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BSG - Entscheidung vom 06.10.2021

B 7 AY 1/21 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 06.10.2021 - Aktenzeichen B 7 AY 1/21 B

DRsp Nr. 2021/17212

Höhe von Leistungen nach dem AsylbLG Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 27. Oktober 2020 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag der Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das bezeichnete Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt H, S, beizuordnen, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I

Im Streit steht die Höhe der Leistungen des Klägers nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ( AsylbLG ) für die Zeit vom 1.12.2008 bis 30.6.2010.

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben am 26.8.1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein und führte erfolglos mehrere Asylverfahren. Seit dem 8.11.1994 ist er vollziehbar ausreisepflichtig. Die Mitwirkung bei der Beschaffung von Pass bzw Passersatzpapiere verweigerte er und machte unrichtige Angaben über seine Identität. Der Rechtsvorgänger des Beklagten bewilligte dem Kläger nur eingeschränkte Leistungen nach § 1a Nr 2 AsylbLG ab 1.12.2008 in Höhe von 155,95 Euro (Bescheid vom 1.12.2008). Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20.4.2009, Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Neubrandenburg vom 23.2.2015). Das Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 27.10.2020). Dem Kläger hätten im streitigen Zeitraum nur eingeschränkte Leistungen zugestanden, da die Täuschung über die Identität eines Leistungsberechtigten den Missbrauchstatbestand des § 1a Nr 2 AsylbLG aF erfüllt hätten. Die an das persönliche Fehlverhalten anknüpfende Anspruchseinschränkung nach dieser Vorschrift begegne keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde. Die Entscheidung des LSG unterliege einem Verfahrensmangel, weil der Bescheid vom 6.7.2010 nicht in das Klageverfahren einbezogen worden sei. Zudem habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Die Kürzung der Leistungen verstoße gegen das Sozialstaatsprinzip und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 - im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit von über 30 % der dem Existenzminimum dienenden Leistungen geltend.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen; weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) noch der Zulassungsgrund der Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ), noch der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) ist in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel der unterlassenen Einbeziehung eines Bescheides genügt nicht den Bezeichnungsvoraussetzungen. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 SGG und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB Bundessozialgericht <BSG> vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG ( BSG vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG ; BSG vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3 - 1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3 - 1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4 - 1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Der Kläger behauptet, dass das LSG mit der Nichteinbeziehung eines Bescheides vom 6.7.2010 gegen § 96 SGG verstoßen habe. Es komme - anders als das LSG meine - nicht darauf an, dass die Stadt N nicht Rechtsnachfolgerin gewesen sei, weil der Bescheid als solcher maßgeblich sei. Damit bezeichnet er einen Verfahrensmangel aber nicht schlüssig, weil seinem Vortrag noch nicht einmal der Inhalt des angeblich einzubeziehenden Bescheids bzw die maßgebenden Zeiträume entnommen werden können. Der Senat kann deshalb anhand dieses Vortrags - unabhängig von der Frage der Rechtsnachfolge, zu der ebenfalls kein schlüssiger Vortrag erfolgt - nicht ansatzweise die Voraussetzungen des § 96 SGG prüfen.

Selbst wenn die Voraussetzungen des § 96 SGG unterstellt würden, genügte die Begründung nicht den Bezeichnungsvoraussetzungen, weil der Kläger nicht einmal behauptet, dass die Entscheidung des LSG ausgehend von seiner rechtlichen Sicht auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen könnte ( BSG vom 8.5.2019 - B 8 SO 75/18 B - juris, RdNr 7), ein Erfolg in der Sache (Leistungen nach dem AsylbLG ohne Anspruchseinschränkung) bei Vorliegen des Verfahrensmangels also möglich wäre.

Die grundsätzliche Bedeutung legt der Kläger ebenfalls nicht hinreichend dar. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Frage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt ( BSG vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § Nr 65). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger formuliert bereits keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm 162 SGG ). Insbesondere lässt er offen, welches gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher bundesrechtlichen Norm mit Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden (vgl BSG vom 29.3.2017 - B 5 RE 12/16 B - juris RdNr 8). Zudem fehlen Ausführungen zur Klärungsfähigkeit sowie Klärungsbedürftigkeit. Sofern der Kläger sinngemäß die Verfassungsgemäßheit des § 1a AsylbLG in der für den streitgegenständlichen Zeitraum 2008 bis 2010 geltenden Fassung vom 1.9.1998 (BGBl I 2505) als Frage grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen wollte, wäre von der formalen Unzulänglichkeit abgesehen die Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Wird mit der Beschwerde ein Verfassungsverstoß geltend gemacht, darf sich die Beschwerdebegründung nicht auf die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung und Auswertung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu der oder den als verletzt erachteten Verfassungsnormen in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt ( BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG vom 24.7.2018 - B 13 R 23/18 B - juris RdNr 8 mwN). Hieran fehlt es gänzlich.

Auch der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz ist nicht in der gebotenen Weise bezeichnet worden. Wer eine Divergenz 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) geltend machen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen. Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (sog Subsumtionsfehler; vgl zB BSG vom 9.1.2020 - B 8 SO 55/19 B - juris RdNr 6; BSG vom 16.7.2013 - B 8 SO 14/13 B - RdNr 6; BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Für die Darlegung der Divergenz ist zudem erforderlich, dass die behauptete Abweichung entscheidungserheblich ist ( BSG vom 29.4.2021 - B 8 SO 92/20 B - juris RdNr 6). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger zitiert lediglich die Entscheidung des BVerfG vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 -, derzufolge "Kürzungen von 30 % erlaubt" seien. Es ist nicht die Aufgabe des BSG , aus dem Vortrag des Klägers die Entscheidung oder die Entscheidungen sowie die entscheidungserheblichen Rechtssätze herauszufiltern, die die Zulassung der Revision wegen Divergenz rechtfertigen könnten. Der Kläger bezeichnet schon keine von der Rechtsprechung des BVerfG abweichende Rechtssätze des LSG. Er trägt lediglich vor, dass die Kürzungen seit 2008 nicht durch die angebliche Verletzung der Mitwirkungspflicht gerechtfertigt seien, sie stellten ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Übermaßverbot dar. Mit dieser Begründung macht der Kläger im Kern nur die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was die Zulassung der Revision nicht begründen kann (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § Nr 7). Für die Bezeichnung der Divergenz genügt es nämlich nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt habe. Denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG , der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt haben, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Dies zeigt die Beschwerdebegründung aber nicht ansatzweise auf.

Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl § 73a Abs 1 SGG , § 114 Abs 1 Zivilprozessordnung <ZPO>), ist dem Kläger keine Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen. Mit der Ablehnung von PKH entfällt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl § 73a Abs 1 SGG , § 121 ZPO ).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Mecklenburg-Vorpommern, vom 27.10.2020 - Vorinstanzaktenzeichen L 9 AY 2/15
Vorinstanz: SG Neubrandenburg, vom 23.02.2015 - Vorinstanzaktenzeichen S 6 AY 4/09