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BGH - Entscheidung vom 21.04.2021

VII ZR 39/20

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 544 Abs. 9

Fundstellen:
BauR 2021, 1340
NJW-RR 2021, 740
NZBau 2021, 451
ZfBR 2021, 642

BGH, Beschluss vom 21.04.2021 - Aktenzeichen VII ZR 39/20

DRsp Nr. 2021/8349

Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einem Verfahren wegen des Anspruchs auf Restwerklohn

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht unter anderem, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht.

Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Das Urteil des 8. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 27. Februar 2020 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 25. April 2019 - (8) 1 O 30/18 - hinsichtlich des Berufungsantrags zu 1 in Höhe von 43.391,86 € nebst Zinsen erfolglos geblieben ist. In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 43.391,86 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 544 Abs. 9 ;

Gründe

I.

Die Klägerin macht - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - gegenüber den Beklagten Restwerklohnansprüche geltend.

Die Klägerin ist Bauunternehmerin. Sie verpflichtete sich gegenüber der Beklagten zu 1, deren Gesellschafter die Beklagten zu 2 und 3 sind, zur schlüsselfertigen Errichtung eines R. -Markts nebst Außen- und Werbeanlagen zum Pauschalfestpreis von 2.448.000 € netto.

Auf der Basis ihrer Schlussrechnung hat die Klägerin einen Restwerklohnanspruch in Höhe von 195.941,79 € geltend gemacht. Das Landgericht hat der Klage insoweit im Umfang von 117.943,29 € stattgegeben. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit dem Ziel, die Beklagten zu verurteilen, an sie 164.700,79 € zu zahlen. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagten zur Zahlung von 121.308,93 € verurteilt. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie ihren Berufungsantrag weiterverfolgt.

II.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Meiningen vom 25. April 2019 - (8) 1 O 30/18 - hinsichtlich des Berufungsantrags zu 1 in Höhe von 43.391,86 € nebst Zinsen erfolglos geblieben ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der Restwerklohnforderung der Klägerin ausgeführt:

Von dem als Ausgangspunkt zu nehmenden Werklohnanspruch von 3.031.179,46 € brutto sei ein Abzug für Skonti in Höhe von 45.718,47 € brutto vorzunehmen. Nach den bindenden Feststellungen des Landgerichts habe die Beklagte zu 1 "Abschlagszahlungen abzüglich 2 % Skonto in Höhe von 2.864.152,00 € brutto" geleistet. Aus dieser im unstreitigen Tatbestand aufgeführten Feststellung folge unzweifelhaft, dass die Beklagte zu 1 nach Abzug der Skonti Abschlagszahlungen in Höhe von 2.864.152,00 € brutto erbracht habe. Denn Skontoabzüge würden gerade nicht gezahlt, sondern der nach Abzug des Skontos verbleibende Betrag werde geleistet. Es sei nicht festgestellt, dass den Abschlagszahlungen der Beklagten zu 1 Erfüllungswirkung in Höhe von 2.864.152,00 € zukomme, obwohl sie tatsächlich weniger, nämlich gekürzt um den Skonto, geleistet habe.

Ließen die Feststellungen des Landgerichts im unstreitigen Tatbestand keinen Interpretationsspielraum zu und entfalle die Bindungswirkung des Tatbestandes für das Berufungsgericht nicht nach §§ 314 , 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO , sei es Sache der Klägerin, die Bindungswirkung des Tatbestandes durch einen Tatbestandsberichtigungsantrag im Sinne von § 320 ZPO zu beseitigen, woran es fehle.

2. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts beruht, wie die Beschwerde zutreffend rügt, auf einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG .

a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 - VII ZR 111/19 Rn. 17, BauR 2020, 1679 = NZBau 2020, 573 ).

b) Diesen Maßstäben genügt das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts nicht, soweit es dem Berufungsantrag zu 1 der Klägerin nur im Umfang von 121.308,93 € stattgegeben hat. Das Berufungsgericht hat den Kern des - unstreitigen - Vortrags der Klägerin nicht erfasst:

Die Klägerin hat in der Klageschrift unter Bezugnahme auf ihre Schlussrechnung vom 2. Juni 2017 (Anlage K 17) und unter Berücksichtigung einer weiteren Vorauszahlung eine offene Werklohnforderung von 195.941,79 € geltend gemacht. Aus der Anlage K 17 Seite 9 ergibt sich eine "Summe Abschlagszahlungen", die sich aus den gewährten Skonti und tatsächlich geleisteten Abschlagszahlungen zusammensetzt. Dieses Verständnis der Schlussrechnung war in erster Instanz letztlich zwischen den Parteien unstreitig (Schriftsatz der Klägerin vom 9. Mai 2018 - GA I 44 - und Schriftsatz der Beklagten vom 12. Juli 2018 - GA I 81).

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht auf Seite 8 seines Urteils ausgeführt, es sei unstreitig, dass die Beklagte zu 1 an die Klägerin Abschlagszahlungen (inklusive einer Vorauszahlung in Höhe von 150.000 € und abzüglich 2 % Skonto) in Höhe von insgesamt 2.864.152 € (brutto) geleistet habe. Die Beklagten unterstellten einen berechtigten Werklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 2.917.497,80 € (brutto). Dieser ergebe sich aus den Berechnungen der Beklagten in der Klageerwiderung unter Berücksichtigung, dass keine Skonti doppelt in Abzug gebracht worden seien (Hinweis auf Schriftsatz der Beklagten vom 12. Juli 2018 - GA I 81).

Damit hat das Landgericht festgestellt, was zwischen den Parteien unstreitig ist und von den Beklagten in der Berufungsinstanz nicht in Frage gestellt wurde, dass in der "Summe Abschlagszahlung" bereits die der Beklagten zu 1 von der Klägerin gewährten Skonti enthalten sind und nicht noch zusätzlich in Abzug gebracht werden müssen. Das hat das Berufungsgericht grundlegend verkannt.

3. Auf dieser Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör beruht das angefochtene Urteil, soweit es dem Berufungsantrag zu 1 der Klägerin nur in Höhe von 121.308,93 € stattgegeben hat. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei gebotener Berücksichtigung des unstreitigen Vortrags der Klägerin, wie er vom Landgericht zutreffend festgestellt worden ist, zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

Vorinstanz: LG Meiningen, vom 25.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 30/18
Vorinstanz: OLG Thüringen, vom 27.02.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 498/19
Fundstellen
BauR 2021, 1340
NJW-RR 2021, 740
NZBau 2021, 451
ZfBR 2021, 642