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BGH - Entscheidung vom 21.04.2021

VII ZR 261/19

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
BGB § 362

Fundstellen:
NJW-RR 2021, 1073
NZBau 2021, 518
ZfBR 2021, 647

BGH, Beschluss vom 21.04.2021 - Aktenzeichen VII ZR 261/19

DRsp Nr. 2021/9911

Gerhörsrüge wegen Nichtberücksichtigung entscheidungserheblichen Parteivorbringens in einem privatbaurechtlichem Verfahren

1. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Parteien in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht hat den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht.2. Ein Anspruch auf Vorschuss für die zur Beseitigung eines Mangels erforderlichen Aufwendungen besteht nicht (mehr), wenn der Mangel beseitigt ist.

Tenor

Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird teilweise stattgegeben.

Der Beschluss des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. November 2019 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kempten vom 29. April 2019 (Az: 13 O 654/18 Bau) hinsichtlich seiner Verurteilung zur Zahlung von Vorschuss auf die Mangelbeseitigungskosten für fehlende Unterlagen und Nachweise (fehlende Baugenehmigungspläne, fehlende Revisionspläne, fehlende Nachweise Heizung usw., fehlende Statik, Fehlen der Werkpläne sowie der ENeV-Berechnung) zurückgewiesen worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 152.351 €

des stattgebenden Teils: bis 43.000 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; BGB § 362 ;

Gründe

I.

Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft begehrt von dem beklagten Bauträger die Zahlung von 114.550 € nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr weiteren, diesen Klageantrag übersteigenden Schaden zu ersetzen. Die Klägerin hat vorprozessual ein Sachverständigengutachten zu Mängeln am Gemeinschaftseigentum sowie eine Kostenschätzung hierzu eingeholt. Gestützt auf die Ergebnisse verlangt sie zuletzt Vorschuss für die Kosten der Mangelbeseitigung in Höhe von 114.550 €. Soweit für das weitere Verfahren von Interesse, schätzte der Sachverständige die Kosten der Nachbesserung für nicht vorliegende Unterlagen beziehungsweise Nachweise wie folgt ein:

Position 185 Fehlen der Baugenehmigungspläne  5.000 € 
Position 187 Fehlen sämtl. Revisionspläne  10.000 € 
Position 188 Fehlen sämtl. Nachweise Heizung usw.  10.000 € 
Position 189 Fehlen der Statik  5.000 € 
Position 190 Fehlen der Werkpläne  10.000 € 
Position 191 Fehlen der ENeV-Berechnung  3.000 € 

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung nach Hinweisbeschluss vom 2. September 2019 durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO vom 18. November 2019 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Zulassung der Revision erstrebt, um seinen Klageabweisungsantrag weiterzuverfolgen.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im tenorierten Umfang zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat insoweit den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ) liegt vor, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Parteivorbringen unberücksichtigt lässt. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Parteien in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht hat den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Januar 2020 - VI ZR 165/19 Rn. 7 m.w.N., NJW 2020, 934 ).

2. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, hat das Berufungsgericht hiergegen verstoßen, indem es der Behauptung des Beklagten, er habe der Klägerin die als fehlend reklamierten Unterlagen und Nachweise übersandt, nicht nachgegangen ist.

a) Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Klägerin einen vertraglichen Anspruch auf Herausgabe der im Sachverständigengutachten aufgeführten Nachweise und Unterlagen mit der Folge habe, dass ihr Fehlen einen Mangel begründe und die Klägerin deshalb das Recht der Ersatzvornahme und Anspruch auf Kostenvorschuss hierfür habe, hat der Beklagte unter anderem vorgetragen, dass er der Klägerin am 29. Oktober 2019 diverse, im einzelnen aufgelistete Unterlagen (Energieberechnung, Brandschutznachweis, Revisionspläne, Anlagendokumentation Lift, Bauantragsmappe, Statik, Werkpläne) übersandt habe. Beigefügt war ein - mit Anlage BK1 bezeichnetes - Anschreiben des Beklagten vom 29. Oktober 2019 an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie ein Postbeleg.

b) Das Berufungsgericht hat die Berufung gleichwohl zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Herausgabe der Unterlagen habe. Soweit die Berufung auf die Anlage BK1 hinweise, handele es sich nicht um den Nachweis, dass der Beklagte der Klägerin Unterlagen übergeben habe, sondern um ein Schreiben der Rechtsanwälte S. vom 17. Oktober 2017 im Auftrag eines Eigentümers betreffend Feuchtigkeitsschäden.

c) Damit hat das Berufungsgericht unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG die Ausführungen des Beklagten im Kern nicht erfasst. Es übergeht die Behauptung der zwischenzeitlichen Erfüllung (§ 362 BGB ) des (Nach-) Erfüllungsanspruchs, sondern thematisiert allein den - angeblich - fehlenden Nachweis. Aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts, wonach die als fehlend aufgelisteten Unterlagen und Nachweise einen Mangel darstellten, welche die Klägerin im Wege der Selbstvornahme beseitigen und hierfür Vorschuss nach § 637 Abs. 3 BGB verlangen könne, war dem Erfüllungseinwand des Beklagten als einem für die Streitentscheidung erheblichen Gesichtspunkt nachzugehen, denn ein Anspruch auf Vorschuss für die zur Beseitigung eines Mangels erforderlichen Aufwendungen besteht nicht (mehr), wenn der Mangel beseitigt ist. Das Berufungsgericht hätte darum den Schriftsatz mit dem neuen Tatsachenvortrag (vgl. § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ), dass die begehrten Unterlagen und Nachweise der Klägerin inzwischen vorliegen, der Klägerin zur Stellungnahme zuleiten müssen.

Es bedurfte in diesem Verfahrensstadium entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hierzu keines Nachweises oder Beweisangebots. Unabhängig davon lagen dem Schriftsatz die angekündigten Anlagen bei, was das Berufungsgericht ebenfalls gehörsverletzend nicht beachtet hat. Zwar trifft der Hinweis zu, dass es bereits eine andere, gleichfalls mit BK1 bezeichnete Anlage mit dem vom Berufungsgericht referierten Inhalt gab, auf diese hatte sich der Beklagte aber ersichtlich nicht berufen.

d) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des in seinem Kern übergangenen Vortrags zur Erfüllung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

e) Für den Fall, dass sich im weiteren Verfahren herausstellen sollte, dass die Klägerin die begehrten Nachweise und Unterlagen nicht oder nicht vollständig erhalten hat, weist der Senat darauf hin, dass für jeden Einzelfall zu prüfen sein wird, ob deren Fehlen nach den vertraglichen Vereinbarungen einen Mangel begründet. Ferner wäre zu klären, ob es tatsächlich und rechtlich möglich ist, die fehlende Unterlage oder den fehlenden Nachweis im Wege der Selbstvornahme zu beschaffen und auf welche Weise dies mit welchem Aufwand erreicht werden soll.

2. Im Übrigen ist die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision unbegründet. Der Senat sieht insoweit von einer Begründung ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 6 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO ).

Vorinstanz: LG Kempten, vom 29.04.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 13 O 654/18
Vorinstanz: OLG München, vom 18.11.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 27 U 2703/19
Fundstellen
NJW-RR 2021, 1073
NZBau 2021, 518
ZfBR 2021, 647