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BGH - Entscheidung vom 23.02.2021

XIII ZB 63/19

Normen:
AufenthG a.F. § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3-5

BGH, Beschluss vom 23.02.2021 - Aktenzeichen XIII ZB 63/19

DRsp Nr. 2021/7215

Haft zur Sicherung der Abschiebung eines marokkanischen Staatsangehörigen; Haftaufhebungsantrag der Vertrauensperson zugunsten des Betroffenen unabhängig von einer förmlichen Beteiligung durch das Gericht

1. Der Person des Vertrauens steht das Recht zur Stellung eines Haftaufhebungsantrags zugunsten des Betroffenen auch unabhängig von einer förmlichen Beteiligung durch das Gericht zu. Sie wird dann durch die Stellung des Haftaufhebungsantrags Beteiligte im Sinne des § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG .2. Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus, verlangt aber, dass die Abschiebungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird und die Ausländerbehörde die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betreibt. Danach ist es zwar im Hinblick auf die erforderliche Mitwirkung ausländischer Behörden ausreichend, wenn die beteiligte Behörde für die Passersatzpapierbeschaffung nur einen ungefähren Zeitraum mitteilt. Die Dauer der beantragten Haft - hier von drei Monaten - bedarf aber besonderer Begründung. Insbesondere ist darzulegen, wie die Behörde im Fall des Betroffenen - hier kommen zwei Abschiebestaaten in Betracht - konkret vorzugehen beabsichtigt, ob sie sich kumulativ oder alternativ bei den verschiedenen ausländischen Behörden bemühen will und gegebenenfalls in welcher Reihenfolge, und ob sie die Beschaffung der Passersatzpapiere im beschleunigten oder im normalen Verfahren anstrebt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen wird unter Aufhebung des Beschlusses der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 12. Dezember 2018 und des Beschlusses des Amtsgerichts Bonn vom 29. Oktober 2018 festgestellt, dass der Vollzug der durch den Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 3. August 2018 angeordneten Haft den Betroffenen im Zeitraum vom 30. September bis zum 23. Oktober 2018 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Person des Vertrauens des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Bonn auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG a.F. § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 -5;

Gründe

I. Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste ohne gültige Ausweispapiere in das Bundesgebiet ein und wurde am 2. August 2018 von Beamten der Bundespolizei am Bonner Hauptbahnhof vorläufig festgenommen. Bei der Festnahme gab er zunächst an, aus Marokko zu stammen, bei seiner polizeilichen Vernehmung nannte er Algerien als Herkunftsland. Die beteiligte Behörde drohte dem Betroffenen mit Bescheid vom 3. August 2018 die Abschiebung nach Marokko an. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Bonn mit Beschluss vom selben Tag gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 2. November 2018 an.

Am 30. September 2018 hat die von dem Betroffenen benannte Person des Vertrauens (fortan: Vertrauensperson) beim Amtsgericht Paderborn einen Antrag auf Aufhebung der Abschiebungshaft gestellt. Das Amtsgericht Paderborn hat das Verfahren mit Beschluss vom 17. Oktober 2018 an das Amtsgericht Bonn abgegeben. Den nach der - von der beteiligten Behörde veranlassten - Haftentlassung des Betroffenen am 23. Oktober 2018 mit dem Feststellungsantrag weiterverfolgten Haftaufhebungsantrag der Vertrauensperson hat das Amtsgericht Bonn mit Beschluss vom 29. Oktober 2018 zurückgewiesen. Deren hiergegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Vertrauensperson ihren Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollzugs der mit dem Beschluss vom 3. August 2018 gegen den Betroffenen angeordneten Haft weiter.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hält den Feststellungsantrag der Vertrauensperson für unzulässig, da diese nicht am Verfahren über die Anordnung der Freiheitsentziehung beteiligt gewesen sei und nicht als Bevollmächtigte des Betroffenen gehandelt habe. Der Feststellungsantrag sei zudem unbegründet, da die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 3. August 2018 rechtmäßig gewesen sei. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gewesen, da er ohne erforderlichen Aufenthaltstitel und damit unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei. Dementsprechend habe auch der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG in der hier maßgeblichen, bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung (fortan: aF) vorgelegen. Der Betroffene habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen werde. Auch die Dauer der angeordneten Abschiebungshaft sei nicht zu beanstanden gewesen. Bei Anordnung der Haft habe nämlich nicht festgestanden, dass die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden könne. Schließlich liege auch in dem Umstand, dass der Betroffene erst zu Beginn der gerichtlichen Anhörung mit dem Antrag der beteiligten Behörde vertraut gemacht worden sei, kein Verstoß gegen das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Unter Berücksichtigung des Umfangs der Antragsschrift sei dem Betroffenen eine hinreichend fundierte Stellungnahme möglich gewesen. Zudem sei nicht ersichtlich, dass sich ein vermeintlicher Verstoß auf die Entscheidung des Amtsgerichts ausgewirkt habe.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht nimmt zu Unrecht an, der Haftaufhebungsantrag des Rechtsbeschwerdeführers sowie sein anschließender Feststellungsantrag seien unzulässig gewesen, da er am Verfahren über die Anordnung der Freiheitsentziehung nicht als Vertrauensperson des Betroffenen beteiligt gewesen sei.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht der Person des Vertrauens das Recht zur Stellung eines Haftaufhebungsantrags zugunsten des Betroffenen auch unabhängig von einer förmlichen Beteiligung durch das Gericht zu (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2020 - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 13). Sie wird dann durch die Stellung des Haftaufhebungsantrags Beteiligte im Sinne des § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2012 - V ZB 26/12, juris Rn. 2). Der Rechtsbeschwerdeführer war daher sowohl zur Stellung des Haftaufhebungs- als auch des anschließenden Feststellungsantrags befugt.

III. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann danach keinen Bestand haben. Der Senat hat nach § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG in der Sache selbst zu entscheiden, da sie entscheidungsreif ist. Der Betroffene ist durch den Vollzug der Haft im Zeitraum vom 30. September bis 23. Oktober 2018 in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).

2. Diesen Anforderungen wird der Haftantrag der beteiligten Behörde vom 3. August 2018 nicht gerecht.

a) Die Dauer der beantragten Haft von drei Monaten wird in dem Antrag damit begründet, eine Passersatzpapierbeschaffung sowohl für Algerien als auch für Marokko sei innerhalb von ungefähr zwei Monaten möglich, auch wenn keine Dokumente über die Identität vorlägen. Die konkrete Dauer hänge maßgeblich von der Dauer des Bearbeitungsverfahrens der Auslandsvertretung und der zu beteiligenden Heimatbehörden, von Umfang und Korrektheit der Identitätsangaben und -unterlagen sowie dem Mitwirkungsverhalten des Betroffenen ab. Daraus ergebe sich eine Vielzahl von Unwägbarkeiten, die es unmöglich machten, eine genauere Aussage über die "übliche" Dauer des Passersatzpapierverfahrens zu treffen. Ausstellung des Passersatzpapiers und Abschiebung seien jeweils innerhalb von drei Monaten möglich.

b) Diese Angaben sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, unzureichend (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG , vgl. näher BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10). Zwar war es im Hinblick auf die erforderliche Mitwirkung ausländischer Behörden ausreichend, dass die beteiligte Behörde für die Passersatzpapierbeschaffung nur einen ungefähren Zeitraum mitgeteilt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 14, und vom 13. September 2018 - V ZB 145/17, juris Rn. 12). Sie hat aber nicht, wie geboten, dargelegt, wie sie im Fall des Betroffenen konkret vorzugehen beabsichtigt, ob sie sich kumulativ oder alternativ bei den marokkanischen und den algerischen Behörden bemühen wollte und gegebenenfalls in welcher Reihenfolge (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - V ZB 165/13, juris Rn. 6, und vom 20. Oktober 2015 - V ZB 25/16, juris Rn. 6), und ob sie die Beschaffung der Passersatzpapiere im beschleunigten oder im normalen Verfahren anstrebte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 6). Zudem enthält der Haftantrag keinerlei Angaben dazu, welche Schritte nach Vorliegen eines Passersatzpapiers zur Durchführung der Abschiebung erforderlich sind und wieviel Zeit diese in Anspruch nehmen. Insoweit fehlt es insbesondere an Darlegungen, auf welche Weise die Abschiebung organisiert und in welchem zeitlichen Rahmen sie vollzogen werden soll. Aus diesem Grund sind die Ausführungen im Haftantrag insgesamt nicht geeignet, die Notwendigkeit einer Haftdauer von drei Monaten plausibel zu begründen.

c) Dieser Mangel ist im Haftaufhebungsverfahren nicht geheilt worden, was mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2017 - V ZB 39/17, InfAuslR 2017, 347 Rn. 16; vom 12. Juli 2018 - V ZB 184/17, Asylmagazin 2019, 78 Rn. 8, und vom 19. Mai 2020 - XIII ZB 86/19, juris Rn. 11 f.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Bonn, vom 29.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 500 XIV 6118 B
Vorinstanz: LG Bonn, vom 12.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 380/18