BGH, Beschluß vom 14.12.2005 - Aktenzeichen IV ZB 45/04
Rechtsweg für Streitigkeiten zwischen der Zusatzversorgungseinrichtung der Sparkassen und einem Versicherten
Die Rechtsbeziehungen zwischen der Zusatzversorgungskasse für Sparkassen (ZVK) und ihren Versicherten sind dem bürgerlichen Recht zuzuordnen. Dabei ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht zu den Arbeitsgerichten gegeben.
Gründe:
I. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Erteilung einer Rentenstartgutschrift. Die Parteien streiten vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs.
1. Der Beklagte, Dachverband der niedersächsischen Sparkassen in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ist Träger einer nicht rechtsfähigen Zusatzversorgungseinrichtung im Sinne des § 3 des Tarifvertrags über die Versorgung der Arbeitnehmer kommunaler Verwaltungen und Betriebe unter der Bezeichnung "Emder Zusatzversorgungskasse für Sparkassen" (im Folgenden: ZVK). Gemäß § 1 Abs. 1 des Statuts der ZVK in der hier entscheidungserheblichen Fassung der 16. Änderung vom 12. März 2002 hat diese die Aufgabe, den Mitarbeitern öffentlich-rechtlicher Sparkassen und des Niedersächsischen Sparkassen- und Giroverbandes, sowie sonstiger Glieder der Sparkassenorganisation eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mitglieder der ZVK (gem. § 3 des Statuts Beteiligte genannt) können öffentlich-rechtliche Sparkassen und andere juristische Personen der Sparkassenorganisation sein, sofern sie das Versorgungstarifrecht der Mitglieder der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände oder ein diesem im Wesentlichen gleiches Tarifrecht anwenden (§ 3 Abs. 2 des Statuts). Aus dem Versicherungsverhältnis bezugsberechtigt sind die Versicherten, also regelmäßig die bei den Mitgliedern beschäftigten Arbeitnehmer oder ihre Hinterbliebenen. Das Rechtsverhältnis zwischen den Kassenmitgliedern und der ZVK ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 des Statuts ein privatrechtliches Versicherungsverhältnis. § 78 Abs. 1 des Statuts bestimmt demgemäß, dass gegen Entscheidungen der ZVK vor den ordentlichen Gerichten Klage erhoben werden kann. Organe der Kasse sind die Geschäftsleitung, der Kassenausschuss und die Mitgliederversammlung (§ 4 des Statuts). Zur Zusammensetzung des Kassenausschusses heißt es in § 6 Abs. 1 des Statuts, insoweit inhaltsgleich mit dem Statut in der gegenwärtig geltenden Fassung der 26. Änderung vom 29. September 2005:
"Der Kassenausschuss besteht aus 13 Mitgliedern, und zwar
a) aus dem Vorsitzenden der Mitgliederversammlung als Vorsitzender des Kassenausschusses; sein Vertreter als Vorsitzender des Kassenausschusses ist ein vom Kassenausschuss zu wählendes Mitglied nach Buchst. c);
b) aus sechs von der Mitgliederversammlung zu wählenden Vertretern der Beteiligten;
c) aus sechs Vertretern, die aus dem Kreis der Versicherten zu bestellen sind; dabei sind unter Berücksichtigung der Zahl der Pflichtversicherten regionale Vertretungen zu berücksichtigen. Die Bestellung erfolgt durch die Aufsichtsbehörde auf Vorschlag der Gewerkschaften, die als Tarifpartner zur Regelung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse bei den Mitgliedssparkassen auftreten. Die Vorschläge der Gewerkschaften erfolgen im Benehmen mit den Personalräten der einzelnen Kassenmitglieder. Werden von den Gewerkschaften unterschiedliche oder nicht miteinander abgestimmte Vorschläge eingereicht, so entscheidet die Aufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen unter dem Gesichtspunkt der Ausgewogenheit."
Gemäß § 6 Abs. 5 des Statuts werden die Beschlüsse des Kassenausschusses mit einfacher Mehrheit gefasst. Stimmengleichheit macht eine erneute Beschlussfassung erforderlich, bei der die Stimme des Vorsitzenden - dieser ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a des Statuts gleichzeitig Vorsitzender der Mitgliederversammlung - für den Fall erneuter Stimmengleichheit den Ausschlag.
2. Das Landgericht hat den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten hat das Oberlandesgericht als unbegründet zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Zur Begründung hat das Beschwerdegericht ausgeführt, bei der ZVK handele es sich um eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Fall 1 ArbGG und die Klägerin mache ihr gegenüber Ansprüche geltend, die im rechtlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stünden. Eine paritätische Organisation, Verwaltung und Besetzung der Organe sei für die Annahme einer gemeinsamen Einrichtung nicht erforderlich. Es reiche aus, dass die Tarifvertragsparteien stets die Möglichkeit hätten, der gemeinsamen Einrichtung ohne Rücksicht auf deren Rechtsform bindende Weisungen zu erteilen. Dies werde ermöglicht, indem die im Statut getroffenen Regelungen zur Versorgungsrente auf inhaltlichen Vorgaben des jeweiligen Tarifvertrages beruhten.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V. mit § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG ). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie der Entscheidung des Landgerichts. Für den Rechtsstreit ist gemäß § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet, vor die alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gehören, für die nicht auf Grund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind.
1. Dass es sich bei einer Streitigkeit aus einem Rechtsverhältnis zwischen einer Zusatzversorgungseinrichtung des öffentlichen Dienstes und ihrem Versicherten bzw. Versorgungsempfänger um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 13 GVG handelt, entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 48, 35, 40 ff.; 142, 103; BGH, Urteil vom 12. März 2003 - IV ZR 56/02 - VersR 2003, 719 unter 2 a, jeweils für die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder; Nachweise zur Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bei Stürmer, NJW 2004, 2480, 2481). Er hat dabei maßgeblich auf das Zustandekommen des Versicherungsverhältnisses durch privatrechtlichen Vertrag und die satzungsgemäße Zuweisung von Streitigkeiten aus diesem Versicherungsverhältnis an die ordentlichen Gerichte abgestellt sowie darauf, dass eine gesetzliche Ermächtigung zur einseitigen Auferlegung von Pflichten regelmäßig nicht besteht (BGHZ 48, 35, 38 f.). Mit entsprechender Begründung haben auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 6, 200 für die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder sowie BVerwG DVBl 1960, 70 für die Zusatzversorgungskasse der Gemeinden und Gemeindeverbände des Landes Hessen) sowie das Bundessozialgericht (BSGE 21, 5 für die Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost) die bürgerlich-rechtliche Natur des Versicherungsverhältnisses mit einer Zusatzversorgungsanstalt bejaht.
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Anwendung der durch sie entwickelten Grundsätze führt dazu, auch die Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin und der ZVK dem bürgerlichen Recht zuzuordnen.
2. Zur Entscheidung über den Rechtsstreit sind auch nicht die Arbeitsgerichte berufen (§ 13 Halbs. 2 GVG , § 2 ArbGG ).
a) Die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a ArbGG , wonach bürgerliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern oder ihren Hinterbliebenen und ihren Arbeitgebern über Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, vor die Arbeitsgerichte gehören, sind schon dem Wortlaut nach nicht erfüllt. Parteien des Rechtsstreits im vorliegenden Fall sind die Klägerin als Versicherte sowie der Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts in seiner Eigenschaft als Träger der ZVK, der demnach nicht in der Funktion eines Arbeitgebers auftritt (BAG ZTR 2004, 603; vgl. auch BVerfG DÖD 1999, 135 , 136). Ob bei einer Streitigkeit über die Höhe einer Betriebsrente der vom Gesetz geforderte Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis besteht, kann deshalb dahinstehen.
b) Die ZVK ist auch keine Sozialeinrichtung des privaten Rechts im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Fall 2 ArbGG . Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sind in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsgerichte nur Streitigkeiten mit in der Rechtsform des privaten Rechts organisierten Einrichtungen einbezogen. Die ZVK ist eine organisatorisch verselbständigte Einrichtung des Beklagten, der insgesamt öffentlich-rechtlich organisiert ist. Darauf, dass das Rechtsverhältnis der ZVK mit der Klägerin als Versicherter privatrechtlich ausgestaltet ist, kommt es nicht an (BAGE 35, 221, 225; vgl. auch Matthes in Germelmann/Matthes/Müller-Glöge/Prütting, ArbGG 5. Aufl. § 2 Rdn. 93).
c) Die ZVK ist auch keine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Fall 1 ArbGG .
aa) Gemeinsame Einrichtungen im Sinne der genannten Vorschrift sind von den Tarifvertragsparteien geschaffene und von ihnen abhängige Organisationen, deren Zweck und Organisationsstruktur durch Tarifvertrag festgelegt wird (BVerfGE 55, 7 , 9; BAGE 61, 29 , 34; vgl. auch Staudinger/Richardi, BGB [1999] Vorbem. zu §§ 611 ff. Rdn. 671). In seinem Urteil vom 28. April 1981 (BAGE 35, 221) hat das Bundesarbeitsgericht als Kriterien für eine gemeinsame Einrichtung einerseits die Kontrollbefugnisse der Tarifvertragsparteien herangezogen, insbesondere deren Möglichkeit, der jeweiligen Einrichtung rechtlich bindende Weisungen zu erteilen, andererseits die paritätische Organisation, Verwaltung und Besetzung der Organe der Einrichtung. Der Begriff der gemeinsamen Einrichtung setze jedenfalls nicht voraus, dass ein tariffähiger Arbeitgeber schon bei der Errichtung der Zusatzversorgungsanstalt mit einer oder mehreren Gewerkschaften zusammenwirke. Eine soziale Einrichtung werde nicht dadurch zu einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien, dass bei der Zusammensetzung der Organe den Vorgaben des Personalvertretungsrechts Rechnung getragen werde und auf diesem Wege den Gewerkschaften Einflussmöglichkeiten eröffnet würden (BAG aaO. S. 227). In Fortführung dieser Entscheidung hat es in seinem Urteil vom 25. Januar 1989 maßgeblich auf den Gesichtspunkt einer kraft Satzung festgelegten paritätischen Aufsicht und Kontrolle über die jeweilige Einrichtung abgestellt (BAGE 61, 29 , 36 f.; vgl. auch ErfK/Schaub, § 4 TVG 5. Aufl. Rdn. 40 f.; Hensche in Däubler [Hrsg.], TVG § 1 Rdn. 938). Für die im vorliegenden Fall zu beurteilende Zusatzversorgungseinrichtung des Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht mangels unmittelbarer Kontroll- und Weisungsrechte der Tarifvertragsparteien deren Eigenschaft als Einrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Fall 1 ArbGG verneint; solche Einwirkungsmöglichkeiten seien für die Annahme einer gemeinsamen Einrichtung konstituierend (BAG ZTR 2004, 603). Darauf, dass die betreffende Einrichtung Leistungen auf Grund von Tarifverträgen erbringt und die Tarifpartner somit Leistungsvoraussetzungen und Leistungsumfang gemeinsam bestimmen, komme es nicht an (BAG aaO.).
bb) Gemessen daran ist - mit dem Bundesarbeitsgericht - für die ZVK die Eigenschaft einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien zu verneinen, weil jedenfalls eine paritätische Einflussmöglichkeit beider Tarifvertragsparteien auf ihre Geschäftsführung und Verwaltung nicht festgestellt werden kann. Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, dass bei der Konstituierung des 13-köpfigen Kassenausschusses nach § 6 des Statuts nur sechs Vertreter aus dem Kreis der Pflichtversicherten durch die Aufsichtsbehörde auf Vorschlag der Tarif schließenden Gewerkschaften im Benehmen mit den Personalräten der einzelnen Kassenmitglieder bestellt werden. Es fehlt auch an hinreichenden Weisungsrechten der Gewerkschaften, die zudem bei der Wahl des Vorsitzenden des Kassenausschusses kein Mitbestimmungsrecht haben. Dieser ist nämlich zugleich Vorsitzender der Mitgliederversammlung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a des Statuts) und wird aus dem Kreis der Vorstände der niedersächsischen Sparkassen gewählt. Der Kassenausschuss seinerseits fasst seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit (§ 6 Abs. 5 Satz 1 des Statuts), wobei die Stimme des Vorsitzenden letztlich den Ausschlag gibt. So können die auf gewerkschaftlichen Vorschlag hin berufenen Kassenausschussmitglieder zahlenmäßig jederzeit überstimmt werden. Verfassung und Verfahren der ZVK dienen daher nicht der Sicherung paritätischer Mitbestimmung der Gewerkschaften als Tarifvertragspartei, sondern der Mitwirkung der Versicherten aufgrund sachgerechter Benennung durch die Gewerkschaften (so auch LAG Niedersachsen, Beschluss vom 14. April 2005 - 6 TA 122/04 B - nicht veröffentlicht).