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BSG - Entscheidung vom 19.09.2007

B 1 KR 52/07 B

Normen:
SGB V § 12 Abs. 1 § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 § 31 Abs. 1
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluss vom 19.09.2007 - Aktenzeichen B 1 KR 52/07 B

DRsp Nr. 2008/336

Erstattung der Kosten für Wachstumshormone durch die gesetzliche Krankenversicherung, Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und Divergenz

1. Die erforderlichen qualifizierten Krankheitsvoraussetzungen zur Übernahme der Kosten für die Behandlung mit Wachstumshormonen durch die gesetzliche Krankenversicherung liegen bei einer Zielkörpergröße von 160 cm +/- 8,5 cm sowie einer konkreten Wachstumsprognose für eine Versicherte von 146,5 cm nicht vor. 2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht schon deshalb zu bejahen, weil im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht wird, das LSG habe unrichtig entschieden. 3. Die Zulassung der Revision wegen Divergenz wird nicht durch die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall sondern durch die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGB V § 12 Abs. 1 § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 § 31 Abs. 1 ; SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 , 2 § 160a Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

I. Die 1995 geborene, bei der beklagten Krankenkasse familienversicherte Klägerin, bei der ein Kleinwuchs unklarer Ursache besteht, begehrt - bislang erfolglos - die Übernahme der Kosten für die Behandlung mit Wachstumshormonen. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, weil es an einer für die zulassungsüberschreitende Anwendung des Präparats Somatropin auf Kosten der Beklagten erforderlichen "schwerwiegenden" Erkrankung fehle (Zielkörpergröße inzwischen 160 cm +/- 8,5 cm; konkrete Wachstumsprognose für die Klägerin 146,5 cm). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, die Klage sei wegen fehlender Klagebefugnis schon unzulässig; der geltend gemachte Kostenerstattungs- bzw Kostenübernahmeanspruch setze voraus, dass der Klägerin bzw ihren Eltern Kosten entstanden seien, was aber nach den ausdrücklichen Nachfragen des Gerichts nicht der Fall sei: Das Mittel werde ärztlicherseits zur Verfügung gestellt und Kosten für die Therapie müssten daher nicht verauslagt werden; Gründe habe die Klägerseite nicht benannt; es ergebe sich auch nicht, das der Klägerin künftig Kosten entstünden (Urteil vom 28.2.2007).

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

II. Die Beschwerde ist - sofern man annimmt, dass ihre Begründung den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen teilweise entspricht - unbegründet und daher zurückzuweisen. Im Übrigen ist sie unzulässig.

1. Selbst wenn man die Zulässigkeit der Beschwerde unter dem Blickwinkel unterstellt, dass mit der Gesamtheit des Vorbringens in der Beschwerdebegründung vom 25.7.2007 sinngemäß (auch) geltend gemacht werden soll, es sei die Rechtsfrage grundsätzlich bedeutsam "Unter welchen Voraussetzungen hat eine Krankenkasse den künftigen zulassungsüberschreitenden Einsatz eines - bislang eingesetzten und kostenfrei von dritter Seite zur Verfügung gestellten - Arzneimittels bei Kleinwuchs im Kindesalter zu übernehmen?", sind die Voraussetzungen einer Revisionszulassung gleichwohl nicht erfüllt. Um dem Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG zu entsprechen, muss die aufgeworfene Rechtsfrage nämlich im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung sein (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN; vgl Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 8. Aufl 2005, § 160 RdNr 6 ff). Der Rechtssache kommt gemessen an diesen Kriterien keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil eine Frage, die - wie hier - ohne Weiteres bereits mittels höchstrichterlicher Rechtsprechung oder mit Hilfe einschlägiger Regelwerke zu beantworten ist, grundsätzlich nicht in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig ist (vgl zB BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6 und § 160a Nr 21 S 38 mwN). Die Beschwerde zieht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Voraussetzungen für einen off-label-use nicht in Zweifel, wonach es dafür ua um die Behandlung einer "schweren, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Krankheit" gehen muss (seit BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 - Sandoglobulin). Darüber hinausgehender Klärungsbedarf durch Rechtsprechung des BSG besteht hier nicht. Der Senat hat entschieden, dass eine "Krankheit" als vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichenden Körperzustand nicht vorliegt, wenn die Körpergröße des Betroffenen "im Normbereich" liegt (BSGE 72, 96 , 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64). Bei einer Zielkörpergröße von aktuell 160 cm (+/- 8,5 cm) sowie einer konkreten Wachstumsprognose für die Klägerin von 146,5 cm liegen vor diesem Hintergrund jedenfalls die erforderlichen qualifizierten Krankheitsvoraussetzungen für die begehrte Leistung nicht vor. Das ergibt sich auch daraus, dass das Recht der Teilhabe behinderter Menschen einen der Regelwidrigkeit Rechnung tragenden Grad der Behinderung erst unterhalb einer Körpergröße von 141 cm nach Abschluss des Wachstums vorsieht und die Feststellung des Schwerbehinderten-Status erst bei einer Körpergröße unter 131 cm ermöglicht (vgl Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2005, Nr 26.18 - Haltungs- und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten, Stichwort "Kleinwuchs").

2. Die weiteren ausdrücklich formulierten Rechtsfragen genügen nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungserfordernissen an den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Die Beschwerde stellt die Fragen, "ob die Klagebefugnis im Rahmen einer Klage auf Verordnungsfähigkeit durch die Krankenkasse allein deshalb ausscheidet, weil in der Vergangenheit noch keine Kosten entstanden sind oder ob es ausreicht, dass die Klägerin einen Sachleistungsanspruch für die Zukunft geltend macht" und "ob die Beschwer allein aus dem Grund entfällt, dass ein Dritter, der hierzu nicht verpflichtet ist, die (gegebenenfalls) der Krankenkasse obliegende Pflicht zur Kostentragung in der Vergangenheit übernimmt, während diese sich rechtswidrig weigert". Es ist bereits zweifelhaft, ob damit prozessrechtliche Fragen von "allgemeiner" Bedeutung angesprochen sind; mehr spricht dafür, dass es sich um Fragen handelt, die nur die - einer Grundsatzrüge nicht zugängliche - Subsumtion der Sachverhaltselemente des Einzelfalls unter die Voraussetzungen des § 54 Abs 2 Satz 1 SGG betreffen. Unbeschadet dessen fehlt es daran, dass sich die Beschwerde mit der Rechtsprechung des BSG zum Komplex "Einfluss der fehlenden Kostenbelastung des Versicherten auf geltend gemachte Kostenerstattungs-, Kostenfreistellungs- bzw Kostenübernahmeansprüche gegen die Krankenkasse" (vgl zB: BSGE 80, 181 , 182 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 25 Leitsatz 2 und S 120; BSGE 85, 287 , 289 = SozR 3-2500 § 33 Nr 37; BSGE 88, 62 , 74 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 mwN; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, jeweils RdNr 17 mwN) befasst und auseinandersetzt, sodass die Klärungsbedürftigkeit der Fragen nicht hinreichend dargetan ist. Dass das BSG die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen unter dem Blickwinkel des materiellen Rechts abgehandelt hat, während das LSG darin eine prozessrechtliche Problematik sieht, steht der aus der zitierten Rechtsprechung ggf bereits abzuleitenden Beantwortung der Fragen nicht entgegen und spricht nicht für ihre (noch) bestehende Klärungsbedürftigkeit; denn im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ist es unerheblich, ob das LSG (möglicherweise) unrichtig entschieden hat und ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht schon deshalb zu bejahen, weil die Unrichtigkeit geltend gemacht wird (so BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

3. Die Beschwerde ist auch unzulässig, soweit die Abweichung des LSG von fünf Entscheidungen des BSG (Beschluss vom 30.3.2004 - B 4 RA 24/02 R; Urteile vom 23.8.2005 - B 4 RA 21/04 R; vom 24.1.2003 - B 12 KR 6/00 R; vom 14.11.2002 - B 13 RJ 19/01 R; vom 23.10.1996 - 4 RLw 6/96) gerügt wird. Damit wird eine Rechtsprechungsdivergenz (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) nicht entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt. Hierzu müssen nämlich entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und im BSG-Urteil andererseits gegenüber gestellt und Ausführungen dazu gemacht werden, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB Meyer-Ladewig in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG , 8. Aufl 2005, § 160a RdNr 15, § 160 RdNr 10 ff jeweils mwN). Eine Abweichung liegt indessen nicht schon vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat; nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67). Dass das LSG in diesem Sinne bei den Voraussetzungen für die Klagebefugnis einen abstrakten und daher der Divergenz fähigen Rechtssatz aufgestellt hat, der im Widerspruch zu einem solchen in den herangezogenen Urteilen des BSG steht und aus dem daher das Bedürfnis nach Herbeiführung von Rechtseinheit in einem Revisionsverfahren abgeleitet werden kann, ist nicht ersichtlich. Das Beschwerdevorbringen ist vielmehr im Kern darauf gerichtet, das LSG habe (prozess)rechtliche Maßstäbe zur Beurteilung der Klagebefugnis aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die auch im Falle der Klägerin heranzuziehen seien, "nicht beachtet" und das LSG-Urteil stehe "offenkundig" bzw "klar im Widerspruch" zu Rechtssätzen des BSG, die "auf den vorliegenden Fall übertragbar" seien. Dieser Vortrag betrifft nur die Unrichtigkeit der Rechtsanwendung. Ähnliches ist dem Vorbringen entgegenzuhalten, das LSG habe verkannt, dass der Klägerin ein subjektives Recht auf die begehrte Kostenübernahme zustehe und zu hohe Anforderungen an die Substanziierung künftig entstehender Kosten gestellt; auch insoweit gilt, dass das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht dazu dient, die Richtigkeit des Urteils (hier: bezogen auf die Einhaltung der sich aus der BSG-Rechtsprechung ergebenden Maßstäbe für die Klagebefugnis) überprüfen zu lassen.

4. Die Beschwerde legt schließlich auch nicht dar, dass das LSG-Urteil auf einem rügefähigen Verfahrensfehler beruht (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ); der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur unter zusätzlichen Voraussetzungen gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ). Mit Blick auf § 160a Abs 2 Satz 3 SGG sind die Umstände zu bezeichnen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Die Beschwerde rügt die Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz), weil sich dem LSG habe aufdrängen müssen, weiter zu ermitteln, ob in Zukunft eine Kostenbelastung eintreten werde. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel indessen auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierzu muss, um den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG zu entsprechen, im Einzelnen aufgezeigt werden, dass ein solcher Beweisantrag gestellt und in der Sitzungsniederschrift protokolliert oder im Urteilstatbestand aufgeführt worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20; SozR 1500 § 160 Nr 64). Entsprechender Vortrag fehlt. Stellt ein in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwaltlich vertretener Rechtsuchender - wie hier die Klägerin in der Verhandlung vom 28.2.2007 - nur noch einen Sachantrag und nicht zumindest auch hilfsweise Beweisanträge, darf das Gericht annehmen, dass selbst zuvor schriftsätzlich angekündigte Anträge nicht weiter verfolgt werden sollen; ein Verfahrensmangel kann auf einen derartigen Sachverhalt regelmäßig nicht gestützt werden (BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 S 2). Soweit in diesem Zusammenhang vorgetragen wird, das LSG habe den Arztbrief von Dr. A. vom 1.6.2006 übergangen, wonach die Finanzierung der Therapie nur noch "für ein weiteres Jahr" gesichert gewesen sei, könnte auch daraus im Übrigen keine erfolgreiche sinngemäße Rüge der Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör abgeleitet werden: Wie sich aus dem Urteilstatbestand (Seite 7) ergibt, hat das LSG diesen Arztbrief zur Kenntnis genommen, daraus in den Entscheidungsgründen aber nicht die gleichen Schlüsse gezogen wie die Klägerin; dass das LSG von seinem rechtlichen Standpunkt aus annehmen musste, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sei eine eigene Kostenbelastung der Klägerin für die damit bis Mitte 2007 bescheinigte Behandlungsbedürftigkeit (und damit die Klagebefugnis) zu bejahen, ist insoweit nicht erkennbar. Sollte im Übrigen eine Behandlungsbedürftigkeit auch nach diesem Zeitpunkt fortbestehen, käme ohnehin ein neuer Leistungsantrag in Betracht.

5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG ).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 28.02.2007 - Vorinstanzaktenzeichen L 5 KR 97/05
Vorinstanz: SG Lübeck, vom 25.07.2005 - Vorinstanzaktenzeichen S 5 KR 269/03