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BGH - Entscheidung vom 17.02.2021

III ZB 57/20

Normen:
ZPO § 42 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 17.02.2021 - Aktenzeichen III ZB 57/20

DRsp Nr. 2021/3780

Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden; Rechtfertigung der Besorgnis der Befangenheit

Tenor

Die in der Erklärung des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. H. vom 9. Dezember 2020 mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

Normenkette:

ZPO § 42 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz unter dem Vorwurf, in den Dieselmotor EA 897 eines von ihr erworbenen PKW (Typ VW Touareg V6 TDI) mehrere unzulässige Abschaltautomatiken (unter anderem sogenannte Thermofenster) eingebaut zu haben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung zum Oberlandesgericht eingelegt. Die für die Berufung geschäftsplanmäßig zuständige Berichterstatterin hat angezeigt, sich der im Zusammenhang mit der Motorsteuerungsproblematik bei Motoren des Typs EA 189 geführten Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig gegen die Beklagte angeschlossen und in dem dortigen Verfahren mit der Beklagten einen Vergleich abgeschlossen zu haben.

Daraufhin hat die Beklagte die Berichterstatterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Das Berufungsgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter.

Am 9. Dezember 2020 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. H. , angezeigt, dass er im Frühjahr 2014 einen Volkswagen CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die hiesige Beklagte erhoben habe. Die Beklagte hat darauf mitgeteilt, dass sonach ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu rechtfertigen. Die Klägerin hat hierzu keine Stellungnahme abgegeben.

II.

Die in der Anzeige des Vorsitzenden Richters mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 - II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - VI ZB 94/19, NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BGH aaO). Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH aaO). Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

2. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor. Seiner Erklärung vom 9. Dezember 2020 zufolge hat der Vorsitzende Richter einen VW CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die VW AG erhoben. Er steht damit - insoweit - in der gleichen Beziehung zu dem Rechtsstreit wie die abgelehnte Richterin des Berufungsgerichts. Im Falle seiner Mitwirkung an der Entscheidung über die vorliegende Rechtsbeschwerde würde der Vorsitzende Richter somit gleichsam über die Frage seiner eigenen Befangenheit in Verfahren befinden, in denen gegen die Beklagte Ansprüche wegen eines Motors des Typs EA 897 geltend gemacht werden und die bei dem erkennenden Senat noch anfallen oder bereits angefallen sind. Würde er die oben erwähnten Umstände in diesen Verfahren anzeigen, so wäre er gemäß § 48 in Verbindung mit § 45 Abs. 1 ZPO von einer Mitwirkung an der hierauf zu treffenden Entscheidung ausgeschlossen. Durch die Bestimmungen des § 45 ZPO bleibt die nötige professionelle Distanz des entscheidenden Richters bei der Bewertung der zur Begründung des Befangenheitsantrags vorgebrachten Umstände gewahrt. Damit wird vermieden, dass der Abgelehnte zum Richter in eigener Sache wird (vgl. BVerwG, NJW 2014, 953 Rn. 4). Nach der darin zum Ausdruck kommenden Wertung muss auch hier angenommen werden, dass vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen können.

Vorinstanz: LG Limburg, vom 19.02.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 201/19
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 21.09.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 74/20