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BGH - Entscheidung vom 10.11.2020

XIII ZB 129/19

Normen:
FamFG § 427
AufenthG § 15 Abs. 6 S. 2-5

BGH, Beschluss vom 10.11.2020 - Aktenzeichen XIII ZB 129/19

DRsp Nr. 2021/925

Vertretung eines Betroffenen in einem Freiheitsentziehungsverfahren und bei der Anhörung von einem Bevollmächtigten i.R.d. Grundsatzes des fairen Verfahrens

Eine Frist von lediglich etwa zwei Stunden zwischen Ladung per Telefax und dem Anhörungstermin in einem Freiheitsentziehungsverfahren räumt dem Anwalt keine realistische Möglichkeit ein, an dem Termin teilnehmen zu können oder eine Terminverlegung zu beantragen. Die Vereitelung der Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung führt ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 11. September 2019 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 4. Februar 2019 den Betroffenen bis zu seiner Zurückweisung nach Ägypten am 13. Februar 2019 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 427 ; AufenthG § 15 Abs. 6 S. 2-5;

Gründe

I. Der Betroffene, ein ägyptischer Staatsangehöriger, äußerte am 5. September 2018 bei der Einreisekontrolle am Frankfurter Flughafen ein Schutzersuchen. Sein Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 13. September 2018 abgelehnt. Noch am selben Tag verweigerte die Bundespolizei dem Betroffenen die Einreise. Sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde vom Verwaltungsgericht am 27. September 2018 zurückgewiesen.

Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Frankfurt am Main am 28. September 2018 zur Sicherung der Abreise den Aufenthalt des Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft des Frankfurter Flughafens zunächst bis einschließlich 12. Oktober 2018 an.

Aufgrund verschiedener Schwierigkeiten erwies sich die Zurückweisung des Betroffenen als besonders zeitaufwendig. Infolgedessen wurde seine Aufenthaltsanordnung für den Frankfurter Flughafen insgesamt fünfmal verlängert. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die fünfte Verlängerung, durch die das Amtsgericht den Aufenthalt des Betroffenen in dieser Asylbewerberunterkunft antragsgemäß bis einschließlich 15. Februar 2019 verlängert hat.

Der Betroffene wurde am 13. Februar 2019 nach Ägypten zurückgewiesen. Seine auf Feststellung einer Rechtsverletzung gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene weiter die Feststellung, dass ihn die Beschlüsse der Vorinstanzen in seinen Rechten verletzt hätten.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der Beschluss des Amtsgerichts sei zu Recht auf den Haftgrund des § 15 Abs. 6 Satz 2 bis 5 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AufenthG gestützt worden. Gegen den Betroffenen sei eine Zurückweisungsentscheidung ergangen, die nicht unmittelbar habe vollzogen werden können. Der Grundsatz des fairen Verfahrens und der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör sei nicht bereits deshalb verletzt, weil das Amtsgericht seinen Rechtsanwalt am 4. Februar 2019 um 11.16 Uhr mit Telefax zum Anhörungstermin am selben Tag um 13.30 Uhr geladen habe. Der Anwalt habe vor der Anhörung nicht mehr auf die Ladung reagiert und weder telefonisch noch schriftlich gegenüber dem Amtsgericht eine etwaige Verhinderung angezeigt, einen Verlegungsantrag gestellt oder zumindest Umstände vorgetragen, aus denen sich ein Verlegungsantrag habe ableiten lassen. Auch ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dem Feststellungsantrag ist schon deshalb stattzugeben, weil das Amtsgericht bei der Anhörung des Betroffenen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen hat.

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, und vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2007 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7, und vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

b) Bei der Bestimmung des Anhörungstermins ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Betroffene im Zusammenhang mit der gegen ihn ergangenen Anordnung des Aufenthalts am Flughafen von Rechtsanwalt F. vertreten werden könnte. Es hat dessen Unterrichtung über den Anhörungstermin deshalb zu Recht für erforderlich erachtet. Indem es Rechtsanwalt F. mit einem um 11.16 Uhr übermittelten Telefax zu einem Anhörungstermin um 13.30 Uhr am selben Tag geladen hat, hat es ihm jedoch keine realistische Möglichkeit eingeräumt, an dem Termin teilnehmen zu können oder eine Terminverlegung zu beantragen. Eine Reaktion des Anwalts auf das Telefax binnen lediglich etwas mehr als zwei Stunden war nicht ohne Weiteres zu erwarten. Das Amtsgericht musste vielmehr die naheliegende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Rechtsanwalt während der üblichen Dienststunden zur Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten aufhalten konnte, und zwar auch außerhalb seines Kanzleisitzes. Zwar ist ein Rechtsanwalt gehalten, eilige Eingänge nach Möglichkeit, etwa über Mittag und/oder vor Dienstschluss seiner Mitarbeiter, in seiner Kanzlei abzufragen, oder dafür Sorge zu tragen, dass er in geeigneter Weise von seiner Kanzlei über eilige Eingänge unterrichtet wird. Wird eine angemessene Reaktionszeit für die Prüfung berücksichtigt, ob ein Verlegungsantrag gestellt werden soll und welche Möglichkeiten dafür gegebenenfalls im Hinblick auf eine Eilbedürftigkeit der Sache oder den Terminkalender des Anwalts bestehen, war eine Unterrichtung nur etwas mehr als zwei Stunden vor dem Termin unzureichend.

Aus der vom Beschwerdegericht angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10, juris) folgt schon deshalb nichts Abweichendes, weil - was allerdings erst aus der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts und nicht aus der veröffentlichten Entscheidung des Bundesgerichtshofs deutlich wird - dort ein in Frankfurt am Main ansässiger Rechtsanwalt am Nachmittag des Vortags zu einer Anhörung im nahe gelegenen Darmstadt am folgenden Tag geladen wurde, so dass er jedenfalls noch hätte anreisen oder einen Verlegungsantrag stellen können.

Hatte der Rechtsanwalt demgegenüber im vorliegenden Fall keine ausreichende Möglichkeit, seine Verhinderung anzuzeigen und einen Verlegungsantrag zu stellen, durfte das Beschwerdegericht aus dem Fehlen entsprechender Erklärungen gegenüber dem Amtsgericht nicht auf eine verfahrensfehlerfreie Anhörung schließen.

c) Es kommt hinzu, dass das Amtsgericht in dieser Sache keine besondere Eilbedürftigkeit annehmen durfte. Es hatte schon am 23. Januar 2019 den Aufenthalt des Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft des Flughafens bis einschließlich 6. Februar 2019 angeordnet. Bei Eingang des weiteren Verlängerungsantrags der beteiligten Behörde am Vormittag des 4. Februar 2019 bestand schon deshalb keine Notwendigkeit, ihn bereits am selben Tag zu bescheiden. Da der 4. Februar 2019 ein Montag war, hätte über die Verlängerung vielmehr ohne Weiteres noch nach einer Anhörung am 5. oder 6. Februar 2019 entschieden werden können. Falls dies nicht möglich gewesen wäre, hätte das Amtsgericht noch über den 6. Februar 2019 hinaus eine weitere kurze Haft nach § 427 FamFG anordnen und einen späteren Anhörungstermin bestimmen können.

d) Die Vereitelung der Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung führt ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft (vgl. BGH, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7, BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 FamFG . Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Frankfurt/Main, vom 04.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 934 XIV 235/19
Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 11.09.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 21 T 31/19