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BSG - Entscheidung vom 09.05.2018

B 1 KR 55/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2

BSG, Beschluss vom 09.05.2018 - Aktenzeichen B 1 KR 55/17 B

DRsp Nr. 2018/7030

Anspruch auf Rehabilitation Divergenzrüge Einander widersprechende abstrakte Rechtssätze Bewusstes Aufstellen eines abweichenden Rechtssatzes

1. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem herangezogenen höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. 2. Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat. 3. Der Beschwerdeführer hat dies schlüssig darzulegen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Juni 2017 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2 ;

Gründe:

I

Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte, 1947 geborene Kläger mit einem zuerkannten Grad der Behinderung (GdB) von 20 und ab 17.2.2014 von 30 ist mit seinem Begehren auf Übernahme von 250 Euro Kosten für vertragsärztlich verordneten Reha-(Rehabilitations-)Sport in Gruppen (8.2.2012: 50 Übungseinheiten in 18 Monaten) bei der Beklagten erfolglos geblieben. Das SG hat die Beklagte zur Erstattung von 250 Euro verurteilt und die Berufung zugelassen (tatsächlich vom Kläger in den Jahren 2012/2013 an den TSV gezahlt: 224 Euro). Das LSG hat das SG -Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, es sei nicht erkennbar, dass beim Kläger das Gemeinschaftserlebnis, mit anderen vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können, in besonderer Weise rehabilitativ wirke. Der Kläger betreibe eine Wirbelsäulengymnastik wie tausende andere Personen in seinem Alter, die hierzu Sportvereine, Volkshochschulen oder private Fitnessstudios aufsuchten. Die orthopädischen Beeinträchtigungen des Klägers seien im Reha-Sport-Zeitraum noch wenig ausgeprägt und weitgehend altersentsprechend gewesen (Urteil vom 20.6.2017).

Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) und der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ).

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus.

Er formuliert als Fragen,

"ob Beschwerden, die mit einem GdB von 20 rechtskräftig bewertet wurden, wenig ausgeprägt sind und weitgehend altersentsprechend sind und somit nicht ausreichend sind, um Anspruch auf Rehabilitation i.S.d. SGB IX , insbesondere in Form von Rehabilitationssport gem. § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX zu haben"

und

"ob und inwieweit beim Rehabilitationssport in Gruppen es einer ärztlichen Überwachung konkret bedarf".

a) Der erkennende Senat lässt offen, ob der Kläger mit der ersten Frage nicht lediglich auf die rechtliche Prüfung seines individuellen Falls abzielt und eine durch § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausgeschlossene Rüge der Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG als Rechtsfrage formuliert hat. Ebenso lässt der erkennende Senat offen, ob der Kläger mit der zweiten Frage eine Rechtsfrage überhaupt klar formuliert hat. Es fehlen jedenfalls Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit der beiden Fragen. Der Kläger legt nicht dar, warum sich das Revisionsgericht im Fall einer Zulassung der Revision mit diesen Fragen überhaupt befassen müsste. Soweit der Kläger mit seiner ersten Frage allgemein darauf abzielt, dass ein GdB von 20 hinreichende Voraussetzung auch für andere Reha-Ansprüche als den Anspruch auf Reha-Sport in Gruppen sein kann, ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass er sein Kostenerstattungsbegehren auf weitere Reha-Ansprüche stützen will. Das LSG hat zum Reha-Sport in Gruppen nach § 43 Abs 1 SGB V iVm § 44 Abs 1 Nr 3 SGB IX (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung; seit 1.1.2018 § 64 Abs 1 Nr 3 SGB IX ) festgestellt, dass er nicht notwendig (§ 12 Abs 1 SGB V ) war, um die im Reha-Sport-Zeitraum noch wenig ausgeprägten und weitgehend altersentsprechenden orthopädischen Beeinträchtigungen des Klägers im Rahmen ergänzender Reha-Leistungen zu behandeln. Der Kläger greift diese Feststellungen nicht mit einer Verfahrensrüge an. Zudem zeigt der Kläger auch für den Zeitraum, für den er Kostenerstattung begehrt, keine medizinisch notwendige Hauptleistung (Maßnahme der Krankenbehandlung einschließlich medizinischer Reha) konkret auf, zu der der Reha-Sport in Gruppen als akzessorische Leistung hinzugetreten sein soll (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 43 Nr 2 RdNr 15). Insoweit führt er lediglich allgemein aus, dass er sich wegen Hirnschädigung, Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule, degenerativen Veränderungen, muskulären Verspannungen, Bandscheibenschäden, Nervenwurzelreizerscheinungen und einer damit verbundenen schmerzhaften Bewegungseinschränkung, Herz-Rhythmus-Störungen, Bluthochdruck und Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke bei Verschleiß in ständiger ärztlicher Behandlung befunden habe.

b) Soweit der Kläger mit seiner ersten Frage (auch) die Frage aufwerfen will, ob bei einem Versicherten mit einem GdB von 20 das Gesetz vermutet oder gar fingiert, dass Reha-Sport in Gruppen als ergänzende Reha-Leistung notwendig ist, legt er deren Klärungsbedürftigkeit nicht in der gebotenen Weise dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das BSG die Rechtsfrage zwar nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung einerseits nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht (vgl auch BSG Beschluss vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - Juris RdNr 7) und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr im Ergebnis jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl BSG Beschluss vom 28.3.2017 - B 1 KR 66/16 B - Juris RdNr 7). Der Kläger legt schon nicht dar, warum § 43 Abs 1 SGB V iVm § 44 Abs 1 Nr 3 SGB IX von einer generalisierenden Betrachtung der medizinischen Notwendigkeit ausgeht, obwohl dies nach dem Wortlaut dieser Vorschriften sowie dem Regelungssystem des SGB V (vgl §§ 2 Abs 4 , 12 Abs 1 , 27 Abs 1 SGB V ; BSG SozR 4-2500 § 137 Nr 7 RdNr 13; zur stationären Reha BSGE 113, 231 = SozR 4-2500 § 40 Nr 7, RdNr 16) fernliegt. Der Kläger setzt sich auch nicht damit auseinander, warum trotz der Rspr des erkennenden Senats weiterer Klärungsbedarf bei ergänzenden Reha-Leistungen iS von § 43 SGB V bestehen soll (vgl BSG SozR 4-2500 § 43 Nr 1 RdNr 36; BSG SozR 4-2500 § 43 Nr 2 RdNr 15). Danach muss ein Versicherter aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen einer ergänzenden Reha-Leistung bedürfen. Notwendig ist eine solche Leistung nur, wenn nur durch sie - im Verbund mit der Hauptleistung - eine Behinderung beseitigt, gemindert, ausgeglichen oder deren Verschlimmerung verhütet werden kann. Die Leistungen müssen jeweils individuell im Einzelfall geeignet, notwendig und wirtschaftlich sein.

2. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in dem herangezogenen höchstrichterlichen Urteil andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Der Beschwerdeführer hat dies schlüssig darzulegen (vgl zB BSG Beschluss vom 26.9.2017 - B 14 AS 177/17 B - Juris RdNr 1). Daran fehlt es. Der Kläger bezeichnet nicht schlüssig einen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz in der Entscheidung des LSG, der höchstrichterlicher Rspr widerspricht. Er führt lediglich aus, das BSG habe in seinem Urteil vom 2.11.2010 ( BSG SozR 4-2500 § 43 Nr 2) klargestellt, dass Reha-Sport in Gruppen nicht in Eigenregie durchgeführt werden könne. Hingegen habe das LSG die Auffassung der Beklagten nicht beanstandet, dass beim Funktionstraining in Gruppen der Betroffene nach ausreichender Beübung einer gruppenweise durchgeführten Maßnahme nicht mehr bedürfe. Damit übersehe das LSG offensichtlich, dass es hier um Reha-Sport in Gruppen und nicht um Funktionstraining gehe. Insoweit macht der Kläger nur geltend, das LSG habe das Recht fehlerhaft angewendet. Dies ist nicht geeignet, eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG darzulegen.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Bayern, vom 20.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 399/14
Vorinstanz: SG Landshut, vom 01.08.2014 - Vorinstanzaktenzeichen S 4 KR 218/12