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BSG - Entscheidung vom 13.04.2021

B 1 KR 57/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 13.04.2021 - Aktenzeichen B 1 KR 57/20 B

DRsp Nr. 2021/10827

Voraussetzungen für eine vergütungsrechtliche Zusammenfassung stationärer Behandlungsfälle Anforderungen an eine Auffälligkeitsprüfung Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Mai 2020 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1726,72 Euro festgesetzt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe

I

Die Klägerin, Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses, rechnete mit der beklagten Krankenkasse (KK) zwei stationäre Behandlungsfälle einer Versicherten der KK vom 23. bis 25.11.2009 (1. Behandlungsfall: Diagnosis Related Group - DRG I21Z - lokale Exzision und Entfernung von Osteosynthesematerial an Hüftgelenk und Femur oder komplexe Eingriffe am Ellenbogengelenk und Unterarm; 3078,06 Euro; Rechnung vom 11.12.2009) und vom 28.11. bis 2.12.2009 (2. Behandlungsfall: DRG J67B - leichte bis moderate Hauterkrankungen ohne CC oder Erkrankungen der Mamma außer bösartige Neubildung; 1726,72 Euro; Rechnung vom 14.12.2009) ab. Die KK beglich zunächst beide Rechnungen. Mit Schreiben vom 5.1.2010 leitete sie - bezogen auf den 1. Behandlungsfall - eine Überprüfung durch den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) ein. Mit Schreiben vom 2.3.2010 teilte die KK mit, beide Behandlungsfälle seien zu einem Gesamtfall zusammenzufassen. Mit weiterem Schreiben vom 11.3.2010 zeigte sie - diesmal bezogen auf beide Behandlungsfälle - das SMD-Verfahren gemäß § 275 SGB V an. Im Hinblick darauf, dass das Krankenhaus die Herausgabe von Behandlungsunterlagen des 2. Behandlungsfalls verweigerte, sah sich der SMD zu einer inhaltlichen Bewertung nicht in der Lage. Die KK verrechnete am 8.3.2010 den Rechnungsbetrag für den 2. Behandlungsfall (1726,72 Euro) mit unstreitigen Forderungen des Krankenhauses. Das SG hat die KK zur Zahlung dieses Betrags nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 19.1.2015). Das LSG hat die Berufung der KK gegen das SG -Urteil zurückgewiesen: Das Krankenhaus habe den 2. Behandlungsfall inhaltlich korrekt abgerechnet. Die Voraussetzungen für eine Fallzusammenführung seien nicht nachgewiesen. Die KK habe eine Auffälligkeitsprüfung zunächst nur bezogen auf den 1. Behandlungsfall durchgeführt. Als sie eine weitere Auffälligkeitsprüfung - bezogen auf den 2. Behandlungsfall - eingeleitet habe, sei die hierfür maßgebliche Frist von sechs Wochen nach § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V bereits abgelaufen gewesen, so dass das Krankenhaus die Herausgabe der angeforderten Unterlagen zu Recht abgelehnt habe (Urteil vom 27.5.2020).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die KK gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ; dazu 1.) und der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ; dazu 2.).

1. Wer sich - wie hier die KK - auf den Zulassungsgrund der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Dreierausschuss> vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der KK nicht gerecht. Sie benennt bereits keinen klar abgrenzbaren abstrakten Rechtssatz in einem Urteil des BSG , sondern trägt lediglich eine wörtlich aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 28.3.2017 ( B 1 KR 3/16 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 60, RdNr 12 und 13) entnommene längere Passage vor, ohne weitere Ausführungen dazu zu machen, inwieweit sich daraus ein abstrakter Rechtssatz ergeben soll. Die wörtlich wiedergegebene Passage enthält mehrere Aussagen, etwa, dass das Überprüfungsrecht der KK auf sachlich-rechnerische Richtigkeit unabhängig von den engen Anforderungen einer Auffälligkeitsprüfung besteht, dass es einem eigenen Prüfregime unterliegt und dass das Beweisverwertungsverbot für Behandlungsunterlagen wegen Verfristung der Prüfanzeige nur bei Auffälligkeitsprüfungen, nicht aber bei Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit von Krankenhausabrechnungen eingreift. Aus welcher dieser Aussagen die KK welchen abstrakten Rechtssatz ableiten möchte, macht sie nicht ausreichend deutlich.

Die KK legt daher schon nicht nachvollziehbar dar, wovon das LSG abgewichen sein soll. Sie benennt aber auch keinen abstrakten Rechtssatz aus der angefochtenen Entscheidung des LSG. Wenn das LSG einen abweichenden entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz nicht ausdrücklich formuliert, sondern nur implizit zugrunde gelegt hat, genügt es, dass der Beschwerdeführer darlegt, dass das LSG von einer Entscheidung ua des BSG abgewichen ist, indem es einen der höchstrichterlichen Rspr widersprechenden abstrakten Rechtssatz nur sinngemäß und in scheinbar fallbezogene Ausführungen gekleidet entwickelt hat. In einem solchen Fall muss der Beschwerdeführer jedoch darlegen, dass sich aus den Ausführungen des Berufungsurteils unzweifelhaft der sinngemäß zugrunde gelegte abstrakte Rechtssatz schlüssig ableiten lässt, den das LSG als solchen auch tatsächlich vertreten wollte (vgl BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13). Daran fehlt es.

Soweit die KK ausführt, sie hätte unabhängig von den Anforderungen der Auffälligkeitsprüfung das Recht gehabt, das Vorliegen eines unzulässigen Fallsplittings im Rahmen des Prüfregimes der sachlich-rechnerischen Richtigkeitskontrolle zu überprüfen, legt sie nicht dar, inwieweit das LSG ihr dieses Recht abgesprochen haben soll, und setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass das LSG festgestellt hat, dass auch die zweite, durch Prüfanzeige vom 11.3.2010 eingeleitete Prüfung auf eine Auffälligkeitsprüfung gerichtet war. Insoweit führt das LSG aus, dass es sich bei der ersten Prüfanzeige um eine Auffälligkeitsprüfung und nicht um eine sachlichrechnerische Prüfung gehandelt habe. "Darauf aufbauend" sei die zweite Prüfanzeige vom 11.3.2010 erfolgt. Diese Feststellungen, wonach die KK eine unwirtschaftliche Behandlung habe überprüfen wollen, sind für den Senat bindend, da die KK sie nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen hat 163 SGG ). Allerdings greift die Ausschlussfrist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V nicht für Behandlungsfälle vor dem 1.1.2016 ein, wenn eine KK die sachlich-rechnerische Richtigkeit der Rechnung bezweifelt, worauf die beschwerdeführende KK zutreffend hinweist. KKn waren im hier maßgeblichen Zeitraum innerhalb der Verjährungsfristen auch nach Ablauf der Frist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V befugt, eine sachlich-rechnerische Prüfung unter Beiziehung von Behandlungsunterlagen des Krankenhauses vorzunehmen. Die beschwerdeführende KK legt zwar noch hinreichend deutlich dar, dass es ihr selbst um die Überprüfung einer Fallzusammenführung nach § 2 der im Jahr 2009 maßgeblichen Fallpauschalenvereinbarung (FPV) gegangen sei, also um eine sachlich-rechnerische Prüfung. Sie zeigt aber nicht auf, dass auch das LSG hiervon ausgegangen sei und nicht allein von einem Sachverhalt wirtschaftlichen Alternativverhaltens und der Möglichkeit einer allein nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot eröffneten fiktiven Fallzusammenführung. Eine solche Prüfung unterfällt nämlich der vom LSG für maßgeblich angesehenen Frist des § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V . Für die Herausarbeitung eines abweichenden abstrakten Rechtssatzes des LSG hätte die KK darlegen müssen, das LSG sei davon ausgegangen, die Berechnung der beiden Krankenhausaufenthalte könne sachlich-rechnerisch unrichtig sein, oder es habe dies zumindest offengelassen, und gleichwohl wegen § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V - abweichend von der Rspr des erkennenden Senats - eine weitere Prüfung unter Beiziehung von Behandlungsunterlagen des Krankenhauses aus Rechtsgründen für ausgeschlossen angesehen. Daran fehlt es aber.

Im Kern greift die KK die Richtigkeit der Entscheidung des LSG an. Dies vermag die Revisionsinstanz jedoch nicht zu eröffnen. Denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (stRspr; vgl BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 107/12 B - juris RdNr 21).

2. Auch soweit die KK hilfsweise die grundsätzliche Bedeutung der Sache rügt, erfüllt sie nicht die hierfür maßgeblichen Darlegungsanforderungen. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Die KK formuliert die Frage:

"Kann eine Krankenkasse eine Fallzusammenführung im Sinne des § 2 FPV im Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeitskontrolle überprüfen oder ist sie hierbei an die engeren Anforderungen der Auffälligkeitsprüfung gebunden?"

Unabhängig davon, ob sie hiermit überhaupt eine abstrakte Rechtfrage formuliert, oder nur auf die Lösung des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalls abzielt, legt sie jedenfalls die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage nicht dar. Dazu wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Daran fehlt es aus den unter 1. genannten Gründen.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO , diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 , § 47 Abs 1 und 3 GKG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 27.05.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 582/16
Vorinstanz: SG Regensburg, vom 19.01.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 2 KR 252/13