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BGH - Entscheidung vom 13.09.2018

V ZB 145/17

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1

BGH, Beschluss vom 13.09.2018 - Aktenzeichen V ZB 145/17

DRsp Nr. 2018/16887

Haftantrag zur Anordnung der Abschiebungshaft eines Betroffenen

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 23. März 2017 und der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 7. Juni 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Krefeld auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ; AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein algerischer Staatsangehöriger, reiste im November 2015 in das Bundesgebiet ein. Bei der Meldung als Asylsuchender machte er falsche Angaben zu seinem Geburtsdatum. In der Folgezeit trat er mehrfach strafrechtlich in Erscheinung. Seit Oktober 2016 war er unbekannten Aufenthalts. Am 22. März 2017 wurde er bei einem Ladendiebstahl aufgegriffen und in Gewahrsam genommen.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 23. März 2017 Abschiebungshaft bis zum 22. Juni 2017 angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht mit Beschluss vom 7. Juni 2017 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt, begehrt der Betroffene, der nach zwischenzeitlicher Verlängerung der Haft am 18. September 2017 entlassen worden ist, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft.

II.

Das Beschwerdegericht meint, der Haftanordnung des Amtsgerichts habe ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde zu Grunde gelegen. Eine Abschiebungsandrohung habe vorgelegen und sei dem Betroffenen ausgehändigt worden. Das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Krefeld liege vor, was sich jedenfalls aus deren im Beschwerdeverfahren vorgelegtem Schreiben vom Tag der Haftanordnung ergebe. Im Übrigen lägen offensichtlich zustimmungsfreie Straftaten vor.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG ) zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

1. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 192/13, juris Rn. 6 mwN; Beschluss vom 30. März 2017 - V ZB 128/16, NVwZ 2017, 1231 Rn. 6; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 6).

2. Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht.

a) Dies folgt entgegen der Ansicht des Betroffenen nicht schon daraus, dass der schriftliche Antrag der Behörde keine ausreichenden Angaben zu den Vollstreckungsvoraussetzungen und zu der erforderlichen Haftdauer enthielt.

aa) Zutreffend ist allerdings die Rüge des Betroffenen, dass die Angabe in dem schriftlichen Antrag der Behörde, die Sperrwirkung der Abschiebung sei befristet worden, keine hinreichende Darlegung des Vorliegens einer Abschiebungsandrohung enthält, weil weder mitgeteilt wird, wann eine solche ergangen ist, noch dass und wann die Entscheidung dem Betroffenen in einer für ihn verständlichen Sprache übermittelt wurde. Fehlt es an dem Vortrag der Behörde, dass eine Abschiebungsandrohung entweder bereits ergangen ist oder aber wegen Vorliegens einer anderen Rückkehrentscheidung ausnahmsweise entbehrlich ist, liegt ein Verstoß gegen den gesetzlichen Begründungszwang vor, der zur Unzulässigkeit des Haftantrags führt (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juli 2016 - V ZB 32/15, InfAuslR 2016, 432 Rn. 10 mwN).

bb) Zutreffend ist weiter, dass der schriftliche Haftantrag nicht die nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG gebotenen Darlegungen zur erforderlichen Dauer der Freiheitsentziehung enthält. Es heißt hierin lediglich, eine Abschiebung nach Algerien sei nach Rücksprache mit der Zentralen Ausländerbehörde innerhalb von 3 Monaten "möglich". Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ; näher Senat, Beschluss vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, FGPrax 2012, 225 Rn. 10) unzureichend. Die Angabe, innerhalb welchen Zeitraums die Abschiebung "möglich" ist, beschreibt nur die zu erwartende Höchstdauer, enthält aber nicht die gebotene Darlegung, mit welchem Zeitraum im konkreten Fall des Betroffenen nach Einschätzung der Behörde zu rechnen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Mai 2018 - V ZB 92/16, juris Rn. 6).

cc) Diese Mängel des Haftantrages wurden jedoch vor der Entscheidung des Amtsgerichts behoben.

(1) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Juli 2016 - V ZB 32/15, InfAuslR 2016, 432 Rn. 10; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 74/17, juris Rn. 11; Beschluss vom 17. Mai 2018 - V ZB 92/16, juris Rn. 8).

(2) Die beteiligte Behörde hat in der mündlichen Anhörung des Betroffenen durch die Haftrichterin ergänzende Angaben zur erforderlichen Haftdauer gemacht und mitgeteilt, die Beschaffung von Passersatzpapieren nehme der Zentralen Ausländerbehörde zufolge und nach einer Information aus dem Zentralen Ausländerinformationsverfahren "zwischen drei und 12 Wochen" in Anspruch. Zur Vorführung Anfang April 2017 solle der Antrag auf Passersatzpapiere vorbereitet werden. Nach Vorlage der Passersatzpapiere sei für die Flugbuchung ein Zeitraum von zwei bis drei Wochen erforderlich. Diese Angaben sind ausreichend, denn sie stellen die im Einzelnen erforderlichen Schritte und die hierfür jeweils nach Einschätzung der Behörde zu veranschlagenden Zeitdauer dar. Dem steht nicht entgegen, dass für die Passersatzbeschaffung im Hinblick auf die erforderliche Mitwirkung ausländischer Behörden nur ein ungefährer Zeitraum angegeben werden konnte (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 14).

(3) Zu den Vollstreckungsvoraussetzungen hat das Amtsgericht festgestellt, dass dem Betroffenen die Rückkehrentscheidung vor dem Termin zur Anhörung über den Haftantrag gegen ein entsprechendes Empfangsbekenntnis ausgehändigt worden ist. Diese Feststellung - deren Richtigkeit die Rechtsbeschwerde nicht in Abrede stellt - ist ausreichend. Insbesondere bedurfte es entgegen der Annahme des Betroffenen keiner amtswegigen Aufklärung (§ 26 FamFG ), ob über die Befristung des Einreiseverbots entschieden worden oder eine solche Entscheidung beabsichtigt war (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Juni 2017 - V ZB 40/16, InfAuslR 2017, 450 Rn. 19). Im Übrigen ist diese Aufklärung offensichtlich erfolgt, denn die Haftrichterin hat den Betroffenen ausweislich des Anhörungsprotokolls darüber belehrt, dass er für einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem Ausreisetag nicht in die Bundesrepublik einreisen darf.

b) Der Haftantrag ist aber deshalb unzulässig, weil es an hinreichenden Angaben zum Vorliegen des staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens mit der Abschiebung des Betroffenen fehlt.

aa) Der Haftantrag muss nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung Ausführungen dazu enthalten, ob das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorliegt, wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Ohne dieses darf Sicherungshaft nicht angeordnet werden; dass das Einvernehmen später hergestellt werden könnte, ist unerheblich. Das Fehlen entsprechender Ausführungen führt zur Unzulässigkeit des Antrags (vgl. nur Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 Rn. 7; Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9; Beschluss vom 29. September 2011 - V ZB 61/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 70/13, juris Rn. 6). Die Angabe zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft soll den Betroffenen darüber informieren, woraus die antragstellende Behörde die Zustimmung der Staatsanwaltschaft entnimmt. Wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen den Betroffenen nicht offensichtlich zustimmungsfreie Strafverfahren anhängig sind, muss daher mitgeteilt werden, welche Staatsanwaltschaft für welches Verfahren das - ggf. auch generelle - Einvernehmen erteilt hat bzw. aufgrund welcher Überlegungen ein Einvernehmen entbehrlich ist. Andernfalls kann der Betroffene nicht überprüfen, ob die Voraussetzungen des § 72 Abs. 4 AufenthG vorliegen. Ob die Behörde die hiernach erforderlichen Angaben in dem Text des Haftantrags aufführt oder aber auf dem Antrag beigefügte, aussagekräftige Anlagen verweist, bleibt ihr überlassen (zum Ganzen Senat, Beschluss vom 9. Februar 2017 - V ZB 129/16, juris Rn. 6).

bb) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht.

(1) Hierin teilt die Behörde mit, der Betroffene sei mehrfach wegen schweren Ladendiebstahls angezeigt und ihm seien Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nachgewiesen worden. Darüber hinaus liege ein "Strafbefehl (Aktenzeichen Cs 5 Js 912/16) über illegale Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aus Österreich" vor. Am Nachmittag des 23. März 2017 sei der Betroffene anlässlich eines Ladendiebstahls aufgegriffen und in Gewahrsam genommen worden. Die Staatsanwaltschaft habe "fernmündlich und per Fax" ihr Einvernehmen mitgeteilt. Am Ende des Haftantrages heißt es zudem "[S]oweit erforderlich liegen Einvernehmen vor. Darüber hinausgehende Delikte werden von § 72 Abs. 4 AufenthG erfasst".

(2) Diesen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, zu welchen der in dem Haftantrag genannten Verfahren das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen durch welche Staatsanwaltschaft erteilt wurde und für welche anderen Verfahren das Einvernehmen nach Ansicht der beteiligten Behörde entbehrlich gewesen sein soll. Erst Recht wird nicht ersichtlich, woraus sich die Entbehrlichkeit dabei jeweils ergeben soll, namentlich ob es sich nach Ansicht der Behörde um Delikte handelt, bei denen es des Einvernehmens nach § 72 Abs. 4 Satz 3 und 4 AufenthG nicht bedarf oder ob die jeweiligen Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen sind und das Einvernehmen deswegen entbehrlich ist (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 12. März 2015 - V ZB 197/14, FGPrax 2015, 181 Rn. 5).

3. Dieser Mangel des Haftantrages ist auch nicht nachträglich geheilt worden. Das Amtsgericht hat in dem Haftanordnungsbeschluss insoweit ohne weitere Erläuterungen auf den Haftantrag der beteiligten Behörde Bezug genommen. Während des Beschwerdeverfahrens hat die Behörde ihre Angaben zwar insoweit ergänzt, als sie ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Krefeld vom 23. März 2017 vorgelegt hat, in dem diese ihr Einvernehmen "auch im Hinblick auf das hiesige Verfahren 5 Js 912/16" erteilt. Es betraf, sofern für das genannte Verfahren überhaupt erforderlich, aber nur eines der zahlreichen gegen den Betroffenen geführten Verfahren; zudem wurde der Betroffene zu diesem ergänzenden Vortrag durch das Beschwerdegericht nicht angehört.

4. Die ergänzenden Angaben der beteiligten Behörde in ihrer Erwiderung auf die Rechtsbeschwerde sind schon deshalb unbehelflich, weil neuer Vortrag im Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 559 ZPO nicht berücksichtigt werden kann. Im Übrigen änderte der neue Vortrag nichts an der Rechtswidrigkeit der Haft, weil eine Heilung von Mängeln des Haftantrages nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21; Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 6 ff.) und die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist.

5. Aus diesem Grund kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ).

6. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorinstanz: AG Krefeld, vom 23.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 29 XIV(B) 27/17
Vorinstanz: LG Krefeld, vom 07.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 7 T 83/17