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BVerfG - Entscheidung vom 27.12.2022

1 BvR 1791/22

Normen:
BGB § 1684 Abs. 2
BGB § 1684 Abs. 3
GG Art. 6 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 90
BVerfGG § 92
BGB § 1684 Abs. 1
BGB § 1684 Abs. 2 S. 1
BGB § 1684 Abs. 3 S. 1-2
BGB § 1696 Abs. 1
FamFG § 49 Abs. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

BVerfG, Beschluss vom 27.12.2022 - Aktenzeichen 1 BvR 1791/22

DRsp Nr. 2023/14519

Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde einer Mutter gegen familiengerichtliche Entscheidungen über eine Umgangsregelung und die Nichtgewährung darauf bezogener Verfahrenskostenhilfe

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

BGB § 1684 Abs. 2 ; BGB § 1684 Abs. 3 ; GG Art. 6 Abs. 2 ;

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft familiengerichtliche Entscheidungen über eine Umgangsregelung und die Nichtgewährung darauf bezogener Verfahrenskostenhilfe.

I.

1. Die Beschwerdeführerin ist die Mutter eines im April 2012 geborenen Sohnes, für den die Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind. Sie hatten im Mai 2022 eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung getroffen, die auch den Umgang in den Schulferien des Sohnes umfasst. Für die Pfingst- und Sommerferien 2022 war von den sonst vereinbarten Regelungen Abweichendes bestimmt worden, weil die Eltern im Zeitpunkt der Vereinbarung davon ausgegangen waren, dass der Vater aus beruflichen Gründen an der Wahrnehmung des Umgangs in der zweiten Hälfte der Sommerferien 2022 gehindert sein würde. Nachdem diese Gründe weggefallen waren, wünschte der Vater den Ferienumgang 2022 nicht nach der abweichenden Regelung, sondern nach dem allgemein Vereinbarten wahrzunehmen, was einen Sommerferienumgang des Vaters vom 19. August bis zum 10. September 2022 bedeutete.

2. Der Vater beantragte im Juni 2022 bei dem Familiengericht eine einstweilige Anordnung, die auf Herausgabe seines Sohnes an ihn im Zeitraum zwischen dem 19. August und dem 10. September 2022 lautete. Dabei berief er sich unter anderem darauf, dass die Eltern sich anlässlich einer Beratung im Jugendamt darauf geeinigt hätten, den Sommerferienumgang nach der allgemein getroffenen Vereinbarung durchzuführen. Das Familiengericht verhandelte am 16. August 2022 mit den Eltern sowie dem Jugendamt mündlich und regelte im Wege einstweiliger Anordnung mit angegriffenem Beschluss vom selben Tag den Umgang entsprechend dem vom Vater gestellten Antrag. Dabei stützte es sich materiell auf § 1684 Abs. 1 , Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 BGB sowie für das dringende Regelungsbedürfnis auf § 49 Abs. 1 FamFG . Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 17. August 2022 lehnte es einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Verfahrenskostenhilfe für das einstweilige Anordnungsverfahren mit der Begründung fehlender Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung ab. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss vom 9. September 2022 als unzulässig.

3. Die Beschwerdeführerin sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG sowie in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG fehlen schon deshalb, weil die Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig ist.

1. Soweit sich die Beschwerdeführerin mit ihrer am 19. September 2022 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen die einstweilige Anordnung des Familiengerichts wendet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil aus ihrer Begründung nicht hervorgeht, dass noch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.

a) Das Rechtsschutzbedürfnis muss grundsätzlich noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegeben sein. Nach Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens kann es fortbestehen, wenn anderenfalls entweder die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und der gerügte Grundrechtseingriff besonders belastend erscheint, eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist oder die aufgehobene oder gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer noch weiterhin beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 159, 223 <273 Rn. 98>; stRspr). Für das Vorliegen der Annahme- und Zulässigkeitsvoraussetzungen, zu denen das Rechtsschutzbedürfnis gehört, auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts trägt die beschwerdeführende Person die aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgende Begründungslast (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Oktober 2021 - 1 BvR 1416/17 -, Rn. 7 f. m.w.N.).

b) Dieser ist die Beschwerdeführerin nicht nachgekommen.

aa) Die einstweilige Anordnung des Familiengerichts zum Umgang betraf nur den Zeitraum zwischen dem 19. August und dem 10. September 2022. Nach dessen Ablauf galt und gilt die von der Beschwerdeführerin nicht beanstandete, gerichtlich gebilligte elterliche Umgangsregelung aus dem Mai 2022. Der angegriffene Beschluss des Familiengerichts vom 16. August 2022 hatte sich daher bereits vor Eingang der Verfassungsbeschwerde vom 14. September 2022 erledigt.

bb) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde verhält sich ausdrücklich nicht zu den Voraussetzungen eines ausnahmsweise dennoch (fort-)bestehenden Rechtsschutzbedürfnisses. Diese liegen auch nicht derart auf der Hand, dass es der Einhaltung der Begründungsanforderungen nicht bedürfte (zum Maßstab siehe BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. Juni 2021 - 1 BvR 2027/20 -, Rn. 13 m.w.N. und vom 25. Mai 2022 - 1 BvR 326/22 -, Rn. 11).

Eine fortbestehende erhebliche Beeinträchtigung der Beschwerdeführerin durch die einstweilige Anordnung des Familiengerichts ist ebenso wenig ersichtlich wie eine Wiederholungsgefahr. Soweit sich die Beschwerdeführerin durch die in der Sache ergangene Entscheidung und die Verfahrensweise des Familiengerichts in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt sieht, lässt sich weder erkennen, dass ohne eine verfassungsgerichtliche Entscheidung eine verfassungsrechtliche Frage von grundlegender Bedeutung ungeklärt bliebe, noch, dass der (behauptete) Grundrechtverstoß besonders belastend erscheint. Zwar mag nach materiellem Fachrecht die einstweilige Anordnung ihre Grundlage wegen der Abänderung einer gerichtlich gebilligten Umgangsvereinbarung eher in § 1696 Abs. 1 BGB gehabt haben als in dem vom Familiengericht herangezogenen § 1684 Abs. 1 bis 3 BGB . Daraus lässt sich aber kein Verstoß gegen das faire Verfahren oder gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ableiten. Da das Familiengericht ohne erkennbaren oder dargelegten Verfassungsverstoß in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen ist, dass die Eltern sich in der Beratung durch das Jugendamt abweichend von der ursprünglichen Umgangsregelung auf den vom Vater für die Sommerferien 2022 begehrten Umgang verständigt hatten, dürften wegen dieser angenommenen Vereinbarung die Voraussetzungen von § 1696 Abs. 1 BGB vorgelegen haben (vgl. Coester, in: Staudinger, BGB , Stand: 1.9.2021, § 1696 Rn. 113 m.w.N.). Das dringende Regelungsbedürfnis im Sinne von § 49 Abs. 1 FamFG ergab sich offensichtlich aus den zeitlichen Abläufen. Mithin fehlt es insoweit bereits an einem Grundrechtsverstoß.

Auch aus der Verfahrensweise des Familiengerichts ist keine auf der Hand liegende Verletzung der Beschwerdeführerin ersichtlich, die ein Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung begründen könnte. Dass das Familiengericht das Begehren des Vaters trotz des in seinem Antrag verwendeten Begriffs Herausgabe als Antrag auf eine (geänderte) Umgangsregelung ausgelegt hat, lässt auf der Grundlage der Gründe des von der Beschwerdeführerin vorgelegten, hier nicht angegriffenen familiengerichtlichen Beschlusses vom 31. August 2022 verfassungsrechtlich insoweit einen auf der Hand liegenden Verfassungsverstoß nicht erkennen. Eine solche Auslegung des ursprünglichen Antrags des Vaters dürfte nach den vom Familiengericht benannten Umständen eher nahegelegen haben. Angesichts dessen findet die Einschätzung der Beschwerdeführerin, das Familiengericht habe nach der mündlichen Verhandlung vom 16. August 2022 telefonisch bei dem Verfahrensbevollmächtigten des Vaters auf eine "Antragsänderung" hingewirkt, keine hinreichende Stütze in den mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Unterlagen. Nähere Darlegungen zu den Voraussetzungen eines trotz Erledigung fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses waren daher erforderlich.

2. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde zeigt entgegen den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführerin in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten auch nicht auf, soweit sie sich gegen die gerichtlichen Entscheidungen über die Ablehnung von Verfahrenskostenhilfe im einstweiligen Anordnungsverfahren wendet.

a) Es fehlt jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 9. September 2022, mit dem es die sofortige Beschwerde wegen fehlender Statthaftigkeit des Rechtsmittels als unzulässig verworfen hat. Das Oberlandesgericht hat sich dafür auf eine der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 - XII ZB 265/10 -, Rn. 12) entsprechende Auslegung von § 127 Abs. 2 ZPO gestützt. Dass diese Auslegung und die darauf beruhende Anwendung im vorliegenden Fall mit der - nicht ausdrücklich gerügten - Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG , dem Willkürverbot oder dem Grundsatz des fairen Verfahrens unvereinbar sein könnte, ist weder dargelegt noch ersichtlich.

b) Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch für den die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Familiengerichts vom 17. August 2022 die Möglichkeit einer Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten nicht substantiiert auf.

Auslegung und Anwendung des fachrechtlich maßgeblichen § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO wie auch des jeweils anzuwendenden einfachen Rechts obliegt hierbei in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei von Verfassungs wegen den Zweck der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der durch das Grundgesetz in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 <144>; 81, 347 <357 f.>). Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (BVerfGE 81, 347 <358>).

Eine damit unvereinbare Handhabung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch das Familiengericht zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht substantiiert auf. Insbesondere wird nicht dargelegt, dass die der Entscheidung des Familiengerichts zugrundeliegende Beweiswürdigung und die darauf aufbauende Feststellung einer Einigung der Eltern über den Umgang im Zusammenhang mit dem Gespräch bei dem Jugendamt Verfassungsrecht verletzten. Nach im Fachrecht verbreiteter Auffassung gestattet Einigkeit der Eltern über eine Änderung des Umgangs eine die bisherige Umgangsregelung abändernde gerichtliche Entscheidung (dazu Rn. 11). Dann ließ sich aber auch ohne Verkennung der Bedeutung der Rechtsschutzgleichheit annehmen, die von der Beschwerdeführerin verfolgte Rechtsverteidigung biete keine hinreichende Erfolgsaussicht.

In der Verfassungsbeschwerde wird angesichts dessen auch nicht substantiiert ausgeführt, dass die Handhabung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch das Familiengericht willkürlich oder unter Verletzung des Gebots fairen Verfahrens erfolgt ist. Soweit die Beschwerdeführerin sich darauf stützen will, dass das Familiengericht ihr ein Telefonat zwischen der zuständigen Abteilungsrichterin und dem Verfahrensbevollmächtigten des Vaters nicht zur Kenntnis gegeben und keine Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt hat, dürfte sie der Sache nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend machen. Eine entsprechende Anhörungsrüge wurde im fachgerichtlichen Verfahren aber nicht erhoben. Im Übrigen ist nicht dargetan, welchen für die Entscheidung über die beantragte Verfahrenskostenhilfe erheblichen Vortrag die Beschwerdeführerin gehalten hätte, wenn sie vor dem Beschluss vom 17. August 2022 über das Telefonat informiert worden wäre.

3. Von einer weitergehenden Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: AG Pforzheim, vom 16.08.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 7 F 124/22
Vorinstanz: AG Pforzheim, vom 17.08.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 7 W 127/20
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 09.09.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 20 WF 104/22