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BSG - Entscheidung vom 19.08.2021

B 1 KR 102/20 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 19.08.2021 - Aktenzeichen B 1 KR 102/20 B

DRsp Nr. 2021/15616

Kostenerstattung für eine selbstbeschaffte Hyperthermie-Behandlung Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 2. November 2020 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Die Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Versorgung mit einer Hyperthermie-Behandlung - im Berufungsverfahren gerichtet auf Kostenerstattung der 2011/2012 selbstbeschafften Behandlung - bei der Beklagten und den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung - unter teilweiser Bezugnahme auf das SG -Urteil - ausgeführt, die Behandlungsmethode falle als neue Behandlungsmethode iS von § 135 Abs 1 SGB V nicht unter die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), da sie der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ausdrücklich ausgeschlossen habe. Ein Anspruch folge auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts bzw § 2 Abs 1a SGB V . Denn es hätten mit Chemo- und Strahlentherapie allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung gestanden. Ein Anspruch aus § 13 Abs 3a SGB V scheide schon deswegen aus, weil die Vorschrift erst seit ihrem Inkrafttreten am 26.2.2013 gelte (Urteil vom 2.11.2020).

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ).

1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Die Klägerin bezeichnet als Rechtsfrage:

"Ist eine Behandlungsmethode (hier Chemo- bzw. Strahlentherapie), die vom Versicherten im Hinblick auf § 65 Abs. 2 SGB I berechtigterweise abgelehnt werden kann noch eine 'allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung' im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 3, Abs. 1a S. 1 SGB V ?"

a) Sie legt jedoch die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht in der gebotenen Weise dar. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das BSG die Rechtsfrage zwar nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung einerseits nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht (vgl auch BSG vom 16.4.2012 - B 1 KR 25/11 B - juris RdNr 7) und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr im Ergebnis jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl BSG vom 28.3.2017 - B 1 KR 66/16 B - juris RdNr 7). Die Frage der Klägerin zielt darauf ab, dass sie zur Ablehnung einer von ihr gewählten, wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethode nicht auf eine mit bestimmten Risiken verbundene schulmedizinische Behandlungsmethode verwiesen werden dürfe. Sie setzt sich aber nicht damit auseinander, warum insoweit trotz der hierzu ergangenen Rspr des erkennenden Senats weiterer Klärungsbedarf bestehen soll (vgl zB BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 20 ff; BSG vom 8.10.2019 - B 1 KR 4/19 R - SozR 4-2500 § 12 Nr 16 RdNr 21; BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 4/13 R - SozR 4-2500 § 18 Nr 9 RdNr 16; BSG vom 20.4.2010 - B 1/3 KR 22/08 R - BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30; BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 25 f mwN). Danach ist es bei der abstrakten und konkreten Prüfung von Risiken und Nutzen einer schulmedizinischen Behandlungsmethode und einer alternativen Behandlungsmethode geboten, jeweils das erreichbare Behandlungsziel iS von § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V zu berücksichtigen. Erforderlich ist, dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-Risikoabwägung ergeben, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt. Soweit danach eine Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob bei Anlegen des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs auch andere (anerkannte) Methoden diesen Anforderungen genügen. Ist dem so, sind diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen. Warum in Bezug auf die hier von der Klägerin abgelehnte Chemo- und Strahlentherapie trotzdem noch Klärungsbedarf bestehen soll, legt sie nicht dar.

b) Die Klägerin legt auch nicht die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage dar.

Sie legt nicht dar, welche Relevanz die Berechtigung zur Verweigerung einer Chemo- und Strahlentherapie nach § 65 Abs 1 SGB I für die Frage haben soll, ob eine Behandlungsmethode nach den Grundsätzen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts bzw iS von § 2 Abs 1a SGB V allgemein anerkannt ist und dem medizinischen Standard entspricht. Sie erklärt nicht, warum sich das Revisionsgericht mit § 65 Abs 1 SGB I auseinandersetzen sollte, obwohl diese Vorschrift nach ihrem klaren Wortlaut und Regelungszusammenhang nur Fälle betrifft, in denen ein Versicherter, der eine Sozialleistung beantragt, zur Mitwirkung herangezogen wird. Die Klägerin zeigt nicht auf, dass die Beklagte von ihr verlangt habe, sich einer Chemo- und Strahlentherapie zu unterziehen (vgl § 63 SGB I ), die Beklagte sie also nicht bloß auf diese vom GKV-Leistungskatalog erfasste Behandlungsmöglichkeit verwiesen habe.

Auch legt die Klägerin nicht dar, warum sie einen Kostenerstattungsanspruch für die Hyperthermie-Behandlung habe, wenn die Rechtsfrage in ihrem Sinne beantwortet werde. Sie setzt sich nicht mit § 91 Abs 6 SGB V auseinander, wonach die Beschlüsse des GBA, abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen, auch die Versicherten binden. Der GBA hat aber - wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat - durch Beschluss vom 18.1.2005 "Hyperthermie (u. a. Ganzkörperhyperthermie, Regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie)" aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen (jetzt Nr 42 der Anlage II zur Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung). Ihrem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, warum eine Chemo- bzw Strahlentherapie, die sie nach § 65 Abs 2 SGB I hätte ablehnen dürfen, entgegen § 91 Abs 6 SGB V einen Anspruch auf eine Hyperthermie-Behandlung hätte eröffnen können.

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Niedersachsen-Bremen, vom 02.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 632/16
Vorinstanz: SG Hannover, vom 29.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen S 88 KR 310/12