenheit im Sinne des § 15 WStG schon tatbestandsmäßig aus.

Die Truppendienstkammer wird auf der Grundlage entsprechender Tat- und Schuldfeststellungen ggf. zu prüfen haben, welcher dieser Fallgruppen das Verhalten des früheren Soldaten vorliegend am ehesten zuzurechnen ist.

Vorinstanz: TDG Süd - TDG S 5 VL 12/08 - 9.9.2009,