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BGH - Entscheidung vom 31.03.2021

IV ZB 34/20

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 31.03.2021 - Aktenzeichen IV ZB 34/20

DRsp Nr. 2021/6774

Unzulässige Rechtsbeschwerde im Falle einer Inanspruchnahme eines Versicherers auf Deckung nach einem Hausbrand

Ein Rechtsanwalt muss sicherstellen, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 11. September 2020 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: bis 80.000 €

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ;

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den beklagten Versicherer auf Deckung nach einem Hausbrand in Anspruch. Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist ihren erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 25. Juni 2020 zugestellt worden. Eingehend bei dem Berufungsgericht am 13. Juli 2020 hat die zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin (nachfolgend: Bevollmächtigte) Berufung eingelegt "gegen das … am 29.06.2020 zugestellte Urteil" und Akteneinsicht beantragt. In einer Verfügung der Urkundsbeamtin des Berufungsgerichts vom 14. Juli 2020 finden sich folgende Angaben zum Verfahren: "Berufung … gegen das Urteil … zugestellt am 29.06.2020 … Ablauf der Berufungsbegründungsfrist 31.08.2020 Montag".

Nach Eingang der Akten des Landgerichts bei dem Berufungsgericht am 21. Juli 2020 hat dessen Urkundsbeamtin diese Angaben berichtigt, indem sie die Daten zur Zustellung und zur Berufungsbegründungsfrist durchgestrichen hat, handschriftlich als Zustellungsdatum "25.6.2020 (EB)" und als Ablauf der Berufungsbegründungsfrist "25.8.2020" vermerkt hat und diese Änderungen mit einem auf den 21. Juli 2020 lautenden Datumsstempel versehen und unterschrieben hat. Sodann hat das Berufungsgericht die Akten zur Akteneinsicht an die Bevollmächtigte übersandt.

Am 26. August 2020 hat das Berufungsgericht die Bevollmächtigte auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig hingewiesen, da innerhalb der Berufungsbegründungsfrist keine Beru fungsbegründung eingegangen sei. Am folgenden Tag hat die Bevollmächtigte Wiedereinsetzung beantragt und vorgetragen, nach Kenntnis der Klägerin sei das Urteil am 29. Juni 2020 zugestellt worden.

Das Berufungsgericht hat die Berufung unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO ).

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Bevollmächtigte sei nicht ohne Verschulden, welches sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, verhindert gewesen, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die in zweiter Instanz neu mandatierte Bevollmächtigte habe die Frist zur Berufungsbegründung selbst ermitteln müssen und sich nicht auf eine telefonische Angabe der Klägerin verlassen dürfen. Eine eigenständige Ermittlung sei ihr im Rahmen der erfolgten Akteneinsicht ohne weiteres möglich gewesen, bei der ihr das Empfangsbekenntnis vom 25. Juni 2020 und ihr Fehler bei der Benennung des Zustellungsdatums in der Berufungsschrift hätten auffallen müssen.

Auf die Angabe einer Zustellung am 29. Juni 2020 in einer Verfügung des Berufungsgerichts in der Akte könne sich die Bevollmächtigte nicht berufen. Diese Angabe habe allein auf den fehlerhaften Angaben in der Berufungsschrift beruht und sei noch vor der Versendung der Akten zur Einsicht berichtigt worden. Ein durch das Berufungsgericht verursachter Irrtum über den Fristbeginn liege nicht vor. Nach erfolgter Korrektur sei das richtige Zustelldatum auch aus der Verfügung ersichtlich gewesen. Ein gesonderter Hinweis des Berufungsgerichts auf den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Urteils sei nicht geboten gewesen.

Da eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht komme, sei die Berufung nicht fristgemäß begründet und deshalb gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Bevollmächtigte den Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils eigenständig hätte ermitteln können und müssen. Ein Rechtsanwalt muss sicherstellen, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2010 - VIII ZB 12/10, NJW 2010, 3305 Rn. 9 m.w.N.). Eine verlässliche Grundlage für die Ermittlung des Zustellungsdatums bieten allein die Angaben in der die Zustellung dokumentierenden Urkunde, vorliegend also in dem von dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten unterzeichneten Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO ; vgl. BGH aaO Rn. 10). Das Berufungsgericht gewährte der Bevollmächtigten mehr als einen Monat vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist Akteneinsicht. Anhand des Empfangsbekenntnisses (GA III nach 413) hätte sie prüfen können, wann das erstinstanzliche Urteil zugestellt wurde; auf dieser Grundlage hätte sie den Ablauf der Frist für die Berufungsbegründung ermitteln können (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO ).

b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ergibt sich aufgrund der Verfügung der Urkundsbeamtin des Berufungsgerichts nichts Anderes. Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene Frage, welche Pflichten den neuen Prozessbevollmächtigten bei widersprüchlichen oder unklaren Angaben zur Berufungsbegründungsfrist in der Gerichtsakte treffen, stellt sich im Streitfall nicht. Als die Bevollmächtigte im Wege der Akteneinsicht von der Verfügung Kenntnis erhielt, war diese bereits berichtigt. Der Hintergrund der Berichtigung ergab sich aus dem Eingang der Instanzakten am 21. Juli 2020 (GA III 422), der am selben Tag erfolgten handschriftlichen Berichtigung (GA III 421) und dem dort erwähnten Empfangsbekenntnis (GA III nach 413). Dies hätte bei der Akteneinsicht na chvollzogen werden können, ohne dass die Verfügung - erkennbar nur ein gerichtsinterner, zunächst aufgrund der (unzutreffenden) Angabe des Zustellungsdatums in der Berufungsschrift erstellter Vermerk - geeignet gewesen wäre, Zweifel über den Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils oder den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist hervorzurufen. Dem stand die Gegenzeichnung des Vermerks in Vertretung für die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht nicht entgegen, welche vor der Berichtigung erfolgte und lediglich die Kenntnisnahme bekundet. Für eine spätere Korrektur des Empfangsbekenntnisses, wie sie die Rechtsbeschwerde für nicht ausgeschlossen hält, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Anders als sie meint, konnte die Bevollmächtigte, die den Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils nach dem Gesagten eigenständig ermitteln konnte und musste, auch nicht deshalb auf einen gesonderten Hinweis des Berufungsgerichts vertrauen, weil sie in der Berufungsschrift ein falsches Zustellungsdatum angegeben hatte (vgl. BSG NJW 2005, 1303 [juris Rn. 19]). Rechte der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG sind nicht verletzt.

Vorinstanz: LG Chemnitz, vom 22.06.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 5 O 1431/15
Vorinstanz: OLG Dresden, vom 11.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 1361/20